„Gott bestraft unser Land“: Revolution 1917 im Spiegel der russischen Literatur

Geschichte
ALEXANDRA GUSEWA
Der stürmische Wendepunkt in der Geschichte des Landes machte vielen Menschen Hoffnung auf ein neues und besseres Leben. Die grausamen Methoden der Bolschewiki sollten diese Erwartungen jedoch bald im Keim ersticken.

Der berühmte russische Dichter Alexander Puschkin schrieb einst in seinem Roman Die Hauptmannstochter“ über den bedeutendsten Bauernaufstand des 18. Jahrhunderts: „Möge Gott dafür sorgen, dass wir nie wieder so eine sinnlose und gnadenlose Revolte erleben.“ Heute wirken die Worte „eine russische Revolte ist sinn- und gnadenlos“ wie eine sinnbildliche, treffende Beschreibung der Revolution in 1917. Lassen Sie uns einen Blick darauf werfen, was die großen russischen Schriftsteller jener Zeit darüber dachten.

Maxim Gorki

Blinde Fanatiker und skrupellose Opportunisten...

Als einer der einflussreichsten sowjetischen Schriftsteller begrüßte Gorki sowohl die Revolution von 1905 als auch die von 1917 und sagte in seinem berühmten „Lied vom Sturmvogel“ den vorrevolutionären „Sturm“ voraus. Gorki trat für die neue Freiheit und den Fall der Monarchie ein, war aber von der Art und Weise, wie die Revolution und die neue Ordnung etabliert wurden, enttäuscht. In seinem Buch „Unzeitgemäße Gedanken über Kultur und Revolution“ rief er dazu auf, mit dem Blutvergießen und der gewaltsamen Etablierung des neuen Staates aufzuhören und stattdessen das intellektuelle und kulturelle Potential der Revolution zu entfalten, um die Freiheit produktiv nutzen zu können.

„Lenin, Trotzki und ihre Kameraden sind bereits mit dem Gift der Macht vergiftet, der Beweis dafür ist die schamlose Art und Weise, wie sie mit der Redefreiheit, der Freiheit einer Person und der Summe all jener Rechte, für die die Demokratie gekämpft hat, umgehen. Blinde Fanatiker und skrupellose Opportunisten liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen auf dem Pfad der sogenannten „sozialen Revolution“…“ (1917-1918)

Alexander Blok

Es konnte nur in Russland passieren.

Der Urheber des kontroversen Gedichts „Die Zwölf“ beschreibt darin die Roten Unruhen als eine Art Apokalypse, besingt aber zeitgleich die Revolution und rechtfertigt in diesem Zusammenhang Diebstähle und Schießereien. Die zwölf Roten Garden symbolisieren die 12 Apostel der neuen Hoffnung, während sie die alte Hoffnung zerstören und sich dem Putsch anschließen.

„Alles, was passiert, bringt mir Freude. Niemand ist in der Lage das, was eben passiert, wertzuschätzen, weil Geschichte noch nie ein so gewaltiges Ausmaß angenommen hat. So etwas musste passieren und es konnte nur in Russland passieren“, schrieb Blok 1917 in einem Brief an seine Mutter.

Erwähnenswert ist, dass sich Blok ein paar Jahre nach der Revolution von deren Ideen abwandte und begriff, dass sich ein noch härteres und grausameres Regime als die zaristische Regierung etablierte.

Iwan Bunin

Einst gab es Russland. Wo ist es hin?

Der erste russische Literaturnobelpreisträger gab sich keiner Illusionen über die Revolution hin. 1918 verließ er Moskau und ging nach Odessa, der wichtigsten südlichen Hafenstadt des Russischen Reichs. Im Jahr 1920 floh er schließlich ins Ausland.

„Einst gab es Russland. Wo ist es hin?“, schrieb er in sein Tagebuch, das später unter dem Titel „Verfluchte Tage“ erschien und sich mit der Revolution sowie dem darauffolgenden Bürgerkrieg auseinandersetzte. Wie der Titel unschwer erahnen lässt, fällt Bunin in diesem Buch über die Bolschewiki und ihr „blutiges Spiel“ ein ausschließlich negatives Urteil: „Lenin, Trotzki, Dserschinski … Wer ist der niederträchtigste, blutrünstigste und abscheulichste von ihnen?“

Wladimir Nabokow

Nabokows Vater war ein politisch äußerst aktiver Mann und einer der führenden Köpfe der Konstitutionellen Demokraten (Kadets), einer liberalen Partei, die sich in Opposition zu den Bolschewiki befand. Seine Familie wurde unmittelbar nach der Revolution gezwungen, Sankt Petersburg zu verlassen und auf die Krim zu ziehen. Im Jahr 1919 floh sie aus Europa. Doch während Nabokows Vater ein Buch zum Thema „Revolution“ geschrieben hatte, interessierten Nabokow vielmehr die Kunst und intellektuelle Belange. Die Revolution sah er für die russische Literatur als Problem an, da viele gute Schriftsteller fliehen und andere mit ihrem Talent den „korrekten“ Vorstellungen der Bolschewiki dienen und für das Land „von Nutzen“ sein mussten.

In seinem Essay, das Wladislaw Chodassewitsch, dem in Nabokovs Augen größten Dichter des 20. Jahrhunderts sowie Puschkins treuen Nachfolger, gewidmet ist, schrieb er, dass die Revolution und die darauffolgenden Jahre „Jahre der Langeweile für unser Schreiben waren“, und dass die Revolution die Dichter sorgfältig in Staboptimisten und Stauwasserpessimisten, in gesunde Kollegen aus Übersee und ortsansässige Hypochonder einteile“. Er merkte ebenso an, dass die Regierung eine „zärtliche literarische Aufmerksamkeit“ nötig hätte, sei es als „Traktor oder Fallschirm“, als „Rote-Armee-Soldat oder Polarforscher“.

Boris Pasternak

Pasternak war einer der Schriftsteller, der in Russland blieb und somit seine Gefühle gegenüber der Revolution nicht öffentlich äußern konnte – eine Tragödie für den russischen Intellektuellen. Schließlich schrieb er sie in seinem Buch „Doktor Schiwago“ nieder, einem Roman, der in der Sowjetunion über Jahrzehnte (bis zur Perestroika) verboten war und mithilfe der CIA 1958 in Italien gedruckt wurde.

Darin zeigt sich Schiwago zunächst von den Ereignissen der Revolution beeindruckt: „Was für eine hervorragende Operation! Man nimmt ein Messer und mit einem meisterhaften Schnitt schneidet man all die alten stinkenden Geschwüre heraus.“

Nachdem er jedoch mitansehen muss, was mit dem Land in den Folgejahren passiert, ändert er seine Meinung: „Für die Anstifter der Revolution sind die Wirren der Veränderung und des Aufruhrs ihr einziger Lebensinhalt, und sie werden solange keine Ruhe geben, bis die Sache einen globalen Maßstab erreicht hat. Die Erschaffung von Welten, die Zeiten des Übergangs sind für sie ein Selbstzweck. Sie haben sonst nichts gelernt und keine Ahnung davon, wie man auch nur irgendetwas macht.“

Anna Achmatowa

Gott bestraft unser Land.

Anna Achmatowa war eine der größten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts und litt furchtbar unter der Revolution und der bolschewistischen Herrschaft. Im Jahr 1921 wurde ihr Ehemann, der Dichter Nikolai Gumiljow, hingerichtet, nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Sohn Lew Gumiljow zu zehn Jahren Zwangsarbeit im Arbeitslager verurteilt. Sie selbst begegnete der Revolution mit Angst: „Es wird das Gleiche passieren, wie bei der Französischen Revolution, oder noch Schlimmeres“, schrieb sie gleich nach dem Februarputsch im März 1917. 

„Ich schaue alles, was in Russland passiert, mit Wehmut an. Gott bestraft unser Land“, schrieb sie im August an ihren Mann. Sie blieb, im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern jedoch in Russland und schrieb zahlreiche Gedichte, in denen sie zu dem, was die Bolschewiki dem Land antaten, Stellung bezieht. Vor diesem Hintergrund ist auch das Gedicht „Nun ist alles geplündert, zerrissen“ zu verstehen.

Michail Bulgakow

Nun, da unser unglückseliges Mutterland in der eigenen Spucke der Scham und des Elends liegt...

Bulgakow war als Monarchist von Anfang an der Revolution gegenüber skeptisch eingestellt. In seiner Heimatstadt Kiew, in der er geboren wurde und aufgewachsen war, wurde er Zeuge des Chaos und Leids, das der Bürgerkrieg anrichtete. In seinem autobiographischen Roman „Die weiße Garde“ verarbeitet er diese Ereignisse. Er verließ dennoch Russland nicht und übte in seinen Werken beharrlich Kritik am neuen Staat und dessen politischen System. Die meisten seiner Bücher waren viele Jahre lang verboten und von seiner Ehefrau ins Ausland verschickt worden, um sein literarisches Vermächtnis zu retten.

Im Dezember 1917, kurz nach der Oktoberrevolution, schrieb Bulgakow in einem Brief an seine Schwester: „Kürzlich sah ich bei einer Reise von Moskau nach Saratow mit eigenen Augen etwas, das ich ungern noch einmal sehen würde. Ich sah graue jauchzende und fluchende Menschenmengen, die das Glas in den Zügen zertrümmerten, und das gleiche mit den Menschen taten, ich sah verfallene und verbrannte Häuser in Moskau… stumpfsinnige und bestialische Gesichter.“

„Ich sah Menschenmengen, die die Eingänge konfiszierter und geschlossener Banken belagerten, hungrige Warteschlangen an den Läden, ich sah gehetzte und mitleiderregende Offiziere, ich sah die Seiten der Zeitungen, die nur über das eine schrieben: über das Blut, das sich vom Süden bis zum Westen, vom Westen bis zum Osten erstreckt. Ich sah es mit meinen eigenen Augen und verstand ein für alle Mal, was passiert war.“

Nach der Revolution beginnt Bulgakow im Jahr 1919 seinen Essay „Zukunftsaussichten“ mit folgenden Worten: „Nun, da unser unglückseliges Mutterland in der eigenen Spucke der Scham und des Elends liegt, und es durch die „Große Sozialistische Revolution“ dorthin gelangt ist, beginnen viele von uns mehr und mehr den gleichen Gedanken zu haben. […] Was wird aus uns?” 

Bulgakow sagt letztendlich voraus, dass der Westen sich vom Ersten Weltkrieg erholen, während Russland von der „heimtückischen Krankheit“ mit dem Namen „Revolution“ niedergestreckt und in seiner Entwicklung zurückfallen wird, und dass niemand sicher sein kann, ob das Land jemals den Westen wieder aufholt.

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