Warum wurde die UdSSR 1939 kein Verbündeter des Westens?

Pawel Kusmitschew; Fjodor Kislow/МАММ/МDF/russiainphoto.ru
Vor mehr als 80 Jahren mühten sich Moskau, London und Paris um eine Allianz gegen Hitler. Doch das zögerliche Verhalten der Westmächte führte dazu, dass Stalin schließlich einen Pakt mit den Deutschen schloss.

Im Frühjahr 1939 verschärfte sich die Lage in Europa. Die Appeasement-Politik Großbritanniens und Frankreichs war gescheitert. 

Der britische Premierminister Neville Chamberlain und sein französischer Amtskollege Eduard Daladier hatten zuvor zugesehen, wie Deutschland den Nachbarstaat Österreich annektiert und dann die Tschechoslowakei gezwungen hatte, das mehrheitlich von Deutschen bewohnte Sudetenland aufzugeben. 

Chamberlain reiste nach München, um einen Vertrag mit Hitler zu schließen und brüstete sich nach seiner Rückkehr damit, dass es nun friedlich bleiben würde. Doch schon sechs Monate später brach Hitler die Vereinbarung und besetzte auch den Rest der Tschechoslowakei. Nun war klar, dass Deutschland kein verlässlicher Partner sein würde, den man kontrollieren könnte. Der Westen streckte seine Fühler nun Richtung Moskau aus. 

Stalins Zeichen 

Einige Tage bevor deutsche Truppen in die Tschechoslowakei vorrückten, hielt Josef Stalin auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei in Moskau eine Rede. „Aggressor-Staaten fordern einen Krieg heraus, indem sie die Interessen friedlicher Staaten, insbesondere Englands, Frankreichs und der USA, nicht beachten… Wir unterstützen die Länder, die Opfer der Aggression werden und kämpfen für die Unabhängigkeit ihrer Heimat.” 

Dies war ein eindeutiges Zeichen, dass Moskau bereit war, mit den westlichen Demokratien zu verhandeln, obwohl die Sowjetunion sie nach wie vor als feindliche Kapitalisten betrachtete.

Stalin hatte verstanden, dass die UdSSR selbst dringend Verbündete wie Großbritannien und Frankreich brauchte, um sich den Achsenmächten entgegenstellen zu können. Eine Zwei-Fronten-Koalition gegen Hitler schien im Jahr 1939 ein geeignetes Mittel, ihn zu stoppen. 

Und auch dem Westen war der Ernst der Lage klar, spätestens nachdem Hitler ihnen mit der Einnahme der Tschechoslowakei frech ins Gesicht gespuckt hatte. Doch es war sehr schwer, ein Bündnis zu schmieden, da die Briten und Franzosen und - was noch entscheidender war -die Nachbarstaaten der UdSSR Stalin mehr fürchteten als Hitler. 

Diskussionen 

Der britische Premierminister Neville Chamberlain und Adolf Hitler

Chamberlain, der eine entscheidende Rolle bei der Ausrichtung der Politik der westlichen Demokratien spielte, war ein großer Gegner des Kommunismus. „Ich muss zugeben, dass ich den Russen zutiefst misstraue. Ich habe kein Vertrauen darin, dass sie in der Lage sind, effektiv offensiv zu sein, selbst wenn sie wollten. Und ich misstraue ihren Motiven. Die haben für mich wenig zu tun mit unseren Vorstellungen von Freiheit”, schrieb (eng) er im März 1939 an einen Freund.

Es ging nicht nur um seine Abneigung gegen den Kommunismus. Der springende Punkt war, dass es im Frühjahr 1939 keine direkte Grenze zwischen Deutschland und der UdSSR gab. Sollte die Rote Armee gegen die Nazis kämpfen wollen, müsste sie unweigerlich durch Polen und Rumänien, was diesen missfiel. 

 „Es gab zu diesem Zeitpunkt Uneinigkeit in territorialen Fragen zwischen der Sowjetunion und sowohl Polen als auch Rumänien (über die West-Ukraine und den Westen Weißrusslands und Moldawien), sagt der Historiker Oleg Budnizki vom Internationalen Zentrum für Geschichte und Soziologie des Zweiten Weltkrieges. „Beide Staaten fürchteten, dass die Sowjets, sobald sie einmal einen Fuß über die Grenze gesetzt hatten, bleiben würden.” 

Die Briten und Franzosen sicherten Polen und Rumänien ihre Unterstützung zu. Doch zwingen wollte  Chamberlain seine anderen Verbündeten nicht. 

Ein großer Teil der britischen Öffentlichkeit sah das anders. Der zukünftige Premier Winston Churchill hielt eine vielbeachtete Rede im Senat und erklärte, es sei unausweichlich, die aktive Unterstützung Russlands zu haben, wenn man eine östliche Front gegen die Nazis einrichten wolle. Nach Meinungsumfragen von Juni 1939 waren 84 Prozent der Briten für ein anglo-französisch-sowjetisches Militärbündnis. Also nahmen Chamberlain und Daladier zurückhaltend die offiziellen Verhandlungen mit Stalin auf. 

Fruchtlose Gespräche 

Admiral Reginald Drax und General Aimé Doumenc in Moskau

Vom 15. Juni bis 2. August versammelten sich Vertreter Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion in Moskau, um die politischen Rahmenbedingungen einer möglichen Intervention zu diskutieren. 

Zu welchem Ergebnis kamen sie in diesen zwei Monaten? Alle drei Mächte sicherten sich und den Nachbarstaaten des Dritten Reichs (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Türkei, Griechenland und Belgien) im Falle eines Angriffs der Deutschen gegenseitig militärische Unterstützung zu. 

Sie erzielten ein vorläufiges Abkommen, doch als es um konkrete Militärmissionen ging, waren die Verhandlungen schnell wieder zu Ende. Die UdSSR wurde von Marschall Kliment Woroschilow repräsentiert, dem sowjetischen Verteidigungsminister und engen Vertrauten Stalins. Die Briten und Franzosen hatten mit Admiral Reginald Drax und General Aimé Doumenc lediglich niedrigrangige Militärs geschickt, die keine Entscheidungen ohne Rücksprache mit der Regierung treffen durften. 

Ein schnelles Ende 

Der sowjetische Volkskomissar für Verteidigung Kliment Woroschilow während der Siegesparade auf dem Roten Platz

„Die Sowjets  waren brüskiert über diese niedrigrangigen Vertreter, also nahmen sie die Gespräche nicht sonderlich ernst”, erklärt Budnizki. Zudem konnten weder Drax noch Doumenc auf Woroschilows allererste Frage antworten, nämlich ob Polen und Rumänien der Roten Armee den Durchzug durch ihre Länder gestatten würden, wenn sie gegen Deutschland kämpfen müsste. 

Es war klar, dass die Polen und Rumänen nicht zustimmen würden. „Für Stalin waren solche Staaten lediglich Marionetten. Er war der Ansicht, dass die Briten und Franzosen sie zwingen könnten. Aber es war weitaus komplizierter. London und Paris gelang es nicht, Warschau davon zu überzeugen, dass die Sowjetunion auch nur einen Deut besser war als Deutschland”, so Budnizki.

„Ohne eine positive Antwort auf diese entscheidende Frage sind alle Bemühungen um ein Militärbündnis zum Scheitern verurteilt”, erklärte (rus) Woroschilow. Am 21. August 1939 wurden die fruchtlosen Gespräche offiziell beendet.  

Nur zwei Tage später unterzeichnete der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop in Moskau einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion, der einen geheimen Teil über Polen enthielt. Stalin bevorzugte die konkrete Vereinbarung mit Hitler gegenüber den wenig zielführenden Verhandlungen mit London und Paris. 

>>> Pakt mit dem Teufel: Warum die UdSSR sich mit Hitler verbündete

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