Wie haben Afrikaner im zaristischen Russland gelebt?

Der Vorraum im Zarenpalast in Zarskoje Selo von Mihály Zichy, 1865

Der Vorraum im Zarenpalast in Zarskoje Selo von Mihály Zichy, 1865

Michail Sitschi/Eremitage Museum
Russlands bedeutendster Dichter hatte einen afrikanischen Vorfahren, denn viele farbige Menschen verdienten ihren Unterhalt am Zarenhof. Russia Beyond hat für Sie recherchiert, wie es dazu kam.

„Sie sahen den jungen Farbigen an, als wäre er ein Wunder, umgaben ihn und überschütteten ihn mit Grüßen und Fragen; aber diese Art von Neugier plagte sein Selbstwertgefühl... Er fühlte sich wie eine Art seltenes Tier“, schrieb Alexander Puschkin, der berühmte Dichter des 19. Jahrhunderts, in seinem historischen Roman „Der Mohr Peters des Großen“. Er beschreibt darin das Leben des afrikanischen Mannes namens Ibrahim am Hof des Zaren.

Puschkin hatte persönliche Gründe, diesen Roman zu schreiben. Ibrahim war eine historische Figur und ein Sklave aus Afrika. Sein Leben in Russland war gut und erfolgreich, da er in den Adel aufgenommen wurde und später half, eine Dynastie aufzubauen. Außerdem war Puschkin sein Urenkel.

In Russland groß herauskommen

Ibrahim-Hannibal-Büste in Petrowskoje, Pskow Oblast

Mehrere Jahrhunderte sind vergangen, und so ist es schwer zu sagen, woher genau Ibrahim, der von 1696 bis 1781 lebte, stammte. Die älteren Versionen seiner Biografie deuten darauf hin, dass er in Äthiopien geboren wurde, aber spätere Nachforschungen vom Historiker Dieudonné Gnammankou, einem Slawisten aus der afrikanischen Republik Benin, besagen, dass Ibrahim ursprünglich aus Kamerun kam.

Was auch immer seine wahre Heimat sein mag, es ist fast sicher anzunehmen, dass die Türken ihn entführten, und er durch Sklavenhandel am russischen Hof endete. Peter der Große behandelte Ibrahim gut und gewährte ihm nicht nur die Freiheit, sondern taufte ihn auch auf Abraham Petrowitsch Hannibal – nach dem berühmten nordafrikanischen Kommandanten des antiken Karthago. Diesen Nachnamen wählte Ibrahim selbst.

Porträt von (angeblich) dem jungen Ibrahim Hannibal

Ibrahim absolvierte Militär- und Ingenieurkurse, studierte in Frankreich und arbeitete als Sekretär des Zaren. Gnammankou betont, dass Hannibal geholfen hat, die russisch-französischen Beziehungen aufzubauen, als er zusammen mit seinem Herrscher Paris besuchte.

„Der Afrikaner, oder sollte ich sagen, der afrikanische Russe, hat geholfen, die diplomatischen, wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den zwei großen europäischen Ländern Russland und Frankreich aufzubauen“, sagte Gnammankou in einem Interview mit TASS.

Hannibal hatte jedoch auch mit Herausforderungen zu kämpfen. Nachdem Peter der Große 1721 gestorben war, fiel sein afrikanischer Freund bei Russlands neuem Herrscher Alexander Menschikow in Ungnade und wurde nach Sibirien verbannt. Als Peters Tochter Elisabeth den Thron bestieg, kehrte Hannibal zu seinem Anwesen zurück und führte ein langes Leben mit elf Kindern. Dazu gehörte auch Puschkins Großvater, Osip Hannibal, und so erinnerte sich der Dichter stets an seine afrikanischen Wurzeln. 

Farbige Höflinge

Porträt von Peter dem Großen mit einem schwarzen Kammerdiener

Hannibals Geschichte ist ziemlich ungewöhnlich, aber nicht einzigartig. Im 18. und 19. Jahrhundert dienten viele Menschen als Araps am russischen Hof. Verwechseln Sie sie nicht mit Arabern. Laut Wladimir Dals Wörterbuch aus dem Jahr 1863 beschrieb das Wort Arap „eine schwarzhäutige Person aus den heißen Ländern, hauptsächlich aus Afrika“. Die zweite Bedeutung war „ein Portier, ein Pförtner“, und genau das waren die Hauptaufgaben der Araps am Hof.

Sophie Karlowna von Buxhoeveden, eine Hofdame von der Frau von Nikolaus dem Zweiten, Alexandra Fjodorowna, erinnerte sich: „Schwarze Diener, in orientalische Kleidung gehüllt, gaben dem Palast eine besondere, exotische Atmosphäre.“ Ihre Anwesenheit symbolisierte, wie groß und mächtig das Imperium war und dass es die ganze Welt beeinflusste.

Sie denken, das klingt rassistisch? Vielleicht, aber denken Sie daran, dass es an den Höfen der meisten europäischen Monarchen jener Zeit absolut üblich war und dass es sehr gut bezahlt wurde.

„Die Araps gehörten zu den wenigen im Zarenpalast, die ein Gehalt bekamen und es war ziemlich hoch“, erklärt der Historiker Igor Simin in seinem Buch „Hof der russischen Zaren“. Die meisten Diener arbeiteten nur für Essen und eine Unterkunft und bekamen kein Gehalt.

Russland oder Pleite

Im 19. Jahrhundert sahen viele Afrikaner in den Vereinigten Staaten Russland als ein Land für ein besseres Leben, in dem sie der Brutalität der amerikanischen Sklaverei entkommen konnten.

„Der erste amerikanische Arap am russischen Hof war ein ehemaliger Kammerdiener des amerikanischen Diplomaten in Sankt Petersburg, der 1810 seinen neuen Job bekam. Es scheint, dass sich die Nachricht von diesem guten Job schnell in amerikanischen Hafenstädten verbreitete. Viele farbige Abenteurer eilten daraufhin nach Russland, gewöhnlich als Seeleute auf den wenigen Schiffen, die nach Sankt Petersburg fuhren“, schreibt Simin.

Der Kampf um die wenigen Stellen war jedoch intensiv, und während der Regierungszeit von Nikolaus dem Ersten von 1825 bis 1855, war die Anzahl der Araps am Hof auf acht beschränkt. Frühere Zarinnen mit einem Hang zur Exotik hatten Dutzende von farbigen Dienern. Je dunkler die Haut und je größer der potenzielle Mitarbeiter, desto eher wurden sie eingestellt, so Simin. Wer am Hof dienen wollte, musste sich außerdem zum Christentum bekennen.

Es waren jedoch nicht nur Amerikaner, die Araps wurden. Nina Tarasowa, eine Mitarbeiterin der Eremitage, erzählt gerne die Geschichte von George Maria aus der portugiesischen Kolonie Kap Verde, der viele Jahre am zaristischen Hof diente und lange nach der Abdankung Nikolaus des Zweiten in Russland blieb.

„Beide Söhne kämpften im Großen Vaterländischen Krieg, einer wurde getötet und der andere überlebte bis zum Tag des Sieges“, sagte Tarasowa.

George Maria, Arap aus Kap Verde

Wie Sie sehen können, haben viele Araps tiefe Wurzeln in Russland geschlagen. Im Allgemeinen jedoch endete ihr florierendes Leben mit dem Fall des Zarenreichs im Jahr 1917. Während der Sowjetzeit fanden zahlreiche Afrikaner und Afroamerikaner ihren Weg ins Land als Studenten, Ingenieure und sozialistische Anführer. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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