Katja Lytschewa: Die Greta Thunberg des Kalten Krieges

Wiktor Welikschanin, Walentin Kusmin/TASS
In den 1980er Jahren waren die Mädchen Samantha Smith und Katja Lytschewa die Friedensengel im Kalten Krieg. Die US-Amerikanerin und ihre sowjetische „Kollegin” Katja eroberten die Herzen (außer vielleicht das von Sylvester Stallone…) der Welt.

In den 1980er Jahren waren die Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA auf dem Tiefpunkt. Das Wettrüsten hatte dagegen seinen Höhepunkt erreicht. In Europa waren hunderte Atomraketen stationiert, in beide Richtungen. US-Präsident Ronald Reagan bezeichnete die Sowjetunion öffentlich als „Reich des Bösen”. Es schien, als sei ein Krieg nur einen Wimpernschlag entfernt. 

Damals half die zehnjährige Amerikanerin Samantha Smith, das Eis zwischen Moskau und Washington zu brechen. In einem herzergreifenden Brief (eng) an Generalsekretär Juri Andropow fragte sie: „Werden Sie für einen Krieg stimmen oder nicht?“ Die Welt horchte auf.

Andropow antwortete Samantha und versicherte ihr, dass niemand in der UdSSR Krieg wolle und lud sie ein, das Land zu besuchen. Sie nahm das Angebot an und die ganze Welt folgte ihrer Reise durch die UdSSR. Samantha lernte in der UdSSR freundliche, friedliche Menschen kennen und machte viele neue Bekanntschaften. Ihr jugendlicher Idealismus wurde zum Symbol der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für alle. 

Tragischerweise starb Samantha 1985, nur zwei Jahre nach ihrer Reise, bei einem Flugzeugabsturz.

Bald schon übernahm ein anderes Mädchen die Rolle der „globalen Friedensbotschafterin - Katja Lytschewa aus der Sowjetunion. In ihrer Heimat war sie jedoch weit weniger beliebt als Samantha.

>>> Vier US-Amerikaner, die sich in der Sowjetunion großer Popularität erfreuten

Warum Katja in der UdSSR unbeliebt war 

Als Katja 1986 zum ersten Mal in die USA reiste, gab es Gerüchte, sie sei eine Verwandte von Außenminister Andrei Gromyko und könne nicht einmal Englisch sprechen. „Über Katja wurde viel Schmutz ausgeschüttet. Ich halte das für völlig ungerechtfertigt“, sagt Ljubow Michailowa, die in den 1980er Jahren Journalistin bei der „TASS“ war. 

Katjas Reise war keine Idee der Sowjets, sondern der USA. Nach dem Tode Samanthas und ihres Vaters schlugen ihre Mutter Jane und die von ihr gegründete Organisation Children as Peacemakers vor, dass die UdSSR ein sowjetisches Schulmädchen in die USA schicken solle, um Samanthas Mission weiterzuführen.

Die Sowjetunion stimmte zu. An dem Auswahlverfahren nahmen etwa 6.000 Hoffnungsträger teil. Die Wahl fiel auf Katja Lytschewa. Ihre Eltern waren Akademiker und sie selbst besuchte eine englische Schule in Moskau. Darüber hinaus hatte sie einige schauspielerische Erfahrungen aus drei Filmen. Ihr Aussehen war ebenfalls ein entscheidender Faktor. Mit ihren hellen Locken und den blauen Augen war nahezu sicher, dass die Amerikaner sie lieben würden. 

Katja trifft Ronald

Während Katjas Reise in die USA erschienen in den Medien regelmäßig Katjas Berichte. Später wurden sie als Buch veröffentlicht. Sie beschreibt darin die Begegnung mit dem US-Präsidenten: 

„Nach fünf Minuten erschien Mr. Reagan, streckte die Hand aus und sagte, er sei sehr erfreut, mich im Weißen Haus zu sehen. Ich gab ihm ein Spielzeug und erklärte, es sei von sowjetischen Kindern hergestellt worden, die sich wie alle in unserem Land Frieden wünschten. Mr. Reagan antwortete, dass er, obwohl er kein Kind mehr sei, auch vom Frieden träume und versprach, alles zu tun, um sicherzustellen, dass keine Atomwaffen mehr auf der Erde sind. Er wünschte meiner Mutter und mir eine gute Zeit in Amerika und sagte, er beneide uns, weil wir am Tag zuvor im Zirkus waren, während er keine Zeit hatte, dorthin zu gehen.” 

Katja trifft den anderen Ronald 

Als Katja zum ersten Mal McDonalds besuchte, erreichte die Berichterstattung ihren Höhepunkt. Der Anblick eines sowjetischen Mädchens, das in Amerika Big Mac und Pommes isst, erregte nicht weniger Aufsehen als ihr Treffen mit Reagan.

„Wir haben an diesem Tag bei McDonald's zu Mittag gegessen. Ich hatte bereits gehört, dass es sich um eine bekannte Kette kleiner Restaurants handelt. Am Eingang begrüßte uns ein lachender Clown in einer riesigen roten Perücke. Ich dachte, ich wäre wieder im Zirkus ... Aber alles dort war wirklich lecker. Sie brachten uns ein appetitliches Sandwich namens Big Mac und knusprige Kartoffelscheiben. Ich wollte das Sandwich essen, aber jedes Mal, wenn ich es an meinen Mund führte, blitzten so viele Kameras auf, dass es unmöglich war.”  

In der UdSSR wusste noch niemand was McDonalds war. Es sollten weitere vier Jahre nach Katjas Reise vergehen, bis das Fast-Food-Imperium dort seine erste Filiale eröffnete. In den ersten Monaten war das McDonald's Restaurant in der Puschkinskaja eine Art Pilgerstätte. Die Menschen warteten in endlosen Schlangen davor. 

>>> Geschmack des Westens: Wie der erste McDonald‘s die Russen euphorisierte (BILDER)

Katja schickt Rocky auf die Bretter 

Katjas Eindrücke von ihrem amerikanischen Abenteuer waren nicht alle positiv. Vor allem war sie schockiert von dem Film „Rocky IV”, in dem Sylvester Stallones Titelfigur der sowjetischen Kampfmaschine Drago (gespielt von Dolph Lundgren) gegenübersteht.

In ihren Notizen schrieb (eng) sie: „Als Drago [Creed] tötete, rannte ich ins Schlafzimmer, warf mich aufs Bett und brach in Tränen aus. Es hat mich verletzt, wie fälschlicherweise und grausam unser Land dargestellt wurde ... Am nächsten Tag sagte ich in einem Fernsehinterview, dass kein Wort wahr sei [in „Rocky IV“]. Sogar die Gesichter der Sowjets sahen nicht echt aus. Ich schäme mich für die Erwachsenen, die den Film gemacht haben.“

Ihre Äußerungen sorgten in den US-Medien für Aufsehen: „Was an diesem Film zu beanstanden ist, ist nicht der Konflikt zwischen den Figuren, sondern der ständige und unbändige Druck auf das Publikum, das russische Volk und seine Regierung zu verachten, zu bemitleiden und zu erniedrigen, schrieb (eng) Carol Basset von der „Chicago Tribune” zu Katjas Unterstützung. 

>>> „Hölle auf Erden“: Hollywoods verzerrtes Bild sowjetischer Geschichte

Zurück in der Heimat  

In den Tagen und Wochen nach ihrer Reise war Katja eine Sensation in der UdSSR - jeder wollte wissen, wie Amerika aussieht, was die Leute dort essen, wie sie sich anziehen, was sie lesen. Sie nahm an öffentlichen Veranstaltungen teil, erhielt säckeweise Post. Es wurde viel über sie geschrieben und erzählt.  

Zeit für ein normales Leben und den Kontakt zu Gleichaltrigen blieb ihr kaum. Irgendwann entschied Katja mit ihrer Familie, dass sie genug vom Leben im Rampenlicht hatten. Bald darauf verschwand der Name Katja Lytschewa aus den sowjetischen Medien.

Sie zog später mit ihrer Mutter nach Frankreich und studierte an der Pariser Sorbonne Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Im Jahr 2000 kehrte sie nach Russland zurück. Heute spricht die erwachsene Jekaterina aus Prinzip nicht mit Journalisten. Die mediale Aufmerksamkeit, die sie als Kind erhielt, reichte für ein ganzes Leben. 

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!