Anatolij Fomenko
Ekaterina EeWie viele andere geisteswissenschaftliche Disziplinen ist Geschichte eine Wissenschaft, in der es schwierig ist, von einer ultimativen Wahrheit zu sprechen. Viele Menschen sind sich dieser Tatsache bewusst, doch der im Jahr 1945 geborene, sowjetrussische Mathematiker Anatolij Fomenko, der die Abteilung für Differentialgeometrie an der Staatlichen Universität Moskaus leitet, betrachtet Geschichte mit leidenschaftlicher Skepsis und bringt diese Disziplin auf eine ganz andere Ebene.
Fomenko nimmt an, dass die Geschichte der Menschheit viel kürzer sei, als allgemein angenommen, und lediglich bis ins zehnte Jahrhundert nach Christus zurückreiche. Bei vielen Chroniken handle es sich scheinbar um gegenseitige Nacherzählungen, die lediglich verschiedene Namen für die gleichen Personen oder geographischen Objekte verwenden.
Doch die meisten Historiker meinen, es sei Fomenkos „Neue Chronologie“, die die Sachverhalte in hohem Maße durcheinanderbringt. Andrej Salisnjak, ein Spezialist für historische Linguistik, merkt an: „In Fomenkos Büchern erscheint die in allen Ländern und Epochen verbreitete Sprache als homogene Substanz.“ Seine Schlussfolgerungen seien demnach ziemlich radikal: Laut der „Neuen Chronologie“ sind zum Beispiel Irland und Russland gleich, da die Wörter „irisch“ und „russisch“ dieselben Konsonanten „RSH“ enthalten.
Darüber hinaus war Russland laut Fomenko im Mittelalter Teil einer großen Russischen Horde, die sich aus der mittelalterlichen Rus und Dschingis Khans Reich zusammensetzte. Daraus folgt, dass die mongolische Invasion niemals stattgefunden hat, weil Russen und Mongolen eine Einheit bildeten. Alle Chroniken, die über die Kriege zwischen Slawen und Mongolen berichten, seien demnach von den Romanows erfundene „Falschmeldungen“, die so ihren Herrschaftsanspruch untermauern wollten.
Um Europa ist es ebenfalls schlecht bestellt: Bei alle antiken Statuen und Artefakten würde es sich laut Fomenko um Fälschungen aus der Renaissance handeln. Darüber hinaus wurde London am Bosporus gebaut, da die Themse nur ein anderer Name für die Meerenge sei. Salisnjak schreibt dazu: „Manchmal scheint es, dass alle historischen Werke Fomenkos nichts anderes sind, als eine sich für einen Mathematiker bietende Möglichkeit, Geisteswissenschaftler zu verspotten, da deren Wissenschaft dermaßen hilflos ist, dass sie nicht in der Lage ist, eine Parodie von einer wissenschaftlichen Theorie zu unterscheiden.“
Walerij Tschudinow
Runitsa1Während Fomenko am Alter der Menschheit zweifelt, vermutet sein im Jahr 1942 geborener „Kollege“ und der selbsternannte Historiker, Walerij Tschudinow, der an der Philosophischen Fakultät der Moskauer Universität promovierte, dass es sich bei der russischen Zivilisation um die älteste der Welt handeln würde.
Diese bizarre Theorie erklärt Tschudinow mit folgender Methodologie: Er „liest“ aus jedem Objekt, ob es sich um eine goldene Maske, ein Bildnis von Leonardo da Vinci oder eine „Geoglyphe“, also einem Muster auf dem Boden, handelt, slawische Buchstaben heraus. Diese Botschaften formen laut ihm Worte wie HRAM YARA, die sich auf die – nur Tschudinow bekannte – Kirche des heidnischen Gottes Jar beziehen. In Tschudinows Augen reicht das aus, um die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Russen seit der Antike die Welt regieren.
Er behauptet des Weiteren, dass die alten russischen Stämme Außerirdische waren, die auf die Erde kamen und die Zivilisation mitbrachten. Zu dieser Einsicht kam Tschudinow, nachdem er die Oberflächen von Mond, Sonne und Mars „analysiert“ hatte. Es wird Sie vermutlich nicht überraschen, dass ihn sogar die Sonnenflecken an das russische Alphabet erinnern.
In den akademischen Kreisen sind diese „extravaganten“ Theorien nicht besonders beliebt. Der Linguist Wladimir Plungjan sagte über Tschudinows und Fomenkos Werke, dass sie „zu 100 Prozent außerhalb des zeitgenössischen wissenschaftlichen Rahmens“ existierten.
Ernst Muldaschew
Mikhail Fomichev/TASSDie meisten Historiker, die nichtakademische Ansätze unterstützen, haben keine fundierte historische Ausbildung: Der im Jahre 1948 geborene Ernst Muldaschew ist da keine Ausnahme. Muldaschew ist ein bekannter Augenchirurg, der behauptete, im Jahre 2000 an einer blinden Frau erfolgreich eine „kombinierte Augentransplantation“ durchgeführt zu haben, indem er die Netz- und Hornhaut einer Leiche benutzte. Einige seiner Kollegen argumentieren, dass das unmöglich sei, doch Muldaschew hielt dagegen.
Auch seine historischen Ansichten sind rätselhaft. Laut seinen Büchern und Interviews stamme die Menschheit nämlich von einer anderen Spezies, den Atlanten, ab. Bei den Atlanten handelt es sich laut Muldaschew um halbamphibische Kreaturen, die die ägyptischen Pyramiden vor etwa 75 bis 80 000 Jahren gebaut haben und sich nun im Zustand eines suspendierten Schlafes im tibetischen Shambhala befinden sollen. Ferner erklärt er, sie während seiner Expeditionen gesehen zu haben, konnte aber bisher keine Beweise vorgelegen.
Historiker und Wissenschaftler geben meistens zu den „äußerst exotischen“ Ansichten Muldaschews keinen Kommentar ab. Schließlich erzählte er in einem Interview von seiner höchst Theorie, dass die Erde leer sei „und unter der Ebene, auf der wir leben, ein Königreich der Toten existiert“. Wissenschaftler zweifeln jedoch an dieser Theorie, um es gelinde auszudrücken.
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