Somerset Maugham: Sollte der britische Spion Lenin ermorden?

Geschichte
ALEXEJ TIMOFEJTSCHEW
Jeder kennt Maughams Theaterstücke und Romane, doch seine Arbeit für den britischen Geheimdienst in Russland im Jahr 1917 mit dem Ziel, den Sieg der Bolschewiki zu verhindern, ist weitgehend unbekannt. Russia Beyond berichtet.

William Somerset Maugham ist nicht nur der Autor der Werke „Julia, Du bist zauberhaft“ und „Auf Messers Schneide“, sondern war auch als Agent für den britischen Geheimdienst, der im Ersten Weltkrieg nach Russland geschickt wurde, tätig.

Die Reise nach Russland im Jahr 1917 war für Maugham nicht die erste Geheimdiensterfahrung. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits einige Jahre für den britischen Geheimdienst, der später als MI-6 bekannt wurde, gearbeitet. Nach seiner ersten Mission in der Schweiz wollte er im Jahr 1915 aus persönlichen Gründen seine Spionagetätigkeit beenden. Laut einem seiner Biografen (rus) war Maugham jedoch zeitgleich vom Leben als Geheimagent fasziniert und liebte es, hinter den Kulissen die Fäden in der Hand zu halten.

Als er jedoch die Gelegenheit hatte, die Mission in Russland anzutreten, wurde er unschlüssig. Wie er sich später erinnerte, dachte er, dass er nicht die richtigen Voraussetzungen für diesen Auftrag mitbringen würde. Am Ende überwog jedoch sein Wunsch, „das Land Tolstois, Dostojewskis und Tschechows zu sehen“.

Unmögliche Mission

Nach dem, was über seine russische Mission bekannt ist, erhielt Maugham einen sehr schwierigen Auftrag. Wie er selbst sagte, sollte er „einen Plan entwickeln, der Russland im Kriegszustand halten und verhindern sollte, dass die von den Mittelmächten unterstützten Bolschewiki die Macht ergreifen.“ Zu dieser Zeit war der Krieg in Russland äußerst unpopulär und auch die Bolschewiki forderten in ihren Propagandakampagnen die Zuständigen auf, den Krieg umgehend zu beenden und Frieden zu schließen.

Maugham erhielt rund 21 000 Pfund Sterling, eine Summe, die heute etwa 250 000 Euro entspricht, um die Mission, bei der auch mehrere Menschen tschechischer Herkunft als Verbindungsoffiziere tätig waren, zum Erfolg zu führen. Es bestand die Hoffnung, dass Maugham es schaffen würde, Tausende von tschechoslowakischen Soldaten, die zu dieser Zeit in Russland gestrandet waren, zu mobilisieren. Im darauffolgenden Jahr sollten diese Einheiten dann zu den wichtigsten Streitkräften im Kampf gegen das neue Sowjetregime werden.

Wodka, Kaviar und Desillusionierung

Maugham schaffte es, mit Alexander Kerenski, dem Premierminister der russischen Provisorischen Regierung, Kontakt aufzunehmen. Jede Woche lud er ihn und seine Kabinettsminister im „Medwed“, einem der besten Sankt Petersburger Restaurants, ein und spendierte ihnen Wodka und Kaviar.

Schon bald zeigte sich Maugham jedoch von Russland enttäuscht: „Dieses endlose Gerede, wenn Handlungsbedarf bestand, die Unentschlossenheit, die Apathie, die einzig und allein auf Zerstörung hinauslief, die hochgelobten Proteste, die Unaufrichtigkeit und Halbherzigkeit, die ich überall in Russland fand, machten mich krank“, erinnerte er sich später.

Dennoch gab es einen Mann, den Maugham sehr mochte. Boris Sawinkow war einer der Anführer einer Terrororganisation im vorrevolutionären Russland, die im Jahr 1917 für die Regierung tätig war. Maugham beschreibt ihn als „einen der außergewöhnlichsten Männer“, die er jemals getroffen hätte. Sawinkow besaß eine negative Einstellung gegenüber den Bolschewiki, hegte keinerlei Illusionen, was die Person Wladimir Lenin anbetraf und soll angeblich gesagt haben, dass ihn Lenin entweder vor eine Mauer stellen und erschießen solle oder er das mit ihm machen würde.

Der Plan, die Roten zu besiegen

Wenn man Maughams Memoiren liest, wird klar, dass er wirklich geglaubt hatte, den Bolschewismus in Russland aufhalten zu können und 20 Jahre später den Mangel an Zeit beklagte, um diese Aufgabe erfüllen zu können.

Maughams Selbstvertrauen sowie seine Faszination für den Terroristen Sawinkow, verleitete einige Autoren (rus) schließlich zu der Annahme, dass er auch Lenins Ermordung plante. Andere wiederum vermuten (rus), dass er an den Vorbereitungen des späteren tschechoslowakischen Aufstandes von 1918 beteiligt gewesen ist. Maugham soll nicht nur den Kontakt zu den Tschechen hergestellt, sondern während seines Aufenthaltes in Russland auch Orte besucht haben, an denen sich später der Aufstand ereignet hatte.

Maugham wurde kurz vor dem bolschewistischen Aufstand in Sankt Petersburg Ende Oktober nach London zurückgeschickt. Seine Aufzeichnungen, die Einblick in seine wahren Absichten während seiner Russlandmission hätten geben können, wurden kurz vor seinem Tod größtenteils vernichtet. Zeitgleich dienten seine Erfahrungen aus dieser Zeit als Inspiration für sein Buch „Ein Abstecher nach Paris“, welches im Jahr 1928 veröffentlicht wurde.

Die Mission in Russland bildete Maughams letzten Auftrag, den er vom britischen Geheimdienst erhielt. Nach seiner Rückkehr nach Großbritannien wandte er sich hauptsächlich dem Schreiben zu, ließ sich später an der Côte d'Azur nieder und stand mit vielen Prominenten seiner Zeit, wie Winston Churchill und Herbert Wells, in Kontakt.

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Im Jahr 1965 starb Maugham im Alter von 90 Jahren. Auf seinen Wunsch hin wurde sein Leichnam verbrannt und seine Asche bei der nach ihm benannten Bibliothek in der King's School in Canterbury verstreut. Es wird angenommen, dass Ian Fleming bei der Erschaffung seiner James-Bond-Figur Maughams Werk „Ein Abstecher nach Paris“ im Kopf hatte. George Orwell gab ebenfalls zu, dass Maugham der Autor war, der ihn am meisten beeinflusst hatte.

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