Geduld und Beziehungen: Wie ein Sowjetbürger an ein Auto kam

Wiktor Budan/TASS
Ein Fahrzeug zur privaten Nutzung war in der Sowjetunion keine Selbstverständlichkeit. Warum dauerte es oft Jahre, bis ein Bürger der UdSSR am Steuer des eigenen Autos sitzen konnte?

In den ersten Jahren der Sowjetunion war die eigene Automobilproduktion erbärmlich. Der Fuhrpark bestand größtenteils aus „verstaatlichten“ ausländischen Autos (einschließlich Fahrzeugen aus der kaiserlichen Garage), die für offizielle Zwecke eingesetzt wurden. Obwohl es nicht schwieriger war als heutzutage, den Führerschein zu machen, war der Kauf eines Privatwagens etwas wirklich Außergewöhnliches.

Der Dichter Wladimir Majakowski war einer der ersten Sowjetbürger, der ein Auto besaß. 1928 brachte er mit Erlaubnis des Volkskommissariats für Außen- und Binnenhandel der UdSSR einen Renault NN aus Frankreich für seine Geliebte Lilja Brik mit. Majakowski hatte selbst kein Interesse am Autofahren, Brik dafür umso mehr. Sie war die erste Frau in der Sowjetunion, die den Führerschein machte. 

In den 1930er Jahren begann die UdSSR mit dem Aufbau einer eigenen Automobilindustrie. Doch benötigt wurden vor allem Lastwagen, Traktoren und Busse sowie Kraftfahrzeuge für verschiedene Dienstleistungen und Organisationen (Taxis, Polizei). 

Ganz allmählich begann die sowjetische Führung darüber nachzudenken, ein Stadtauto für den persönlichen Bedarf zu bauen. Es gab sogar einige Prototypen des GAZ-As und des KIM 10-50, doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden diese Projekte wieder auf Eis gelegt. 

L-R: KIM-10, GAZ-AA, ZIS-5

Endlos lange Wartelisten  

Nach dem Krieg tauchten plötzlich im ganzen Land sogenannte Trophäenautos, vor allem der deutschen Autobauer Mercedes und Opel, auf.  Die sowjetischen Hersteller kopierten diese. Mitte der 1950er Jahre gab es dann die Möglichkeit für die Sowjetbürger, ein Auto zu kaufen.

„Ich hab' gespart und ein Auto gekauft!“

Es stellte sich heraus, dass die Nachfrage viel höher war als von Gosplan [Staatliches Planungskomitee] erwartet, sodass eine lange Warteliste entstand. Oft musste man sich viele Jahre gedulden. 

Der Slogan „Sie haben genug gespart - Sie haben ein Auto gekauft!“ war zur damaligen Zeit beliebt. Doch es dauerte lange, bis man die erforderliche Summe zusammen hatte. Zudem musste man es auch erst einmal auf die Warteliste schaffen. Nicht jeder durfte ein Auto kaufen.

„Gespart und gekauft!“

Und während ein durchschnittliches Arbeitergehalt bei 800 Rubel (rus) im Monat lag, kostete ein Moskwitsch-401 stolze 8.000 Rubel und ein Pobeda sogar 16.000 Rubel. Es war Zeit genug, diese Summe anzusparen. 

Im Zuge der Währungsreform der 1960er-Jahre änderten sich die Preise. Bei einem Durchschnittsgehalt von nun 170 Rubel im Monat kostete ein Moskwitsch 5.000 Rubel und ein Wolga das Doppelte. Dennoch wollten immer mehr Menschen ein Auto kaufen. 

In den 1960er Jahren wurden in Moskau insgesamt 150.000 Automobile zugelassen, in den 1970er Jahren waren es schon eine halbe Million, darunter  sowohl Privat- als auch Dienstwagen.

In den frühen 1960er Jahren, als die Autos nur über den Arbeitgeber gekauft werden konnten, erhielten die Unternehmen unterschiedliche Mengen an Fahrzeugen, eines nur zwei, ein anderes gleich ein Dutzend. Es waren die Gewerkschaften, die entschieden, wer, gewissermaßen als Bonus, auf die Warteliste kam oder nicht. Hatte man das geschafft, dauerte es bis zum fahrbaren Untersatz noch sechs oder sieben Jahre. 

Wenn es dann endlich so weit war, erhielt der zukünftige Fahrzeughalter eine Nachricht, wann und wo er das Auto in Empfang nehmen konnte, zum Beispiel am 22. September 1977 zwischen 8 Uhr und 14 Uhr, und wie viel er bezahlen musste. Ein VAZ 2106 kostete 7.930 Rubel. Die Farbe war eine Überraschung und hing davon ab, welche Farbe das Automobilwerk zuletzt produziert hatte.

UAZ 2106, Preis: 7930 Rubel

Damals wurde die Lotterie „Sportloto“, bei der es ein Auto zu gewinnen gab, populär. Die Mutter des russischen Präsidenten Wladimir Putin gewann im Jahr 1972 einen weißen Saporoschez. 

Saporoschez von Wladimir Putin

Im Ausland kursierten Witze darüber, wie schwierig es war, in der UdSSR ein Auto zu kaufen. 1988 erzählte der damalige US-Präsident Ronald Reagan diesen:

In der Sowjetunion muss man zehn Jahre auf sein Auto warten. Ein Käufer kommt zum Autohändler, leistet eine Anzahlung und der Verkäufer sagt: „Dankeschön, in zehn Jahren kannst Du Dein Auto abholen.“ „Morgens oder Nachmittags?“ fragt der Käufer. „In zehn Jahren ist das doch egal“, wundert sich der Verkäufer. „Nein!“, widerspricht der Käufer. „Morgens kommt dann schon der Klempner.“ 

Wie kamen ausländische Modelle in die Sowjetunion? 

Es ist bekannt, dass der erste Kosmonaut, Juri Gagarin, zwei Wolga-Autos besaß (er kaufte eines selbst und das andere war ein Geschenk der sowjetischen Führung) und einen futuristischen Sportwagen, den Matra-Bonnet Djet VS, den er während eines Besuchs in Frankreich als Geschenk erhielt. 

Juri Gagarin mit seinem Matra

Der Schauspieler Wladimir Wyssozki besaß zu verschiedenen Zeiten eine blaue Limousine der Mercedes-Benz S-Klasse W116 und ein braunes Mercedes-Benz SLC-Coupé. Schauspieler kauften häufig ausländische Autos während ihrer Reisen, mit Erlaubnis der Sowjetführung. Aber dies war nicht der einzige Weg, ein solches Auto zu bekommen. 

Häufig brachten Staatschefs Fahrzeuge als Gastgeschenk mit. Die Fuhrparks der Botschaften bestanden ebenfalls oft aus Modellen des jeweiligen Landes.  Bereits in den 1960er/1970er-Jahren wurden in Moskau (und später in anderen Großstädten) Gebrauchtwagenzentren eröffnet, in denen im Auftrag Unfallwagen aus anderen Ländern zum Preis sowjetischer Modelle verkauft wurden. 

Diese zweifelhaften Fahrzeuge wurden nicht nur von Liebhabern gekauft, sondern auch von denjenigen, die es nicht auf die Warteliste für ein sowjetisches Auto geschafft hatten. Sie reparierten die Unfallwagen selbst, auch wenn dies manchmal Jahre dauerte. Einige hatten das Glück, ausländische Wagen kaufen zu können, die keine Schäden hatten. Dabei waren Beziehungen oft hilfreich.

Ab 1985 ermöglichte die Sowjetunion Massenimporte von Gebrauchtwagen aus dem Ausland, darunter der tschechische Skoda, der jugoslawische Zastava und der Trabant aus der DDR. Ein echter Auto-Boom war die Folge. Zum Ende der UdSSR gab es allein in Moskau etwa eine Million Fahrzeuge. 

>>> Warum ist Taxifahren in Russland günstiger als ein eigenes Auto zu besitzen?

>>> Lada Taiga und Co.: Wie heißen russische Autos im Ausland?

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