Wurde Russland im Ersten Weltkrieg von den Alliierten ausreichend unterstützt?

Nikolaj Paschin/Sputnik
Der Erste Weltkrieg verlief für Russland extrem unglücklich, da es mit dem industriellen Potenzial seiner Feinde kaum mithalten konnte. Russland stützte sich auf die Hilfe der Alliierten, manchmal jedoch vergeblich.

„Es gibt nicht genug Nahrung. Die Menschen verhungern. Viele Soldaten haben keine Stiefel. Sie wickeln ihre Füße in Fahnen… Zudem gibt es große Verluste bei der Infanterie und den Offizieren. Es gibt Regimenter, in denen es nur noch wenige Offiziere gibt. Besonders beunruhigend ist der Zustand der Artillerieversorgung. Ich wurde von einem Kommandanten aufgefordert, nicht mehr als drei bis fünf Artilleriegeschosse pro Kanone auszugeben. Unsere Artillerie hilft der Infanterie nicht, die mit den Granaten des Feindes bedeckt wird... Es wurde eine Verstärkung von 14 000 Soldaten geschickt, doch ihnen fehlen die Gewehre“, schrieb (rus) einer der russischen Militärführer Ende 1914 in sein Tagebuch, nur fünf Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs.

Der Krieg verlief für Russland schrecklich. Deutlicher wurde dies, als die Deutschen und Österreicher im Frühjahr 1915 eine Großoffensive starteten. Es führte dazu, dass die Russische Armee die Flucht ergriff. Russische Truppen zogen sich zurück, verloren viele ihrer Soldaten und riesige Gebiete im Westen. General Alexejew, der zukünftige Leiter des russischen Generalstabs, nannte die Hauptgründe für diese Katastrophe. Einer dieser Gründe waren die nicht vorhandenen Artilleriegeschosse – „das größte und schlimmste Problem, welches tödliche Folgen hat“. Unter anderem gab es einen Mangel an Gewehren und Munition.

Keine Kanonen

Russland war am verheerendsten auf den Ersten Weltkrieg vorbereitet. Keine der Großmächte, welche an dieser globalen Auseinandersetzung beteiligten war, war ausreichend darauf vorbereitet. Aber im Falle Russlands wurde die Situation durch die Probleme seiner Wirtschaft zudem verschärft. Seine relative Rückständigkeit erlaubte es nicht, die Produktionsleistung schnell zu steigern und die notwendigen militärischen Güter bereitzustellen. Hier traten die Alliierten ein. Russland erhielt (eng) von Großbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika Kanonen, Artilleriegeschosse, Gewehre und weitere Waffen und Munition.

Bei den Kanonen betraf die drastischste Situation besonders die schwere Artillerie. Russland begann erst 1916, im dritten Kriegsjahr, mit der Herstellung einiger solcher Kanonen. Russland produzierte jedoch überhaupt keine acht, neun, zehn und elf Zollhaubitzen, während die Militärbehörden Hunderte dieser Waffen forderten (rus). Daher musste Russland solche Kanonen importieren, aber es konnte nie alles bekommen, was es brauchte. Bei den elf Zollhaubitzen beispielsweise gelang es Russland, nur etwas mehr als drei ein halb Prozent des Bedarfs zu decken.

Die Ergebnisse waren offensichtlich. Anfang 1917 hatte (rus) Russland im Vergleich zu den Alliierten fünf Mal weniger Feldartillerie und neun Mal weniger schwere Kanonen. Pro Kilometer gab es zwei Kanonen an der russischen Front und zwölf an der französischen Front.

Keine Projektile

Es gab auch einen erschreckenden Mangel an Artilleriemunition. Während des ganzen Krieges konnte Russland nie so viele Artilleriegeschosse bekommen, wie seine Truppen benötigten.

„Ich erinnere mich an die Schlacht von Przemysl, welche Mitte Mai im Jahr 1915 für elf Tage bitter entbrannte... Elf Tage des schrecklichen Gebrülls der schweren deutschen Artillerie, die buchstäblich den gesamten Teil unsere Verteidigung wegfegte. Wir haben fast nicht auf ihr Feuer reagiert, da wir nichts hatten. Erschöpfte Regimenter wehrten mit Bajonetten oder Schüssen einen Angriff nach dem anderen ab. Das Blut floss... Die Zahl der Gräber wuchs, als zwei Regimenter durch das deutsche Artilleriefeuer fast vollständig zerstört wurden“, erinnerte sich (rus) General Anton Denikin einer der prominentesten Kommandanten der russischen Armee.

Russland erhöhte seine eigene Produktion von Artilleriegeschossen drastisch, jedoch war das immer noch nicht genug. Die Alliierten halfen und lieferten von den benötigten Geschossen in etwa einen 30-prozentigen Anteil. Bei schwerer Artillerie wurden bis zu 75 Prozent der Artilleriegeschosse importiert. Doch die russische Armee brauchte mehr.

„Begrenzen Sie den Appetit“

Die Auslandshilfe war oft problematisch. Als im Herbst 1915 eine russische Mission nach Großbritannien ging, um London über ihre Situation aufzuklären, sagte der britische Premierminister Lloyd George, dass „unser eigener Bedarf an Waffen größer ist (rus) als der unserer Verbündeten“, was darauf hindeutet, dass die Russen ihren Appetit begrenzen sollten.

Erst Ende 1915 begannen (rus) die Alliierten Russland im Wesentlichen zu helfen. Allerdings war das Geschäft nicht immer ganz aufrichtig. Russland bestellte fast vier Millionen Gewehre in den Vereinigten Staaten von Amerika und bezahlte bis Anfang 1917 mit Gold. Von vielen Unternehmen hielt nur „Winchester“ seine Versprechen und lieferte 300 000 Gewehre nach Russland. Andere Unternehmen lieferten nur rund zehn Prozent des bezahlten Betrags.

Ex-Verteidigungsminister Michail Beljajew verriet, dass amerikanische Unternehmen diese Aufträge mit „krimineller Leichtigkeit“ (rus) entgegennahmen, da sie keine Produktionskapazitäten zur Herstellung dieser Waffen hatten. Es gab auch Beschwerden über Bestellungen aus Großbritannien: Die Waffen waren (rus) von schlechter Qualität und teuer.

Im Februar 1917 stellte die russische Seite ihre Forderungen in Bezug auf die Waffenlieferungen an die Alliierten. Letztere stimmten zu (rus), ein Drittel dessen zu liefern, was von den Russen verlangt wurde. Daher könnte man sagen, dass die Hilfe der Alliierten für Russland lebenswichtig war, aber sie reichte nicht aus und prägte teilweise den Ausstieg Russlands aus dem Krieg im März 1918.

>>> Wie Russland den deutschen Chemiewaffen im Ersten Weltkrieg trotzte

>>> Leben und Lachen an der Front: Aus dem Alltag russischer Soldaten im Ersten Weltkrieg

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!