Die Legende vom „Weißen Pfeil“: Exekutierte die russische Polizei in den 90ern Kriminelle?

Die Polizisten nehmen einen mutmaßlichen Verbrecher fest

Die Polizisten nehmen einen mutmaßlichen Verbrecher fest

Alexander Owtschinnikow/TASS
Eine urbane Legende besagt, dass russische Polizisten in den 1990er-Jahren Kriminelle auf illegalem Wege bekämpften, sie auf offener Straße erschossen oder ihre Autos sprengten. Beweise und vertrauenswürdige Zeugenaussagen fehlen bis heute, aber viele sind von der Wahrheit der Überlieferungen überzeugt.

Im 1998 gedrehten Film „Renegade Force“ beschließen Beamte einer Spezialeinheit, die die Korruption und Straflosigkeit im US-Justizsystem bemängeln, knallharte Selbstjustiz gegen Kriminelle auszuüben. Die Autoren hatten vermutlich keine Ahnung, dass das was sie zeigten, im fernen Russland zu diesem Zeitpunkt Realität werden könnte.   

Viele glauben, dass in den 90er-Jahren eine Geheimpolizei namens „Weißer Pfeil“ einen versteckten Krieg gegen Mafiabosse führte und dabei auch illegale Methoden anwendete, darunter Hinrichtungen ohne Gerichtsbeschluss und Sprengstoffeinsatz.

Die wilden 90er

Auf das Ende der Sowjetunion folgte der wirtschaftliche Zusammenbruch. Der Lebensstandard sank rapide und Russland wurde von Gangsterkriegen, Morden und illegalen Geschäften geprägt.

Im Kampf um Einfluss und Wohlstand kämpften die Mafiabosse auch gegeneinander, teilweise mit tödlichem Ausgang. Viele behaupten jedoch, dass einige dieser Morde nicht von anderen Banditen begangen wurden, sondern von Polizisten, die sich entschieden hatten, fortan außerhalb des Rechtssystems zu arbeiten.

Das erste Mal wurde der „Weiße Pfeil“ 1998 von dem Mafiaboss Tigran Petrosjan erwähnt. Der Kriminelle, der sich selbst als Geschäftsmann sah, beschuldigte die Smolensker Kriminalpolizei und ihren Chef Alexander Lomtikow, mindestens einen seiner Partner brutal ermordet zu haben. Auch für das Verschwinden eines weiteren Partners machte Petrosjan die Polizisten verantwortlich.

Lomtikow und einige seiner Kollegen wurden festgenommen, aber aus Mangel an Beweisen nach einem Monat wieder freigelassen. Petrosjan wurde zwei Jahre später getötet. Der Mordfall bleibt ungeklärt.

Staatlich gefördert?

Eine Version der Legende besagt, dass der „Weiße Pfeil“ von den Behörden gegründet wurde, um den Interessen des Staates zu dienen.

Wenn Banden versuchten, auf das Territorium des Staates vorzudringen, wurden sie unschädlich gemacht. Im Jahre 1994 wurde Otari Kwantrischwili getötet. Es ist anzunehmen, dass dies geschah, weil  er Öl, Holz und Metall exportierte und plante in die Politik zu gehen.

Otari Kwantrischwili

Kwantrischwili hatte Freunde in hohen Positionen und konnte nicht einfach verhaftet werden. Deswegen besteht der Verdacht, dass der “Weiße Pfeil” eingriff.

Im selben Jahr wurde der Mercedes eines anderen Mafiabosses, Sergej Timofejew (auch als „Sylwestr“ bekannt) in die Luft gejagt. Zuvor war der “Geschäftsmann” in das Ölgeschäft eingestiegen.

Sergej (

Die Gangster konzentrierten sich auf kleine und mittelständische Unternehmen, wodurch dem Staat Steuereinnahmen entgingen. Angeblich löste die Spezialeinheit das Problem, in dem sie die gefährlichsten Kriminellen liquidierte.

Moderne Robin Hoods

Andere glauben, dass der Staat an der Gründung des „Weißen Pfeiles“ unbeteiligt war. Stattdessen behaupten sie, dass es sich um eine private Initiative einiger Polizeibeamter handelte, die ausufernde Korruption und Ungerechtigkeit nicht mehr länger hinnehmen wollten.

Bei den Mitgliedern des “Weißen Pfeiles“ handelte es sich demnach um erfahrene Beamte der Spezialeinheiten und des FSB, die Mafiabosse jagten, an die sie mit legalen Methoden nicht herankommen konnten. Sie ließen Kriminelle spurlos verschwinden, sprengten ihre Autos, erschossen sie auf offener Straße und feierten sich dabei als moderne Robin Hoods.

Ohne Spuren

Es wird angenommen, dass der „Weiße Pfeil“ oft selbst auf die Dienste Krimineller zurückgriff. Auch der berühmte Auftragsmörder Alexander Solonik soll für die Geheimorganisation gearbeitet haben.

Alexander Solonik

Als ehemaliger Polizist hatte er nach wie vor guten Kontakt zu seinen damaligen Kollegen. In ihren Geheimoperationen hätte er von großem Nutzen sein können. 1995 entkam Solonik unter mysteriösen Umständen aus dem Gefängnis und floh nach Griechenland. Dort wurde er zwei Jahre später umgebracht.

1998 starben am selben Tag zwei Mitglieder der Kurgan-Bande im Gefängnis. Mutmaßlich hatten sie Verbindungen zum „Weißen Pfeil“ und planten, gegen die Rächer in Uniform auszusagen.

Anfang der 2000er sank die Kriminalitätsrate wieder und die Legende vom „Weißen Pfeil“ verblasste. Viele Morde an Mafiabossen bleiben aber bis heute ungelöst. Zeugen gibt es keine, weswegen man die Existenz des „Weißen Pfeils“ weder beweisen noch widerlegen kann.

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