Ein Großmarkt von Metro in Nowosibirsk.
Alexandr Kryazhev/RIA NovostiDass es so kommen würde, hätte Boris Minailai vor zwei Jahren nicht gedacht. „Fast jede zweite Weinflasche in unserem Sortiment kommt mittlerweile aus Russland“, staunt der Russland-Chef des Großhändlers Metro C&C, einer Tochter der Düsseldorfer Metro Group. Die Nachfrage nach russischen Produkten sei gestiegen. Allein in den vergangenen zwei Jahren hat Metro 400 neue russische Lieferanten aufgenommen. „Fast 95 Prozent unserer Waren beziehen wir mittlerweile von einheimischen Herstellern und Zulieferern“, erklärt der Top-Manager. Auch das Verhalten der Konsumenten habe sich verändert. Die Kunden suchten derzeit nach Angeboten oder Aktionsware.
Die vergangenen zwei Jahre waren eine turbulente Zeit für den russischen Einzelhandel. Sanktionen, Wirtschaftskrise und der Rubelverfall haben den Markt mächtig durcheinandergewirbelt. Einst galt der Einzelhandel in Russland als Goldgrube auch für internationale Investoren. Ketten wie die französische Auchan, Metro aus Deutschland oder Spar aus den Niederlanden investierten Hunderte Millionen Euro, um vom wachsenden Konsumkuchen im Land profitieren zu können. Doch im vergangenen Jahr sank der Einzelhandelsumsatz inflationsbereinigt um zehn Prozent auf 27,5 Billionen Rubel, umgerechnet etwa 320 Milliarden Euro. Für ausländische Investoren, deren Mutterkonzerne ihre Gewinne in Euro bilanzieren, fielen die Verluste noch stärker aus. Der Umsatz der Metro Cash&Carry-Großmärkte sank zum Beispiel 2015 um satte 18 Prozent von 4,27 auf 3,5 Milliarden Euro.
Der Grund für diese Entwicklung liegt auf der Hand. Allein im vergangenen Jahr betrug die Inflation rund zwölf Prozent, während die Löhne stagnierten. Das Ergebnis: Erstmals seit Jahren sind die Realeinkommen der Russen um insgesamt etwa neun Prozent gesunken. Auf einem Markt, der früher groß genug für alle schien, wurde es plötzlich eng.
Zu eng für jene, die nicht schon früher investiert hatten. In Puschkino, ein paar Kilometer nördlich von Moskau, schien im letzten Dezember alles schon bereit. Über dem Eingang des nagelneuen Flachbaus prangte bereits das orange-blaue Plus-Schild, das den meisten Deutschen noch aus der Zeit vor der Übernahme des Deutschland-Geschäfts der Kette durch Edeka in Erinnerung sein dürfte. Doch im letzten Moment legte die Tengelmann-Gruppe ihre Expansionspläne für Russland auf Eis. Dabei wollten die Deutschen bis 2022 etwa 150 Billig-Supermärkte im Land eröffnen und knapp eine halbe Milliarde Euro investieren.
Marktführer Magnit verzeichnete mit knapp zwölf Milliarden Euro das geringste Wachstum seit zehn Jahren. Foto: Kommersant
Eigentlich ein Erfolg versprechendes Konzept, sind sich Branchenexperten einig, schließlich ziehen Discounter in Krisenzeiten mehr Kunden auf ihre Seite, zumal es in diesem Bereich noch keine ausländische Konkurrenz gab. So liefern sich die russischen Riesen Pjaterotschka, Magnit und Dixi eine Schlacht um die Vorherrschaft. Insgesamt haben die russischen Top-3 des Einzelhandels rund 3 700 neue Supermärkte eröffnet. Marktführer Magnit verzeichnete jedoch mit einem Umsatzplus von gut 24 Prozent auf 950 Milliarden Rubel oder knapp zwölf Milliarden Euro das geringste Wachstum seit zehn Jahren. Offenbar war das wirtschaftliche Umfeld doch zu unsicher für eine solch groß angelegte Expansion von Tengelmann.
Andere deutsche Investoren halten hingegen an ihren Plänen fest. „Der russische Markt ist für uns nach wie vor interessant und wir planen in den kommenden drei Jahren in der Region in und um Moskau jeweils einen neuen Großmarkt zu eröffnen“, erklärt Johannes Tholey, der das Geschäft der deutschen Globus-Gruppe aus bislang elf Großmärkten mit 8 400 Mitarbeitern leitet. Doch auch an Globus sind die Wirtschaftskrise und politischen Turbulenzen samt Sanktionen nicht spurlos vorübergegangen. „Unseren Lachs lassen wir mittlerweile von einem Betrieb in Karelien züchten oder importieren ihn von den Faröer-Inseln, Äpfel kommen aus Krasnodar, Birnen aus Serbien und einige Käsesorten aus Argentinien“, sagt Tholey.
Vor gut drei Monaten eröffnete Billa ihren hundertsten Markt in Russland. Pressebild.
Noch mutiger agiert die Kette Billa, die zur deutschen Rewe-Gruppe gehört und seit 2004 im Land präsent ist. Vor gut drei Monaten eröffnete die Kette ihren hundertsten Markt in Russland. Nach Unternehmensangaben investierte Billa bislang 520 Millionen Euro in die Expansion. Doch nur Wochen später gab die Geschäftsführung bekannt, dass weitere 100 Supermärkte bis 2020 hinzukommen sollen. Schon im laufenden Jahr will Billa sechs Neueröffnungen feiern. Auch das Konzept der für russische Verhältnisse eher teuren Märkte wurde angepasst. Weil nun günstigere Produkte ins Sortiment aufgenommen wurden, seien die Preise im Lebensmittelbereich insgesamt durchschnittlich um sieben Prozent gesunken. Zugleich sei der Anteil russischer Produkte, gemessen an der Stückzahl der verkauften Verpackungen, auf 93 Prozent gestiegen. So habe man neue Kunden in die Läden locken können.
Auch Metro-Chef Boris Minailai denkt über eine weitere Expansion nach. Im vergangenen Jahr sind sieben neue Metro-Großmärkte an den Start gegangen. Bereits im März soll ein Markt in Belgorod eröffnen. An anderen Standorten im Umland von Moskau und in Archangelsk wird derzeit gebaut. Im September hat das Unternehmen zudem ein neues Logistikzentrum im Moskauer Umland fertiggestellt, das bei der Entwicklung eines neuen Franchise-Konzepts von Metro, der kleinen Fasol-Märke, helfen soll. Bis Ende des Jahres soll die Zahl der Franchisenehmer von derzeit 129 auf 400 wachsen. Minailai gibt sich zuversichtlich: „Russland ist nach wie vor einer der wichtigsten Märkte für die Metro Group. Wir fühlen uns Russland sehr verbunden und werden weiter wachsen und investieren.“
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