Schon beim bloßen Anblick dieses Fotos wird uns kalt: Kleinkinder, die im Winter draußen schlafen. Dies war jedoch nicht ungewöhnlich, sondern gängige Praxis in sowjetischen Kindergärten. Wir haben noch mehr Aufnahmen von draußen schlafenden Kleinkindern gefunden, im Sommer und im Winter.
War das gesundheitlich nicht bedenklich? In einer „Hygienevorschrift für Kindergärten“ (rus) aus dem Jahr 1985, genehmigt von den obersten medizinischen Behörden der UdSSR, steht, dass Kinder regelmäßig frische Luft atmen sollten.
Zweimal täglich mindestens sollte in den Betreuungseinrichtungen gelüftet werden. Die Kinder sollten sich zudem regelmäßig im Freien aufhalten. Das Kindergartenpersonal sollte darauf achten, dass die Kleinen warm angezogen waren, aber dabei nicht übertreiben. Wintermäntel waren nur dann obligatorisch, wenn die Temperatur unter -4 Grad Celsius fiel.
Informationen, dass es eine Empfehlung gab, die Kinder auch draußen schlafen zu lassen, fanden wir nicht.
Kinder in Schlafsäcken
ArchivfotoAber Fotos wie diese gibt es in Hülle und Fülle. Wir haben Online-Foren durchforstet und einige interessante Kommentare von älteren Menschen gefunden, die sich noch gut an ihre Kindheit in der UdSSR erinnern.
In der Sowjetunion war es oberste Priorität, den Ausbruch von Epidemien wie zum Beispiel Tuberkulose zu verhindern. Zu Beginn der 1930er Jahre arbeiteten über 25.000 Ärzte in Tuberkulose-Spezialkliniken. Bis 1957 wurden über 130 Millionen Sowjetbürger gegen TB geimpft.
Ein zentraler Punkt im Kampf gegen die Ausbreitung von Krankheiten waren jedoch alltägliche Hygienemaßnahmen, auch in den sowjetischen Kindergärten.
Frische Luft schien wichtig, um gesund zu bleiben. Die ersten russischen Zaren aus der Romanow-Dynastie und ihre Nachkommen waren eher schwächlich. Sie verbrachten den größten Teil ihres Lebens in den kaiserlichen Gemächern und kamen nur selten nach draußen. Anders erging es den Kindern in der Sowjetunion. Sie verbachten viel Zeit im Freien.
Der Internetnutzer „matros_kruzhkin“, der als Kind von 1959 bis 1960 ein Jahr wegen Tuberkulose im Sanatorium war, schreibt (rus): „Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Schläfchen auf der offenen Veranda. Dort lagen wir im Sommer und auch im Winter. Nur die Nase blieb frei. Auch die Kinder, die zu schwach zum Laufen waren, wurden in warme Decken gehüllt und nach draußen gebracht. Drinnen wurden die Räume mit Brennholz-Öfen geheizt.“
Nicht nur in solchen Sanatorien wurde in den 1970er und 1980er Jahren die Frischlufttherapie angewandt. Internetnutzerin „DuraLena“ erinnert sich, dass in den 1980er Jahren „alle Kindergartenkinder nur mit Höschen bekleidet nach draußen gingen und mit einem Wasserschlauch abgespritzt“ wurden. Nicht jeder hat gute Erinnerungen an den Frischluftwahn. „Barbosiara“ schreibt (rus): „Ich werde das nie vergessen. Das war wie im Arbeitslager. In diesen Schlafsäcken konnte man sich keinen Zentimeter bewegen, das fand ich schrecklich. Ich bekam einen Wutanfall, daraufhin wurde ich noch fester eingewickelt.“
Für die Erzieherinnen war es ein ziemlicher Aufwand, die Kinder im Winter nach draußen zu bringen. Der in den 1950er Jahren in Moskau geborene Internetnutzer „eliabe_l“ sagt: „Wie viel Arbeit war das für die Kindergärtnerinnen. Die Kinder mussten in Schlafsäcke gesteckt und dann auf die Terrasse getragen werden. Alle Fenster wurden aufgerissen. Nach dem Mittagsschlaf mussten alle wieder hineingetragen werden. Es war ein gewöhnlicher Kindergarten, keine Eliteeinrichtung. Jeden Morgen wurden alle Kinder von einem Arzt untersucht, und wenn jemand erkältet war, wurde er wieder nach Hause geschickt.“ Nach den Hygienevorschriften sollte man immer draußen schlafen, wenn die Temperatur über -10 Grad Celsius lag.
Dennoch betrachten die meisten Sowjetbürger diese Erlebnisse als romantische Erfahrung. Viele ältere Menschen schlafen selbst bei eisigen Temperaturen noch immer bei offenen Fenstern oder sogar draußen.
Internetnutzer „Olk“ berichtet: „Ich erinnere mich, wie wir alle in der Kleinstkinderbetreuung (noch vor dem Kindergarten!) nach dem Mittagessen in Steppdecken gewickelt und nach draußen gebracht wurden. Wir haben auf sehr breiten Tischen geschlafen. Ich lag gern dort und sah zu, wie die Ahornblätter im Herbst von den Bäumen fielen oder die Meisen im Winter auf den kahlen Zweigen herumhüpften. In unserer Nähe saß die Kindergärtnerin in einem warmen Mantel mit gefrorenen Fingern. Von Zeit zu Zeit blickte sie unter ihren Brauen zu uns hinüber. Ich schloss dann schnell die Augen und tat so, als schliefe ich.“
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