Für die Sowjets waren Debatten in der Küche ein nationaler Zeitvertreib: Politische Debatten außerhalb der Kommunistischen Partei waren seit den 1930er Jahren verboten und jede öffentlich zum Ausdruck gebrachte Kritik oder nur Skepsis gegenüber dem Generalsekretär war ein riskantes Unterfangen. Daher verbrachten russische Dissidenten Stunden in Küchen. Dort diskutierten sie flüsternd mit den engsten Vertrauten. Andernorts konnten sie davon nur träumen.
Nikita Chruschtschow, von 1953 bis 1964 Sowjetführer, war keinesfalls ein Dissident, doch er brachte die Küchendebatte 1959 auf eine ganz neue Ebene: Mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Richard Nixon diskutierte er in einer „amerikanischen Küche” bei einer Ausstellung in Moskau.
Brücken bauen
In diesem Jahr organisierten sowohl die UdSSR als auch die USA nach dem 1958 verabschiedeten bilateralen Kulturabkommen Ausstellungen, bei denen die industriellen Errungenschaften jedes Landes präsentiert wurden und das gegenseitige Verständnis gefördert werden sollte. Eine der Ausstellungen fand in New York statt, die andere in Moskau.
„Die Sowjets konzentrierten sich darauf, ihre Fortschritte in Wissenschaft und Technologie zu zeigen", schrieb (rus) Alexeij Fominych in einem Beitrag zur Ausstellung. Sie brachten Raketen, Satelliten (das kosmische Rennen war in vollem Gange), ein Atomschiff und weitere Errungenschaften nach New York.
„Die Amerikaner entschieden sich für einen anderen Ansatz. Sie haben im Gegensatz zu den Sowjets den US-amerikanischen Alltag in den Mittelpunkt der Ausstellung gestellt”, so Fominych.
Anstatt ihr militärisches und weltraumtechnisches Potential zu präsentieren, beschlossen die Informationsagentur der Vereinigten Staaten (USIA) und das Handelsministerium, das sowjetische Volk mit den Vorzügen des Kapitalismus zu locken: chromglänzende Autos, exklusive Kosmetik und Pepsi Cola.
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Atemberaubende Ausstellungsstücke
Die Bosse der Kommunistischen Partei haben ihr Bestes gegeben, um den ideologischen Schaden zu begrenzen: Es wurde den Amerikanern verboten, antisowjetische Literatur zu präsentieren oder politische Debatten zu veranstalten. Die Ausstellung musste unpolitisch sein. Die Amerikaner waren damit einverstanden. Es stellte sich heraus, dass keine Propaganda notwendig war, um das sowjetische Volk in Erstaunen zu versetzen.
Innerhalb von sieben Monaten entstanden mehrere Pavillons, darunter auch die von George Nelson entworfene „goldene Kuppel“.
„Diese Kuppel hat bei allen den größten Eindruck hinterlassen. Sie war schon beim Verlassen der U-Bahn-Station Sokolniki zu sehen und war ein echter Blickfang“, erinnert sich (rus) der Kunsthistoriker Wladimir Aronow, der die Ausstellung häufig besuchte.
In der goldenen Kuppel waren sieben riesige Bildschirme installiert worden, auf denen ein Film über das Leben in den USA gezeigt wurde. Zudem wurden wissenschaftliche Exponate präsentiert. Besonders beeindruckend war ein IBM RAMAC-Computer, der darauf programmiert war, Fragen zu Amerika zu beantworten. Noch beliebter waren aber die Pavillons, in denen der Alltag der Amerikaner gezeigt wurde.
Einfaches Vergnügen
„Die Amerikaner hatten die Idee, dass Design, das die Welt wirklich verändert, nicht über den Vordereingang in unsere Häuser gelangt, sondern über Küchen, Bäder und Garagen“, sagt Wladimir Aronow.
So präsentierten 768 amerikanische Hersteller ihre Produkte, vom Spielzeug bis zum Küchenset - und die Sowjets liebten sie. Die Ausstellung dauerte sechs Wochen. Sie hatte 2,7 Millionen Besucher.
Die amerikanische Autoindustrie begeisterte vor allem die Männer. „Auch ein halbes Jahrhundert später ist die Ausstellung dank der Cadillacs, Buicks und Lincolns mit ihrem „Detroit Baroque“ - Design noch im Gedächtnis geblieben. Sie verursachte einen Kulturschock”, heißt es (rus) auf der russischen Webseite „Oldtimer.ru”.
Die Damen favorisierten die Kosmetik- und Make-up-Pavillons und die Modenschauen. „Dreimal am Tag tanzten Mannequins in russischen Pelzmänteln mit jungen Amerikanern Rock-n-Roll.“
Jeder Besucher konnte so viel Pepsi Cola trinken, wie er wollte. Es war das erste Mal, dass die Moskowiter in den Genuss des kapitalistischen Soda kamen. Sogar Nikita Chruschtschow nahm beim Besuch der Ausstellung einen Schluck und schien zufrieden zu sein.
Nick gegen Dick
Der für seine Streitlustigkeit berühmte Sowjetführer fand in der Ausstellung einen würdigen Gegner - Richard Nixon, der als Vizepräsident der USA die Eröffnung am 25. Juli vornahm. Die beiden diskutierten über die Vor- und Nachteile der sowjetischen und amerikanischen Lebensweise, während Nixon Chruschtschow durch die Ausstellung führte, einschließlich einer Besichtigung einer „typischen amerikanischen Küche”. So entstand der Name „Küchendebatte”:
Chruschtschow behauptete, dass die Ausstellung - bei allem Respekt - nicht so beeindruckend und das sowjetische Design durchaus wettbewerbsfähig genug sei.
„Ihre amerikanischen Häuser sind nur für zwanzig Jahre gebaut, so dass die Bauunternehmer am Ende neue Häuser verkaufen können. Wir bauen für die Ewigkeit, für unsere Kinder und Enkelkinder“, sagte (eng) er zu Nixon.
Der US-Vizepräsident wehrte sich: „Dieses Exponat sollte nicht Staunen, sondern Interesse auslösen. Es zeigt die Vielfalt, das Recht zu wählen. Die Tatsache, dass wir 1.000 Bauunternehmer haben, die 1.000 verschiedene Häuser bauen können, ist das Entscheidende. Bei uns trifft nicht ein hoher Regierungsbeamter die Entscheidungen.”
Chruschtschow gab daraufhin zu, dass die Qualität der Möbel, Autos und Alltagsgegenstände aus den USA sehr gut sei. Er war jedoch überzeugt, dass die UdSSR in sieben Jahren auf dem gleichen Niveau sein würde und mehr noch: „Wir werden euch überholen und im Vorübergehen winken und ‚Hallo’ rufen.“
Freundfeinde
Obwohl die Debatte recht hitzig geführt wurde, auch wegen Chruschtschows Talent für Ausgefallenheiten – so benutzte er zum Beispiel den sehr seltenen Ausdruck „Wir fangen keine Fliegen mit den Nasenlöchern”, was so viel bedeutet wie „Wir verschwenden keine Zeit”, womit er den Übersetzer an den Rande eines Herzinfarktes brachte – lächelten die beiden Männer die ganze Zeit. Sie gingen auch recht freundlich miteinander um.
Es war nur drei Jahre vor der Kubakrise - aber während der Ausstellung war der Gedanke an einen Krieg in weiter Ferne. „Als wir die Ausstellung verließen, hatten wir das Gefühl, dass die Welt ein besserer Ort für uns alle werden könne”, erinnert sich Aronow. Leider ist es nie so gekommen und wer weiß, ob es jemals dazu kommen wird.