Fehlentscheidung: Wieso hat die UdSSR Soldaten nach Afghanistan geschickt?

W. Kiseljow/Sputnik
Die UdSSR hat mit der Entsendung von Truppen direkt auf ein Ersuchen der afghanischen Regierung geantwortet. Dieser Schritt kam den USA entgegen, da der damalige sowjetische Führer Leonid Breschnew damit sein eigenes Vietnam schuf.

Niemand kennt die genauen Todesumstände des afghanischen Führers Hafizullah Amin. Einige behaupten, er habe sich selbst erschossen, andere sagen, ein afghanischer Offizier habe ihn getötet. Eines ist gewiss: es geschah am 27. Dezember 1979, als sowjetische Spezialeinheiten seine gut gesicherte Residenz stürmten, den Tajbeg-Palast.

Sowjetische Soldaten zeigen ihre Ausrüstung den afghanischen Fallschirmjägern.

Dies war das erste Anzeichen einer sowjetischen Verwicklung in den innerafghanischen Krieg. Meist wird vergessen, dass es keine Invasion gab. Amin hatte Breschnew 19 Mal darum gebeten, Soldaten zu schicken.

Ein ungewollter Krieg

Paradoxerweise waren die sowjetischen Führer gar nicht glücklich mit der Machtergreifung der pro-sowjetischen Kommunistischen Volkspartei Afghanistans, PDPA, bei der Saurrevolution im April 1978. „Der sowjetischen Politik schwebte für Afghanistan ein neutraler Status vor”, erklärt (rus) der Historiker Nikita Mendkowitsch.

Der Kalte Krieg war auf seinem Höhepunkt und ein neutrales Afghanistan schien ein guter Puffer zu sein zwischen den zentralasiatischen Sowjetrepubliken und den gegnerischen Staaten Pakistan, Iran und China. Nach der Machtergreifung durch die PDPA befürchtete der Westen eine Ausbreitung des Kommunismus nach Süden, in die Ölstaaten des Mittleren Ostens. Sie handelten entsprechend und unterstützten die Opposition, einschließlich bewaffneter islamistischer Rebellen.

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Die Sozialisten vermasseln es 

Generalsekretär der Kommunistischen Volkspartei Afghanistans Nur Muhammad Taraki und Leonid Breschnew

Nur Muhammad Taraki, das erste Staatsoberhaupt der Kommunistischen Partei, brachte soziale und wirtschaftliche Reformen auf den Weg, indem er das Land unter den Bauern aufteilte, was die reichen Großgrundbesitzer erzürnte, die Scharia abschaffte und Mädchen den Schulbesuch ermöglichte, womit er die Islamisten gegen sich aufbrachte.  

Doch im Jahr darauf waren die Moscheen noch immer gut gefüllt, das Land vom Bürgerkrieg gezeichnet und Taraki war tot.

Es waren nicht die Rebellen, die dafür verantwortlich waren, sondern seine rechte Hand, sein Verteidigungsminister Hafizullah Amin. Am 16 September 1979 stürzte er Taraki. Später wurde dieser von Amins Gefolgsleuten mit einem Kissen erstickt. Amin übernahm die Kontrolle über die Partei und setzte den Kampf gegen die Islamisten fort, die im Westen unter dem Namen Mudschaheddin bekannt waren. Er pflegte gute Beziehungen zur UdSSR, dachte er zumindest.

Invasion oder Nicht-Invasion

Nur wenige Monate vor dem Einmarsch in Afghanistan hatte das Politbüro der Sowjetunion diese Idee zunächst verworfen. „Der einzige Weg, den Erfolg der afghanischen Revolution zu garantieren, besteht darin, Truppen zu entsenden. Aber wir können das nicht machen. Das Risiko ist zu groß”, sagte (rus) der damalige KGB-Chef und spätere sowjetische Führer Juri Andropow im März 1979 bei Gesprächen über die erste von 19 Anfragen Tarakis und später Amins nach militärischer Unterstützung für ihr Land.

Moskau beschloss, die Afghanen zwar militärisch mit Waffen und Ausbildern zu unterstützen, aber keine Soldaten zu schicken und hielt sich an diesen Beschluss von März bis Dezember 1979.

Die Niederlage verhindern

Warum hat das Politbüro seine Meinung geändert? Dahinter steckten geopolitische Interessen: Leonid Breschnew und seine Weggefährten hatten Sorge, den Kampf um Afghanistan zu verlieren. Ende 1979 kontrollierte eine Antiregierungs-Koalition 18 von 26 Provinzen des Landes. Die bewaffneten Regierungstruppen waren von der Auflösung bedroht und es gab Befürchtungen, das Land könnte unter islamistische Kontrolle geraten. Afghanistan war einfach zu wichtig, um es sich selbst zu überlassen.  

Breschnews Überlegung war, dass ein Afghanistan unter der Herrschaft der Islamisten oder pro-westlicher Milizen eine Bedrohung für die zentralasiatischen Staaten der UdSSR werden könne. Die Grenzregionen Afghanistans und der Sowjetunion waren die Heimat der Tadschiken und Usbeken, die möglicherweise Anschluss an die Mudschaheddin gesucht hätten.

Wenn die pro-sowjetische Regierung den Kampf gegen die Islamisten verlieren würde, bestünde zudem die Gefahr, dass in dem Land chinesische oder US-amerikanische Militärstützpunkte errichtet würden, was eine Gefahr für viele strategisch wichtige Orte darstellen würde. Da man auf solche Risiken nicht vorbereitet war, entschloss sich das Politbüro für das vermeintlich kleinere Übel: die militärische Unterstützung Afghanistans. Die Führungsriege der Sowjetunion beschloss zudem, Amin loszuwerden, da man Sorge hatte, dieser könnte sich unter Druck den Amerikanern zuwenden.

Eine Falle

Bis zum Februar 1989 dauerte der Militäreinsatz der Sowjetunion in Afghanistan. Nach offiziellen Angaben (rus) verloren 15 000 Sowjetsoldaten dabei ihr Leben und wenigstens 640 000 Afghanen. Die Ziele der Mission wurden nicht erreicht. Die pro-sowjetische Regierung fiel nur wenige Monate nach dem Rückzug der UdSSR. Der Einmarsch war ein internationales PR-Desaster und gefährdete die zaghafte Entspannung im Kalten Krieg zwischen der UdSSR und den USA. Es brachte lediglich eine Verschärfung der Beziehungen zwischen den Supermächten.  

Eine Usbekin begrüßt weinend die aus Afghanistan heimkehrenden sowjetischen Soldaten.

Das sowjetische Engagement in Afghanistan beschleunigte den Untergang der UdSSR. „Der Krieg in Afghanistan schwächte die Wirtschaft der UdSSR und gefährdete den sozialen Frieden. Die wachsende Zahl der Kriegsopfer führte zu Unzufriedenheit im Land”, schreibt (rus) der Politikwissenschaftler Alexei Bogaturow in seinem Buch „Geschichte der internationalen Beziehungen zwischen 1945 und 2008”.  

Für die USA war es ein großer Erfolg, die UdSSR zum Eingreifen in Afghanistan zu bewegen. „Wir haben die Russen nicht dazu getrieben, einzugreifen, doch wir haben wohlwissentlich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie es tun werden”, sagte (eng) Zbigniew Brzezinski, Berater für nationale Sicherheit des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter von 1977 bis 1981, im Interview mit „Le Nouvel Observateur”.

Zbigniew Brzezinski, 1980

An dem Tag, an dem die Sowjets offiziell die Grenze überschritten hatten, schrieb ich Präsident Carter, dass wir nun die Gelegenheit haben, den Sowjets ihr eigenes Vietnam zu bescheren.”

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