Allein im Jahre 1953, dem Jahr in dem Stalin starb, saßen in der Sowjetunion 5,4 Millionen Menschen in Haft. Die Zahl der Leute, die insgesamt während der Herrschaft des Sowjetdiktators verhaftet und getötet wurden, sei jedoch viel höher, betont (rus) der Historiker Wiktor Semskow. Unter den Millionen Opfern waren auch zahlreiche Prominente.
Alexander Solschenizyn (1918 – 2008)
Solschenizyn, damals ein Kapitän der Roten Armee, wurde 1945 festgenommen, weil er Stalin in privaten Briefen kritisiert hatte. Zunächst arbeitete der gelernte Mathematiker in den sogenannten Scharaschkas. In diesen geheimen Forschungslaboren waren die Lebensbedingungen einigermaßen erträglich. Bald darauf schickte man ihn jedoch in ein Arbeitslager in Kasachstan, wo er unter brutaler Gewalt und Ungerechtigkeit litt.
Nachdem Nikita Chruschtschow 1956 den Personenkult um Stalin abschaffte und die Repressionen publik machen ließ, wurde Solschenizyn rehabilitiert und durfte nach Moskau zurückkehren. Dort veröffentlichte er 1962 das erste Buch über einen sowjetischen Strafgefangenen: Ein Tag im Leben des Iwan Denisowitsch. Das Buch schockierte die ganze Welt und brachte Solschenizyn 1970 einen Literaturnobelpreis ein.
Auch danach arbeitete der Autor daran, die Wahrheit über das sowjetische Straflagersystem einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sein Werk Archipel Gulag, in dem er noch mehr Geschichten aus den Straflagern erzählt, wurde ebenfalls weltberühmt. Nach Jahren der Unterdrückung zwangen ihn die sowjetischen Behörden 1974, das Land zu verlassen. Erst zwanzig Jahre später kehrte er zurück.
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Warlam Schalamow (1907 – 1982)
Auch Schalamow verarbeitete seine Zeit im Gulag später literarisch und benutzte dabei sogar eine noch düsterere Sprache als Solschenizyn. Als Mitglied einer trotzkistischen Organisation wurde Schalamow gleich drei Mal verurteilt und verbrachte insgesamt 14 Jahre im Gulag. Die meiste Zeit saß er in Kolyma, einer abgelegenen Region im Fernen Osten, deren Straflager berüchtigt für ihre unmenschlichen Bedingungen waren. Selbst in den harten Wintern (bis zu 40 Grad minus) mussten die Gefangenen in Bergwerken arbeiten.
Erzählungen aus Kolyma, eine umfangreiche Sammlung aus Kurzgeschichten, die das Leben in den Lagern beschreiben, ist bis heute eines der erschreckendsten Werke der russischen Literatur. Es beschreibt, wie Leben durch Kälte, Hunger und Sklavenarbeit zu bloßem Überleben verkommt und Menschen sich wie Tiere verhalten. „Die Lager waren in jeder Hinsicht Schulen des Schlechten. Niemand wird je etwas Positives oder Notwendiges von dort mitnehmen“, sagte Schalamow.
Ossip Mandelstam (1891 – 1938)
Als Mandelstam, einer der bekanntesten Dichter seiner Zeit, 1933 das Gedicht „Das Stalin-Epigramm“ schrieb, sprach der Schriftsteller Boris Pasternak von einem „suizidalen Akt“ (rus). Tatsächlich war dermaßen offene Kritik an Stalin in den frühen 1930er-Jahren zumeist das Todesurteil für den Verfasser:
Wir Lebenden spüren den Boden nicht mehr,
Wir reden, dass uns auf zehn Schritt keiner hört,
Doch wo wir noch Sprechen vernehmen, –
Betrifft's den Gebirgler im Kreml.
Seine Finger sind dick und, wie Würmer, so fett,
Und Zentnergewichte wiegts Wort, das er fällt,
Sein Schnauzbart lacht Fühler von Schaben,
Der Stiefelschaft glänzt so erhaben.
Schmalnackige Führerbrut geht bei ihm um,
Mit dienstbaren Halbmenschen spielt er herum,
Die pfeifen, miaun oder jammern.
Er allein schlägt den Takt mit dem Hammer.
Befehle zertrampeln mit Hufeisenschlag:
In den Leib, in die Stirn, in die Augen, – ins Grab.
Wie Himbeeren schmeckt ihm das Töten –
Und breit schwillt die Brust des Osseten.
Der „Gebirgler im Kreml“ hörte die Botschaft. Die Jahre 1934 bis 1937 verbrachte Mandelstam im Exil in Woronesch, 500 Kilometer südlich von Moskau. Danach durfte er in die Hauptstadt zurückkehren, wurde aber kurz darauf wieder festgenommen. Diesmal verurteilte man ihn wegen „antisowjetischer Propaganda“ zu fünf Jahren in einem Arbeitslager im Fernen Osten. Auf dem Weg dorthin starb er, völlig erschöpft, an Typhus.
Sergej Koroljow (1907 – 1966)
Bis heute ist der Wissenschaftler Sergej Koroljow eine Ikone der Raumfahrtgeschichte. Er prägte das sowjetische Raumfahrtprogramm, machte die Sowjetunion zu einer Weltraummacht und war für den erfolgreichen Start des ersten Satelliten sowie für Gagarins Reise ins Weltall verantwortlich. Ein paar Jahre zuvor ahnte niemand, dass Koroljow einmal eine solche Karriere hinlegen würde.
1938 wurde Koroljow festgenommen und wegen „Sabotage“ zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Strafe wurde später zwar auf acht Jahre reduziert, aber Koroljow hatte trotzdem sehr viel Glück, diese Zeit zu überleben. Sein erstes Jahr verbrachte er in Kolyma, wo man ihn foltern ließ. Ab 1940 arbeitete er mit anderen gefangenen Wissenschaftlern in einem Geheimlabor. Nach seiner Freilassung arbeitete er in den 1950er-Jahren an Waffen- und Weltraumprojekten. Erst 1957 wurde er vollständig rehabilitiert.
Nikolai Wawilow (1887 – 1943)
Als Genetiker und Botaniker reiste Wawilow einmal um die ganze Welt. Er besuchte alle Kontinente außer Australien und die Antarktis und beobachtete dort Pflanzen und ihre typischen Eigenschaften. Danach arbeitete er für das Institut für Pflanzenindustrie an der Verbesserung von Weizen, Mais und anderem Getreide. All das rettete ihn jedoch nicht vor dem Großen Terror der 30er-Jahre. Stalin sah Wawilows Fachgebiet, die Genetik, als Pseudowissenschaft an und ließ den renommierten Forscher verfolgen.
Nach Wawilows Festnahme 1940 wurde er unter Folter dazu gezwungen, Sabotage und die Gründung einer (nichtexistierenden) geheimen Bauernpartei zuzugeben. Man verurteilte ihn zum Tode. 1942 wurde er wieder begnadigt und das Präsidium des Obersten Sowjets reduzierte seine Strafe auf 20 Jahre Haft. Gebracht hat ihm dies jedoch nichts: Wawilow starb 1943 im Gefängnis. Seine von Stalin als „pseudowissenschaftlich” abgetanen Arbeiten trugen dennoch zum Fortschritt der Genetik bei. 1954 wurde er rehabilitiert.