Sieben Erziehungsprinzipien der Sowjetunion, die auch heute noch sinnvoll sind

Geschichte
ALEXANDRA GUSEWA
Die Sowjetunion ist berühmt dafür, brillante Wissenschaftler, herausragende Athleten und außerordentlich kreative Intellektuelle hervorgebracht zu haben. Das Erfolgsgeheimnis lag nicht allein in den Genen, sondern an den sowjetischen Erziehungsprinzipien.

Kindheit in der UdSSR sollte ebenso wenig idealisiert werden wie die Erziehungsmethoden. Es gab auch Schattenseiten und durchaus fragwürdige Prinzipien. Eines davon lautete: „Wenn Du es nicht kannst, bringen wir es Dir bei. Wenn Du es nicht willst, zwingen wir Dich dazu.“

Viele erzieherische Ideale der Sowjetunion hat in den 1930er Jahren der legendäre Pädagoge Anton Makarenko entwickelt. Damals gab es im Land sehr viele Straßenkinder, die in die Kriminalität abzurutschen drohten. Die Behörden holten sie von der Straße und brachten sie in Waisenhäusern unter. Doch es war sehr schwierig, diese Kinder zu erziehen. Anton Makarenko hatte mit seinen Methoden in einer dieser Einrichtungen gute Erfolge erzielt. Menschlichkeit und hohe moralische Standards waren sein Anspruch. 

Seine Erfahrungen und Methoden fanden Eingang in viele pädagogische Lehrbücher der Sowjetunion und bildeten die Basis des allgemeinen Erziehungswesens. Dies sind einige seiner Prinzipien. 

1. Rituale einhalten 

Routinen und Ritualen von frühester Kindheit an wurde eine große Bedeutung beigemessen. Man war überzeugt davon, dass der ganze Tag eines Kindes, einschließlich der Zeiten für die Mahlzeiten und Ruhepausen, einem festen Stundenplan folgen sollte. 

Selbst, wenn ein Säugling zwischen den Mahlzeiten schrie, wurde empfohlen, ihn nicht an die Brust zu legen, um ihn nicht zu verweichlichen. Medizinisches Personal besuchte die jungen Mütter zu Hause und überwachte die Gewichtszunahme des Nachwuchses. Auch dafür gab es, wie für fast alles, in der UdSSR Normen.

Auch der Alltag der älteren Kinder blieb strukturiert. In Schulen und Betreuungseinrichtungen wurde stets zur gleichen Zeit gegessen. Die Mütter wurden angehalten, ihren Kindern keine Süßigkeiten zwischen den Mahlzeiten zu geben. 

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2. Gewöhnung an körperliche Aktivität 

Sport war Pflichtfach in sowjetischen Schulen. Das Angebot orientierte sich an den Jahreszeiten. Im Winter stand Skilanglauf auf dem Stundenplan, im Sommer wurde an der frischen Luft gelaufen. Während des übrigen Jahres wurde drinnen trainiert: Leichtathletik, Laufen und Teamsportarten. 

Um Kinder und Erwachsene zu sportlicher Betätigung zu motivieren, schrieb der damals sehr populäre Liedermacher Wladimir Wyssozki sogar einen kurzen Song über die Wichtigkeit von Frühsport.  

3. Gruppenfähigkeit stärken 

Schon Säuglinge und sehr kleine Kinder kamen in den Kindergarten, denn ihre Mütter mussten zum Wohle des Sowjetstaates schnell wieder arbeiten gehen. Darüber hinaus sollten die Kinder dort aber auch die Möglichkeit bekommen, sich früh in eine Gruppe zu integrieren, mit anderen zu lernen und zu arbeiten, sowie Verantwortung für die Gruppe zu übernehmen.

4. Verantwortungsbewusstsein entwickeln

Gemeinschaftsgefühl und Verantwortungsbewusstsein wären auch heute noch ein gutes Mittel gegen Mobbing in der Schule. 

In den 1970er Jahren hat der US-amerikanische Kinderpsychologe Urie Bronfenbrenner die Erziehung sowjetischer und amerikanischer Kinder in einer Studie verglichen und ein Buch dazu veröffentlicht (Zwei Welten. Kinder in USA und UdSSR). Er zitiert darin eine Lehrerin aus der Sowjetunion, die erklärt, wie sie mit herausforderndem Verhalten im Unterricht umgeht:  

„Stellen wir uns vor, der zehnjährige Wowa zieht Anja an den Haaren. Ich ermahne ihn einmal, dann nochmal und auch ein drittes Mal – er ignoriert mich. Nun mache ich die Klasse auf Wowas Verhalten aufmerksam. Ich kann mir sicher sein, dass in der nächsten Pause einige Junge Pioniere, die Aufsicht haben, ein Gespräch mit Wowa führen werden. Sie werden ihn daran erinnern, dass sein Verhalten dazu führen wird, dass die ganze Gruppe seinetwegen schlechte Noten für Betragen bekommen wird.“ 

5. Kinder nicht verwöhnen 

Eine der häufigsten Empfehlungen lautete, die Kinder keinesfalls zu verwöhnen, damit aus ihnen keine den früheren faulen Adelssprösslingen vergleichbaren Persönlichkeiten würden. Deshalb hatten sowjetische Kinder, anders als heutzutage, wenig Spielzeug und nicht so viele Kleider zur Auswahl und besaßen keine Luxusartikel (natürlich lag das auch daran, dass solche Güter knapp waren). Schon in jungen Jahren lernten die Sowjetbürger, keine Ansprüche zu haben. 

Es herrschte die Überzeugung, dass aus verwöhnten und verweichlichten Kindern antisoziale Erwachsene, wenn nicht sogar Kriminelle, würden. 

6. Die Liebe zur Natur wecken 

Sowjetische Kinder, so viel steht fest, verbrachten viel Zeit an der frischen Luft. Auch viele Freizeitgruppen boten ihre Aktivitäten im Freien an. Es war modern, sich mit Botanik und Zoologie zu befassen. Es gab spezielle Vereinigungen junger Naturfreunde, die die Umwelt in ihrer Region erkundeten. Die Kinder gingen im Wald wandern, lernten, Berge zu besteigen und Kajak zu fahren. 

Auch die Eltern zog es nach draußen. Sie nahmen ihre Kinder mit zum Angeln oder Pilze sammeln und erklärten ihnen, welche genießbar waren, was zu wissen schließlich nicht unbedeutend ist. 

7. Moralische Werte vermitteln

Ethik war ein wichtiger Bestandteil in der Erziehung sowjetischer Kinder. Wladimir Majakowskis Werk „Was ist gut und was ist schlecht?“ wurde zu einem der populärsten Gedichte. In Abwesenheit von Religion wurden Verhaltensregeln nicht auf biblischer Grundlage vermittelt, sondern auf der Basis der Moralvorstellungen des sowjetischen Volkes und der Erfinder des Kommunismus. Diese Regeln unterschieden sich im Großen und Ganzen nicht allzu sehr von den zehn Geboten. 

Die sowjetische Moral beruhte darauf, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern an die Gemeinschaft und nicht nach persönlichem Wohlstand und Reichtum zu streben. Zudem erzog sie zu Ehrlichkeit, Ordnungsliebe und Achtung vor den Älteren, denen man selbstverständlich den Platz im Bus überließ, über die Straße half oder ihre schweren Taschen trug. 

Familie war das höchste Gut, das lernten die Kinder in der UdSSR früh. Zudem galt die Familie als ein wichtiger Baustein der sowjetischen Gesellschaft. 

Daher sollten die Mädchen nach Mutterschaft und Hausfrauentum streben. Zugleich wurden sie jedoch nie darauf reduziert, sondern ebenfalls dazu ermutigt, einen Beruf zu erlernen. Die Jungs sollten körperlich fordernde Tätigkeiten übernehmen, „Männerarbeit“, und unbedingt in der Armee gedient haben. „Wir haben diejenigen, die nicht in der Armee waren, nicht ernstgenommen“, erzählt der heute 75-jährige Iwan und fügt hinzu: „Auch die Mädchen wollten mit so jemandem nicht ausgehen.“ 

Und natürlich war der wichtigste Wert, der den sowjetischen Kindern (wie auch den Erwachsenen) vermittelt wurde, Loyalität und Liebe zum Vaterland. Dazu war es notwendig, die Geschichte, Kultur, Geographie und die große Rolle der UdSSR bei der Befreiung der Proletarier aller Welt von der Unterdrückung durch den Kapitalismus zu kennen.

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