Kampf den „entwurzelten Kosmopoliten“: Wie Stalin nach dem Krieg gegen „seine“ Juden vorging

Geschichte
OLEG JEGOROW
Nach dem Zweiten Weltkrieg und am Vorabend des Kalten Krieges meinte der Sowjetführer Josef Stalin, den inneren Feind gefunden zu haben. In den späten 40ern und bis zu seinem Tod 1953 attackierte Stalin verstärkt die sowjetischen Juden.

Am 13. Januar 1948 wurde in den Straßen Minsks (damals Belarussische Sowjetrepublik) die verstümmelte Leiche eines 57-jährigen Mannes gefunden. Solomon Michojels war Jude und Direktor des Moskauer Staatlichen Jüdischen Theaters sowie über die Grenzen der Sowjetunion hin bekannt für sein Engagement im Jüdischen Antifaschistischen Komitee (JAFC), einer Nichtregierungsorganisation, die 1942 gegründet worden war. Michojels Tod war nicht zufällig.

Einige Wochen zuvor hatte der sowjetische Staatsführer Josef Stalin seinen Sicherheitsminister Viktor Abakumow damit beauftragt, Michojels möglichst unbemerkt aus dem Weg zu schaffen. Abakumows Agenten fassten ihr Opfer dann bei einer Dienstreise nach Minsk und ermordeten ihn dort in der fremden Stadt: Sie überfuhren ihn mit einem Lkw und ließen die Leiche dann in der Straße liegen, damit alles nach einem Verkehrsunfall aussehen sollte.

Stalins tödlicher Verdacht

Michojels wurde so Opfer von Stalins Kampf gegen einen angenommenen inneren Feind, den er öffentlich für den schrittweise ausbrechenden Kalten Krieg nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verantwortlich machte - die sowjetischen Juden. Der russische Historiker Gennadij Kostyrtschenko, der sich auf die anti-jüdische Politik der Sowjetunion spezialisiert, erläuterte in einem Interview im kanadischen russischsprachigen Fernsehen: „Stalin wurde immer argwöhnischer, dass es eine ‚fünfte Kolonne‘ in der Sowjetunion geben könnte und Jüdische Nationalisten ein Teil von ihr wären.“ Es habe zwar eigentlich keinerlei Anzeichen für eine solche Bewegungen gegeben, aber für Stalins Repressionsapparat sei die reine Hypothese schon Grund genug gewesen zu handeln.

Michojels war als Vorsitzender des JAFC 1943 nach Nord- und Südamerika gereist, um dort letztlich um die zehn Millionen US-Dollar für die UdSSR einzuwerben. Er unterhielt natürlich zahlreiche Kontakte in den Westen. Und so geriet er ins Blickfeld Stalins, der ihn bald als „gefährlich“ einstufte. Ende 1947 wurde Michojels „verurteilt“ und wenige Wochen später ermordet. Das JAFC wurde in der UdSSR verboten.

Stalin verkündete natürlich niemals eine offizielle Kampagne gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung. Zu sehr hätte das nach dem besiegten Erzfeind Hitler und dem Nationalsozialismus und Antisemitismus des Deutschen Reiches geklungen. Kostyrtschenko erklärt Stalins Herangehensweise so: „Vor allem in der Presse wurden sie (die Juden – Anm. d. Red.) mit der Phrase ‚entwurzelte Kosmopoliten‘ bezeichnet, die vorm Westen niederknien‘. Jeder verstand auch so, wer mit ‚Kosmopoliten‘ gemeint war.“

Sowjetische Juden beten für Israel

Im Unterschied zu Stalins “Großer Säuberung” in den 30er Jahren, die zu unzähligen Toten führte, begann die „Kosmopoliten-Kampagne“ nahezu unblutig mit Kritik in Zeitungen und der Entlassung von Staatsbeamten. Michojels Fall war dabei zunächst eine extreme Ausnahme. Doch dann wendete sich das Blatt…

Als Israel, dessen Gründung 1948 die UdSSR ja zunächst aktiv befördert und unterstützt hatte, sich dann für ein Bündnis mit den USA entschied, nahm auch Stalins Misstrauen gegen die „eigenen“ Juden zu. Aus Angst, die Zionistenbewegung im Ausland könnte weiter wachsen, ließ Stalin sowjetische Juden nicht nach Israel auswandern und verbot darum auch das JAFC, das stets als Verbindungsglied zwischen den sowjetischen Juden und den jüdischen Gemeinden in aller Welt agierte.

Nacht der ermordeten Poeten

Und so begann 1948 eine Reihe von Gerichtsprozessen, die sich bis 1952 hinziehen sollten. 15 Schlüsselfiguren wurden des Landesverrats und Kooperationen mit den US-Geheimdiensten bezichtigt, Folter zur Erlangung der notwendigen Antworten war für den sowjetischen Geheimdienst keine moralische Hürde. „Ich wurde jeden Tag mit einem Gummistock geschlagen und wenn ich hinfiel, traten sie auf mich ein“, beschreibt ein damaliger Verdächtiger die Verhörmethoden (rus).

Unter Stalin galten vor Gericht auch unter Folter erpresste Aussagen und Geständnisse. so wurden 13 von 15 Verdächtigen zum Tode verurteilt und am 12. August 1952 heimlich und völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschossen.

In der Jüdischen Gemeinde wird jene Nacht die „Nacht der ermordeten Poeten“ genannt, da einige der Hingerichteten als Autoren in Hebräisch und Jiddisch schrieben. Drei Jahre lang verschleierten die sowjetischen Behörden die Toten – sie seien einfach „aus dem Blickfeld der Welt verschwunden“.

Unerwartete Erleichterung

Ende 1952 folgte ein neuer “Fall”. Eine Gruppe angesehener Moskauer Ärzte wurde beschuldigt, die sowjetische Führung durch bewusst falsch gestellte Diagnosen oder Behandlung umbringen zu vollen. Die meisten der betroffenen Ärzte waren Juden.

„Es begann mit einem fünf Jahre alten Brief, der besagte, dass die Kommission der Kreml-Mediziner einst Andrej Schdanow, einen Minister Stalins, falsch behandelt hätte“, so Kostyrtschenko. Zunächst ignorierte Stalin das Schreiben, später aber benutzte er es doch als angebliches Beweismittel zur Rechtfertigung seines Vorgehens gegen die „Kosmopoliten“.

Mehrere Ärzte wurden daraufhin verhaftet und der Organisation einer “Zionistischen Verschwörung“ beschuldigt. Dass nicht einmal alle Beschuldigten Juden waren, störte offenbar niemanden. Damit aber wurde erstmal der „Zionisten“-Fall öffentlich erwähnt, der eine erneute Repressionskampagne gegen die sowjetischen Juden nach sich zog.

Bis heute ist praktisch unklar, was Stalin noch mit “seinen” Juden vorgehabt haben könnte. „Gerüchte, dass alle Juden in den Fernen Osten geschickt würden, kursierten in Moskau“, erinnert sich Ljubow Wowsi, Tochter eines der damals verfolgten Ärzte (rus). Belege für solche Pläne der Regierung gebe es jedoch nicht, so Historiker. Dennoch konnte erst Stalins Tod am 5. März 1953 diesen Albtraum für die sowjetischen Juden stoppen. Die inhaftierten Ärzte des „Zionisten“-Falls hatten Glück – sie wurden nach Stalins Tod freigelassen und kehrten lebendig und in Erwartung ihrer Rehabilitierung nachhause zurück.

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