Warum die Bolschewiki die Feuerbestattung einführten und das größte Krematorium Europas bauten

A. Tscheprunow/Sputnik, Russia Beyond
Verbrennen oder begraben? Für die orthodoxe Kirche ist die Antwort eindeutig, sie lehnt Verbrennen ab. Die Bolschewiki hingegen förderten diese Art der Bestattung und errichteten sogar ein Krematorium in einer Kirche.

Das erste Krematorium in Russland war für japanische Bürger gedacht. Es wurde vor 1917 in der Region Wladiwostok erbaut. In der japanischen Kultur ist die Feuerbestattung alltäglich, während die russisch-orthodoxe Kirche bis heute gegen eine Einäscherung von Toten ist. Im Jahr 1909 verdammte die Heilige Synode Russlands Feuerbestattungen. Als die Bolschewiki an die Macht kamen, wollten sie sich um Bestattungen kümmern und setzten sich für Feuerbestattungen ein.

Die Straßen von Moskau und Sankt Petersburg waren nach der Revolution von Leichen gepflastert. „In Lefortowo fressen nachts die Wölfe die Leichen von Menschen, die an Typhus gestorben sind”, schrieb Praskowja Melgunowa am 1. März 1919. Daher führte kein Weg an Krematorien vorbei. Moskau und Sankt Petersburg wurden der vielen Leichen nicht Herr.

1919 erließ Lenin ein Dekret zur Feuerbestattung, doch es gab zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Krematorien.

Das Projekt eines Krematoriums in St. Petersburg

Ein Regal statt tausender Gräber  

„Bei der Verbrennung eines Toten bleibt nur ein Gramm Ruß übrig. Tausende Gräber passen auf ein Regalbrett”, schrieb Kasimir Malewitsch im Jahr 1919. Die Bolschewiken wollten die Friedhöfe loswerden, um die Vergangenheit auszulöschen. Im Jahr 1920 stand der bolschewistische Beamte Boris Kaplun einer Kommission vor, die den Bau eines Krematoriums organisieren sollte. „Jeder Bürger hat das Recht, nach seinem Tode verbrannt zu werden”, so warb man für die neue Bestattungsart.

Die Anlage sollte in einem der bedeutendsten Klöster Sankt Petersburg entstehen, im Alexander-Newski-Kloster. Der orthodoxen Kirche missfiel diese Wahl natürlich. Der Judenitsch-Aufstand von 1919 machte die Pläne der Bolschewiki erst einmal zunichte. Kaplun musste auf eine alte Banja auf der Wassiljewski-Insel als Standort für das Krematorium ausweichen.

Boris Kaplun

Erstmals wurde dort am 14. Dezember 1920 ein Leichnam verbrannt. Der berühmte russische Schriftsteller Kornej Tschukowski besuchte eine der ersten Einäscherungen. Im Januar 1921 schrieb er darüber: „Kaplun betrat das Krematorium, es war wie im Theater, und führte uns durch die heruntergekommenen Hallen. Wir lachten. Der Ort war pietätlos, er hatte keine Atmosphäre, er war nackt und kalt. Es gab keine Religion, nichts Poetisches, um diesem Ort Würde zu verleihen. Wir standen herum, die Hüte auf dem Kopf, rauchten und sprachen über die Toten wie über Hunde… Durch ein Fenster sahen wir den Leichnam brennen, die Flamme war so warm und einladend. Mit etwas Gas brannte es noch besser. ‘Das Gehirn brennt!’, sagte ein Ingenieur und die Arbeiter drängten sich am Fenster. Wir sahen uns an und die Begeisterung war groß. ‚Der Schädel ist geplatzt!.’, ‚Die Lunge brennt!’ Den Damen ließen wir bei dem Schauspiel höflich den Vortritt.”  

Eine Kirche, die zum Krematorium wurde

Das erste Sankt Petersburger Krematorium war zwei Monate in Betrieb. 400 Leichen wurden in dieser Zeit verbrannt, vor allem die von Bettlern, nicht identifizierten Personen und Kriegsgefangenen. Dann wurde es geschlossen, weil es unwirtschaftlich war. Doch die Regierung förderte Feuerbestattungen weiterhin. 1925 erschien in einer Moskauer Zeitschrift ein Artikel mit der Überschrift: „Einäscherungen werden immer beliebter”.

Der Bau des Moskauer Krematoriums

In Sankt Petersburg waren die Bolschewiki mit ihrem Krematorium nicht erfolgreich, in Moskau dafür umso mehr. 1927 wurde das Krematorium Donskoj direkt am Friedhof eröffnet. Dafür wurde die unvollendete Kirche des Heiligen Serafim von Sarow umgebaut, ein Ort, der für Gläubige von großer Bedeutung war. Die Kuppel der Kirche musste einem zwanzig Meter hohen Schornstein weichen. Im Keller wurden eine Leichenhalle, Duschen und Büros eingerichtet. Im Krematorium gab es eine Orgel aus dem Jahr 1898, sie kam nach dem Abriss der lutherischen Kirche in Moskaus deutschem Viertel dorthin.

Die Serafim von Sarow Kirche

Die Brennöfen wurden von Topf & Söhne gebaut, dem Unternehmen, das später auch die Öfen für die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Mauthausen-Gusen, Mogilew und das KZ von Groß-Rosen baute. Die traurigen Schicksale vieler Deutscher und Russen trafen sich in diesem Gebäude.  

Die Kirche auf dem Donskoje-Friedhof, die in ein Krematorium verwandelt wurde, 1928.

Am 29. Dezember 1926 fand in Donskoi die erste Einäscherung statt. Der Vorgang dauerte anderthalb Stunden und war hocheffizient. Im Oktober 1927 wurde das Krematorium offiziell eröffnet. Es erhielt den Spitznamen „Bühne des Atheismus”. Bis 1973 war es in Betrieb. Im Jahr 1934 wurde dort der Leichnam seines Architekten Dmitri Ossipow verbrannt. Seine Asche blieb im Gebäude.

1973 wurde in Moskau mit dem Nikolo-Archangelski-Krematorium das größte Europas eröffnet. Donskoj wurde offiziell geschlossen. Zehn Jahre lang wurden dort nur noch die Leichname hochrangiger kommunistischer Parteifunktionäre verbrannt. 1992 wurde das Gebäude zurück an die Kirche gegeben. Der Schornstein wurde abgerissen. Nun wurden dort wieder orthodoxe Messen abgehalten.

Eine provisorische Mauer trennt die Kirche jetzt von den Bauten der Sowjetzeit. Das Kolumbarium, in dem noch immer 7 000 Urnen aufbewahrt werden, müsste abgerissen werden, damit die Kirche wieder so aussieht wie zu vorrevolutionären Zeiten. Doch die Angehörigen der Toten sind dagegen, auch, weil viele der Urnen in einem schlechten Zustand sind und eine Umbettung wohl nicht überstehen würden.

Das ehemalige Moskauer Krematorium auf dem Donskoje-Friedhof, heute eine Orthodoxe Kirche

Der bekannte russische Schauspieler Alexander Schirwindt sagte im Jahr 2012: „Ich bin verärgert über die Situation. In diesem Kolumbarium liegt die Asche meiner Eltern und die meiner Schwester.“ Noch immer ist keine Lösung in Sicht. In der Kirche finden Hochzeiten, Taufen und Begräbnisse statt. Und nebenan setzen die Urnen sowjetischer Bürger Staub an und verfallen.

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