Im August 1991 rollten Panzer über Moskaus Roten Platz und Menschen bauten Barrikaden auf Brücken. Sergej Krikaljow bekam von all dem nur wenig mit. Er verbrachte diese unruhige Zeit 350 Kilometer über der Erde auf der Raumstation „Mir“. Doch auch für ihn hatten die Ereignisse in diesem Jahr gravierende Auswirkungen. Das Land, das versprochen hatte, ihn zurückzuholen, existierte nicht mehr. So kam es, dass Krikaljow als „letzter Sowjetbürger“ bekannt wurde.
Vier Monate zuvor hatten sich der 33-jährige Flugingenieur Krikaljow und seine Crew vom Kosmodrom in Baikonur (heute Kasachstan) aus auf den Weg in Richtung All gemacht. Fünf Monate sollte die Mission dauern. Für diese Zeit waren die Kosmonauten auch trainiert.
Doch dann kam es zum Staatsstreich und alles änderte sich. „Es ist nicht genug Geld da, um Sie runterzuholen“, sagte man zu Krikaljow. Man bat ihn, einfach etwas länger auf der Raumstation zu bleiben. Ein Monat verging und er erhielt dieselbe Aufforderung. Einen weiteren Monat später konnte man ihm immer noch nicht sagen, wann er wieder nach Hause könne. Gegenüber dem Discover Magazine berichtete (eng) er: „Sie sagten, es würde anstrengend für mich werden und meine Gesundheit gefährden. Aber das Land befinde sich in Schwierigkeiten und jede Chance, Geld zu sparen, müsse genutzt werden.“
Tatsächlich hätte er eine Chance gehabt, die Raumstation zu verlassen. An Bord der „Mir“ befand sich eine Raduga-Kapsel, mit der Kosmonauten in Notfällen auf die Erde zurückreisen konnten. In Krikaljows Fall wäre dann jedoch niemand mehr dagewesen, der die Systeme der Raumstation hätte überwachen können. Vermutlich wäre dies das Ende der „Mir“ gewesen.
„Ich fragte mich, ob ich stark genug war, hier oben auszuharren. Ich war mir nicht immer sicher”, gibt er zu. Tatsächlich können zu lange Weltraumaufenthalte gefährlich werden. Muskelatrophien, Strahlung, Krebs-Risiko und die allmähliche Schwächung des Immunsystems sind nur einige der potentiellen Gesundheitsrisiken im All.
Am Ende blieb Krikaljow 311 Tage im Weltraum – doppelt so lange wie ursprünglich vorgesehen. Zwei Raumschiffe fuhren in dieser Zeit in Richtung „Mir” (geplant waren vier). Jedoch hatte keine davon Platz für einen zusätzlichen Passagier.
Aufgrund der Hyperinflation brauchte Russland damals dringend Geld und verkaufte Plätze an Bord seiner Sojus-Raketen an westliche Staaten. Österreich erwarb zum Beispiel einen Platz für 7 Millionen US-Dollar, Japan sendete einen Fernsehjournalisten für 12 Millionen US-Dollar ins All.
Auch ein Verkauf der Mir-Raumstation wurde erwogen. Daher holte man auch alle Crew-Mitglieder außer Ingenieur Sergej zurück auf die Erde. Allein im All fragte Sergej, ob man ihm etwas Honig bringen könnte. Die Bodenstation antwortete, dass man keinen Honig habe und schickte ihm stattdessen Zitronen und Meerrettich.
Am 25. März 1992 kehrte Krikaljow auf die Erde zurück. Deutschland hatte zuvor 24 Millionen US-Dollar bezahlt, um Klaus-Dietrich Flade auf die Mir zu schicken. Dieser konnte Krikaljow ersetzen.
Aus der Sojus-Kapsel stieg ein Mann mit den kyrillischen Buchstaben CCCP (die Abkürzung für die Sowjetunion) und einer roten Flagge auf dem Raumanzug. Er sah „bleich und schwitzig wie ein nasser Hefeteig” aus, schrieben Medien. Vier Männer halfen ihm, die Füße wieder auf den Boden zu setzen. Einer warf ihm einen Fellmantel über, ein anderer brachte ihm etwas Brühe.
Der Ort seiner Landung, die Vororte der Stadt Arkalych, gehörten inzwischen nicht mehr zur Sowjetunion, sondern zum unabhängigen Staat Kasachstan und Krikaljows Heimatstadt hieß nicht mehr Leningrad, sondern Sankt Petersburg. Sein Monatslohn von 600 Rubel, zum Zeitpunkt seines Abfluges ein guter Lohn für einen Akademiker, war inzwischen fast nichts mehr wert. Selbst ein Busfahrer verdiente doppelt so viel.
Trotzdem sagte Krikaljow auf einer Pressekonferenz ein paar Tage später: „So groß ist die Veränderung nicht. Ich lebte in Russland, was damals Teil der Sowjetunion war. Heute lebe ich immer noch in Russland, was aber inzwischen Teil der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist.“
Krikaljow wurde als Held Russlands geehrt und reiste zwei Jahre später erneut ins Weltall. Dieses Mal war er der erste Russe, der in einem NASA-Shuttle mitfliegen durfte. Ein paar Jahre später war er dann der erste Mensch auf der neuen internationalen Raumstation ISS.
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