1917 herrschte in Russland großes Chaos. Nachdem die Februarrevolution die Monarchie zu Fall gebracht hatte, herrschte ein seltsames Regierungssystem. Formell hatte die provisorische Regierung unter Alexander Kerenski zwar die Macht, rivalisierte jedoch mit den Arbeiter- und Soldatenräten (Sowjets) und den linksextremen Bolschewisten. Das Fehlen einer handlungsfähigen Regierung führte zu Anarchie.
Zusätzlich befand sich Russland nach wie vor im Krieg mit dem Deutschen Reich. Die Situation an der Front war schwierig und die Soldaten weigerten sich weiterzukämpfen. Da die Todesstrafe und körperliche Züchtigung im Militär von der neuen Regierung abgeschafft worden war, konnte die Armeeführung die Disziplin nicht aufrechterhalten. Russland verlor eine Schlacht nach der Anderen.
Im Juni 1917 versuchten die Sowjets dann in Petrograd, dem heutigen Sankt Petersburg, die Macht an sich zu reißen. Der provisorischen Regierung gelang es zwar, den Aufstand niederzuschlagen, die Stimmung aber blieb angespannt. Dieser Zustand brachte General Lawr Kornilow dazu, einzugreifen.
Wer war Kornilow?
Lawr Kornilow war der Sohn eines gewöhnlichen Kosaken, der durch harte Arbeit und Tapferkeit bis an die Spitze des russischen Militärs gelangte. Nachdem er im Russisch-Japanischen Krieg (1904-1905) gekämpft hatte, führte er im Ersten Weltkrieg zunächst eine Division an. Im Juli 1917 wurde er schließlich zum Oberbefehlshaber ernannt.
Als Kriegsheld war Kornilow sehr populär. Unterstützer wie sein späterer Weggefährte Anton Denikin sahen ihn als edlen und talentierten Mann an. Gleichzeitig bezweifelten Skeptiker sein politisches und militärisches Talent. General Michail Alexejew sagte beispielsweise, Kornilow habe „das Herz eines Löwen, aber das Hirn eines Schafs“.
Politisch gehörte der rechtsgerichtete Patriot Kornilow der weißen Bewegung an, die die Revolution eher skeptisch beäugte. Kornilow glaubte, dass linke Politiker, zu denen er auch gemäßigte Sozialisten wie Kerenski zählte, Russland und seine Armee korrumpierten. Die Bolschewisten wollte er am liebsten hängen sehen.
Wusste die provisorische Regierung von dem Putsch?
Kerenski lehnte die Bolschewisten zwar auch ab, fürchtete Kornilow aber. Angesichts der Bedrohungen sowohl von rechts als auch von links, versuchte er vergeblich, die Balance zu wahren und die provisorische Regierung an der Macht zu halten.
Die Meinungen über seine Beteiligung am Putsch gehen jedoch stark auseinander. Anhänger Kornilows behaupten, Kerenski habe der Armee befohlen, Petrograd einzunehmen und Sowjets und Bolschewisten zu unterdrücken. Kerenski selber behauptete in seinen Memoiren hingegen, General Kornilow selbst habe den Putsch geplant, mit dem Ziel, sich zum Diktator aufzuschwingen.
Bis heute streiten Historiker über die Wahrheit, jedoch betont Alexander Rabinowitsch in seinem Buch „Die Bolschewiki kommen an die Macht: Die Revolution von 1917“, dass Kerenski ohnehin eine Mitschuld an dem Putschversuch trage. Er selbst habe Kornilow schließlich zum Oberbefehlshaber gemacht.
Der Putsch beginnt
Am 9. September 1917 befahl Kornilow der dritten Armee unter Alexander Krimow von seinem Hauptquartier im weißrussischen Mogilew aus, Petrograd einzukesseln. Militärs in der Stadt sollten einen bolschewistischen Aufstand imitieren, um den Truppen einen Grund zu geben, die linksextremen Gruppen zu eliminieren und eine Diktatur zu errichten.
Am nächsten Tag befahl Kerenski Kornilow öffentlich, den Putsch zu stoppen und zurückzutreten. Der General antwortete, ebenfalls öffentlich, dass die Regierung nicht vernünftig handele und er somit keinen Grund sehe, Kerenskis Befehlen Folge zu leisten. Der Regierungschef bezeichnete Kornilow daraufhin als Verräter.
Die Truppen näherten sich also weiterhin der Stadt Petrograd. Zahlreiche Generäle bekundeten ihre Loyalität zu Kornilow und ihren Willen, Sowjets und Bolschewisten zu bekämpfen. Die Hauptstadtgarnison hielt hingegen zu Kerenski. Russland stand an der Schwelle zu einem Bürgerkrieg.
Das Scheitern
Die Bolschewisten, die sowohl Kornilow als auch Kerenski als ihre Feinde betrachteten, zögerten zunächst. Als die Armee jedoch immer näher an Petrograd heranrückte, entschied man sich, dass von Kornilow die größere Gefahr für die Revolution ausgehe. „Wir werden Kornilow bekämpfen, nicht um Kerenski zu unterstützen, sondern um seine Schwäche auszunutzen“, sagte Lenin. Linksextreme Gruppen konzentrierten ihre Kraft vollständig auf die Bekämpfung Kornilows. Im Gegenzug musste Kerenski zahlreiche prominente Bolschewisten aus den Gefängnissen freilassen.
Die Sowjets mobilisierten Arbeiter und Soldaten, die fortan bei der Bekämpfung der Truppen halfen. Eisenbahnarbeiter blockierten die Zufahrten, Telegrafen unterbrachen die Kommunikation zwischen den einzelnen Armeegruppen.
Agitatoren überzeugten die Soldaten davon, nicht auf Arbeiter und andere Zivilisten zu schießen – und keiner der Offiziere fand einen Weg, diese Propaganda zu verhindern. Kurz darauf bekannten sich die Soldaten zur provisorischen Regierung. Am 12. September war Kornilows Scheitern offensichtlich geworden. Er wurde verhaftet.
Für Kerenski war es jedoch ein Pyrrhussieg. Die Gefahr von der extremen Rechten war zwar gebannt, die Bolschewisten aber wurden infolge des verhinderten Putsches immer populärer. Keine zwei Monate später übernahmen sie ein für alle Mal die Macht in Petrograd.