Das Kurtschatow-Institut: Von der ersten sowjetischen Atombombe bis zum russischen Internet

Geschichte
KSENIA SUBATSCHJOWA
Das als streng geheimes Labor zur Entwicklung der sowjetischen Atombombe während des Zweiten Weltkriegs gegründete Kurtschatow-Institut erfüllte nicht nur diese Aufgabe, sondern brachte auch viele weitere Innovationen hervor: darunter die erste thermonukleare Bombe weltweit sowie das erste industrielle Atomkraftwerk der Welt.

Von der ersten sowjetischen Atombombe bis zum russischen Internet - das Kurtschatow-Institut für Atomenergie ist in Russland seit langem eine Innovationsschmiede. 

„Die innerhalb der Mauern des Instituts konstruierten Kernreaktoren, die in der Industrie, im Schiffbau, in der Medizin, im Weltraum und in der Verteidigung eingesetzt werden, sind zu Symbolen der Macht unseres Staates geworden“, sagte der russische Präsident Wladimir Putin anlässlich der Jubiläumsfeier. 

Wer war der Namensgeber Igor Kurtschatow? Und was waren die wichtigsten Errungenschaften des Instituts? Wir sagen Ihnen, was Sie über diese Institution wissen müssen, die für den russischen Nuklearsektor nach wie vor von zentraler Bedeutung ist.

Geheimlabor 2

Das 1943 gegründete Kurtschatow-Institut hieß ursprünglich „Labor Nr. 2“. Dieser unauffällige Name sollte davon ablenken, dass hier an der Entwicklung der allerersten Atombombe geforscht wurde. In allen Dokumenten wurde das Labor als „Montagewerkstatt“ geführt, Uran als Silizium bezeichnet. Alle Projektteilnehmer durchliefen ein komplexes System von Sicherheitskontrollen und mussten die offiziellen sowjetischen Geheimhaltungsgesetze unterzeichnen. 

Erst 1960 wurde das Institut nach Igor Kurtschatow, einem herausragenden Kernphysiker und erster Leiter des Instituts, benannt. Unter seiner Führung gelang es den sowjetischen Wissenschaftlern 1949 tatsächlich, die erste Atombombe zu entwickeln. Weitere wissenschaftliche Erfolge unter Kurtschatows Leitung waren die Entwicklung des ersten  Zyklotrons in Moskau (1944), des ersten europäischen Kernreaktors (1946), der weltweit ersten thermonuklearen Bombe (1953), des weltweit ersten industriellen Atomkraftwerks (1954), des ersten sowjetischen Atomreaktors für U-Boote (1958) und Eisbrecher (1959) sowie der größten Anlage für kontrollierte thermonukleare Reaktionen (1958).

Kurtschatow war charakterstark. Er inspirierte seine Kollegen. Weggefährten erinnern sich an eine energische und fröhliche Führungspersönlichkeit. Niemand sonst hat bessere Arbeit geleistet als er. Kurtschatow nahm sich viel Zeit. Er besuchte jede Abteilung des Instituts, überprüfte die Fortschritte, sprach mit den Kollegen und motivierte sie, sich neue Ziele zu setzen. Die Mitarbeiter freuten sich auf die Begegnung mit dem Institutsleiter. Sie sorgten für Inspiration und blieben lange in Erinnerung.

„Unter den tausenden von Menschen, die sich damals mit Atomwissenschaft befassten, gab es niemanden, der beliebter und geachteter war als dieser Riese mit dem schleppenden Gang und den Klumpfüßen. Seine Augen strahlten. Er wurde ‚Bart‘ genannt“, schrieb der Physiker Anatoli Alexandrow, der zweite Direktor des Instituts, über Kurtschatow. 

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Damals und heute  

Später, im Jahr 1968, erzielte das Institut mit der Entwicklung des Tokamak-Reaktors, einer Ringkammer mit Magnetspulen, sensationelle Ergebnisse beim Plasmaeinschluss. Der Tokamak ist noch immer das weltweit wichtigste Instrument für die kontrollierte Kernfusion.

Im darauffolgenden Jahrzehnt entwickelten die Wissenschaftler mikroelektronische Technologien, einschließlich Ionenimplantation, Lithographie, Plasmachemie und Dünnschichten. All dies sind Grundlagen für die Entwicklung der Nanotechnologie am Institut, die Schaffung von Hybridsystemen und Supercomputern. 1975 kam ein neuer großer Tokamak T-10 auf den Markt. Noch heute wird er zur Überprüfung von Geräten für den ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) verwendet, den ersten experimentellen thermonuklearen Reaktor der Welt. Im Institut steht zudem der große Tokamak T-15 mit einem supraleitenden Magnetsystem.

Das Kurtschatow-Institut ist auch direkt mit der Entstehung des Internets in der Sowjetunion und später in Russland verbunden. Am 1. August 1990 wurde das erste Computernetz der Union-Skala Relcom gegründet. Zunächst mussten Computer in wissenschaftlichen Einrichtungen in Moskau, Leningrad, Nowosibirsk und Kiew miteinander verbunden werden. Am 28. August fand auf dem Gebiet der UdSSR die erste internationale Konferenz via Computer mit der Universität von Helsinki statt.

Heute bestehen unter dem Dach des Kurtschatow-Instituts eine Reihe separater Forschungszentren, die sich mit vielfältigen wissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Das zentrale Thema des Zentrums bleibt die Sicherheit der Kernenergie, kontrollierte Kernfusion und Plasmaprozesse, Kernphysik mit niedriger und mittlerer Energie, Festkörperphysik und Supraleitung sowie Mesonenchemie. Auch auf dem Gebiet der Nano- und Biotechnologie, der Entwicklung neuer Materialien und Arzneimittel werden ernstzunehmende Forschungen durchgeführt. Zwei der interessantesten Projekte, an denen derzeit im Institut gearbeitet wird,  ist zum einen die Suche nach Lösungen zum Schutz des Menschen vor Weltraumstrahlung, um auch einen langfristigen Aufenthalt im All möglich zu machen, sowie zum anderen die Beschäftigung mit der Frage, wie negative Erinnerungen ausgelöscht werden könnten (wie zum Beispiel bei der Behandlung des Afghanistan-Syndroms).

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