Piterburh, Petropol, Leninburg: Eine Stadt mit vielen Gesichtern

Вид на Троицкий мост в Санкт-Петербурге. Россия. Старая почтовая открытка

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Legion Media
Im Laufe seiner Geschichte wurde Sankt Petersburg dreimal offiziell umbenannt und erhielt zahlreiche Spitznamen. „Piter“ wurde die Stadt fast gleich nach ihrer Gründung genannt. Die Bezeichnung „Nördliches Palmyra” richtete sich zu Beginn gar nicht an die Stadt sondern an die zu der damaligen Zeit herrschende Zarin. Aber auch das Schicksal der übrigen Beziehungen und Spitznamen ist nicht minder interessant.

Sankt-Piterburh

Peter der Große am Ufer der Newa, Walentin Serow, 1907 / Global Look PressPeter der Große am Ufer der Newa, Walentin Serow, 1907 / Global Look Press

Am 16. Mai 1703 wurde auf der Haseninsel, einer Binneninsel in der Newa, eine Burg errichtet. Entgegen vieler Legenden erhielt diese damals noch keinen offiziellen Namen. Laut offiziellen Dokumenten hatte der Zar an der Einweihung der Anlage nicht einmal teilgenommen. Erst am 29. Juni, dem Peterstag, wurde auf dem Gelände der Burg eine Kirche errichtet und die Burg zu Ehren ihres himmlischen Beschützers Sankt Petersburg getauft. Am 30. Juni vermerkte der Zar erstmals im Brief eines Bojaren die kurze Notiz: „Durch die Post in Sankt Petersburg übergeben“. Am nächsten Tag schrieb er dann selbst einen Brief „aus Sankt Petersburg“ und am 7. Juli schließlich „aus der neuen Burg des Sankt Peter“. Die genaue Schreibweise des Stadtnamens variierte mehrere Jahrzehnte lang. Peter selbst bevorzugte zumeist die niederländische Version Sankt-Piterburh, was heute auch als der ursprüngliche Name der Stadt angesehen wird. Peter bezeichnete die neue, sich im Entstehen befindliche Stadt, zudem oft als Paradies.

Piter

Rennthier-Schlittenfahrt auf der Newa / VariousRennthier-Schlittenfahrt auf der Newa / Various

Der wichtigste Spitzname der Stadt, „Piter“, entstand bereits kurz nach ihrer Gründung als Abkürzung für „Sankt-Piter-Burh“. Die ersten schriftlichen Erinnerungen an Piter wurden im Jahr 1764 in Denis Fonwisins Komödie „Der Landjunker“ niedergeschrieben. Obwohl der Spitzname als volkstümlich galt und aus dem Milieu der Arbeiter, die die Stadt erbaut hatten, stammt, wurde Piter bereits im 18. Jahrhundert in der Literatur (zum Beispiel im Roman des russischen Philosophen und Schriftstellers Alexander Radischtschew „Reise von Petersburg nach Moskau“) sowie Briefen und Memoiren verwendet.

Am Anfang des 19. Jahrhunderts haben Volkslieder die Bezeichnung endgültig in die russische Umgangssprache eingeführt. Nach der Umbenennung der Stadt in Leningrad 1924 blieb der Spitzname „Piter“ weiterhin erhalten und wurde sogar von Stalin verwendet. Übrigens geht auch der Name der finnischen Stadt Pietari auf die Bezeichnung Piter zurück.

Petropol

Die Ostspitze der Wassiljewski-Insel und die Peter-und-Paul-Festung / Hermitage museumDie Ostspitze der Wassiljewski-Insel und die Peter-und-Paul-Festung / Hermitage museum

Am Anfang gab es auch eine griechische Version des Stadtnamens. Am 16. Juli 1703 schrieb der enge Berater des Zaren Peter und der zukünftige russische Kanzler Gabriel Golowkin:  „Die sich im Bau befindliche Stadt wurde am Tag des heiligen Peters in Peterpol getauft und man kann sagen, dass bereits die Hälfte der Stadt erbaut worden ist“. Diese Variante fand in der Poesie Unterstützer, insbesondere unter denjenigen, die sich in antike Zeiten zurückversetzt fühlten.

Nördliches Palmyra

Katharina die Große / Mary Evans Picture Library/Global Look PressKatharina die Große / Mary Evans Picture Library/Global Look Press

Palmyra (“Stadt der Palmen”) war eine antike Oasenstadt in Syrien, deren Blütezeit eng mit der Herrschaft der stolzen und durchsetzungsstarken Septimia Zenobia verknüpft war. Zenobia war im 3. Jahrhundert nach Christus Herrscherin Palmyras und des römischen Orients. Im Jahr 744 wurde Palmyra vollkommen von arabischen Truppen zerstört. Am Rande der altertümlichen Stadt hatte sich eine kleine Siedlung gebildet, die in die heutige Zeit bestand hat. In letzter Zeit wurden die letzten Überbleibsel der antiken Stadt durch die Kämpfer der IS stark in Mitleidenschaft gezogen.

Die Bezeichnung „Nördliches Palmyra” entstand kurz nach der Inthronisation von Zarin Katharina II. im Jahr 1762. Robert Bud schenkte der Zarin seinerzeit ein Exemplar seines Buches „Die Ruinen von Palmyra“, in dem er über die Entdeckung der antiken Stadt Palmyra berichtet. In den Jahren 1750 bis 1751 führte er zusammen mit seinem Landsmann James Dowkins die erste Expedition zu den Ruinen des antiken Palmyras durch. Das Buch enthielt Buds persönliche Widmung: „An Ekaterina II., die Herrscherin des nördlichen Palmyras“. Diese Bezeichnung hat sich seitdem etabliert und aus dem kalten Sankt Petersburg wurde eine Stadt der Palmen.

Petrograd

Newskij-Prospekt, die Hauptstrasse von Petrograd / Karl Bulla, Bulla-StiftungNewskij-Prospekt, die Hauptstrasse von Petrograd / Karl Bulla, Bulla-Stiftung

Die erste offizielle Umbenennung Sankt Petersburgs erfolgte einen Monat nach Eintritt Russlands in den Ersten Weltkrieg – aufgrund einer Welle des Patriotismus und einer antideutschen Stimmungslage. In diesen Tagen verschwanden zum Beispiel alle Wagner-Inszenierungen aus dem Repertoire des Mariinski-Theaters. Dies wurde damit begründet, dass die russischen Sänger große Probleme beim Singen seiner Stücke hätten und sich ein Interpret deshalb sogar das Leben genommen habe. Es wurden zudem alle deutschsprachigen Zeitungen der Stadt verboten und die Buchhalter mussten sich auf einmal Zahlmeister nennen. Auch wurde die deutsche Botschaft vollständig zerstört und der Diener des Botschafters ermordet. Die in Sankt Petersburg ansässigen Deutschen begannen damit, ihre deutschen Nachnamen in russische zu ändern.

Heute erscheint es sehr merkwürdig, dass es die tschechische Minderheit war, die Zar Nikolaus II. offiziell um eine Umbenennung der Stadt ersucht hatte. „Gerade jetzt erscheint es uns als sehr passend, die Initiative zahlreicher russischer Staatsmänner und Denker des 18. und 19. Jahrhunderts aufzugreifen, die sich lange Jahre an dem deutschen Namen unserer Hauptstadt gestört hatten. Wir, die Tschechen, bitten die Staatsleitung deshalb darum, eine Umbenennung der Stadt in Petrograd ins Auge zu fassen“. Am 31. August 1914 wurde die Umbenennung schließlich durch ein Dekret des Zaren vollzogen.

Leningrad

Die Kasaner Kathedrale am Newskij-Prospekt in Leningrad, Juni 1973 / GouwenaarDie Kasaner Kathedrale am Newskij-Prospekt in Leningrad, Juni 1973 / Gouwenaar

Am 26. Januar 1924, einige Tage nach dem Tode Lenins, setzte der Oberste Sowjet der Stadt Petrograd eine Petition auf, in der er die Umbenennung der Stadt aufgrund der Bitten der „trauernden Arbeiterschaft“ forderte. In Wirklichkeit war die Umbenennung die Idee des Vorsitzenden des Obersten Sowjets Petrograds Grigori Sinowjew. Drei weitere Tage später unterschrieb Michail Kalinin, einer der Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, einen entsprechenden Beschluss und Petrograd wurde zu Leningrad.

Viele Petersburger ignorierten den neuen Namen viele Jahre lang. So scherzte zum Beispiel der Komponist Dmitri Schostakowitsch, dass er jetzt in Sankt-Leninburg wohne. Neben dieser Bezeichnung entstand im Volksmund auch noch die Bezeichnung Petrolen. Mit den Jahren nahmen die Scherze über die Umbenennung der Stadt sogar noch zu. Unter anderem entstanden die folgende zwei Anekdoten: „Welche sind die drei besten Städte der Welt? Petersburg, Petrograd und Leningrad“ und „Was bleibt einmal von Leningrad übrig, wenn eine Atombombe über der Stadt explodiert? Es bleibt Petersburg“.

Sankt Petersburg

Platz vor dem Isaakskathedrale in Saint Petersburg / TASS/Anton VaganovPlatz vor dem Isaakskathedrale in Saint Petersburg / TASS/Anton Vaganov

Im Jahr 1989 trat die Initiative „Russisches Banner“ mit der Forderung auf, Leningrad wieder in Sankt Petersburg umzubenennen. Dazu begann eine Unterschriftensammlung, um der Idee Nachdruck zu verleihen. Parallel bildeten die Gegner der Umbenennung ein eigenes Komitee, um die Verfechter der Umbenennung zu bekämpfen. Schließlich wurde ein Referendum auf den 12. Juni 1991 gelegt, das zeitgleich mit den russischen Präsidentschaftswahlen stattfinden sollte. Die Einwohner Leningrads musste folgende Frage beantworten: „Wünschen Sie sich die Zurückgabe des ursprünglichen Namens Sankt Petersburg an unsere Stadt?“. Bei einer Wahlbeteiligung von 64 Prozent stimmten 54 Prozent für die Umbenennung, 42 Prozent waren dagegen. Am 6. September 1991 wurde aus Leningrad wieder Sankt Petersburg.

Seitdem gab es vereinzelte Initiativen, die Stadt wieder in Leningrad umzubenennen. Der sowjetische Name bleibt zudem in der Bezeichnung „Heldenstadt Leningrad“ konserviert. So wird Sankt Petersburg nach wie vor bei Veranstaltungen bezeichnet, die in direktem Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und der Blockade der Stadt durch die deutsche Wehrmacht stehen.

Die ungekürzte Fassung dieses Artikels erschien zuerst auf arzamas.academy.ru.

Vom heutigen St. Petersburg zum Albtraum der Leningrader Blockade

Sankt Petersburg im Ersten Weltkrieg: Alles Deutsche verboten

Schicksalsjahr 1917: Russlands große Revolutionen

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