„Es war meine Arbeit“, erklärte Antonina Makarowa dem KGB-Ermittler ungerührt und meinte damit die Erschießung zahlloser sowjetischer Mitbürger während des Zweiten Weltkrieges. Quellen sprechen von 168 bis 1.500 Opfern der brutalen Henkerin, die in der Geschichte ihresgleichen sucht.
Makarowa war besser bekannt als „Tonja, das Mädchen mit dem Maschinengewehr“. Nicht immer war der Tod ihr Geschäft. Bevor sie zu einer Handlangerin der Nationalsozialisten wurde, war sie Krankenschwester. Sie arbeitete für die Rote Armee und meldete sich freiwillig zum Frontdienst.
Der Wendepunkt kam im Herbst 1941. 600.000 Rotarmisten saßen im Wjasma-Kessel fest, auch die damals 21-jährige Antonina. Ihr gelang wie durch ein Wunder die Flucht. Monatelang streifte sie durch Wälder und Dörfer, fand vorübergehend Unterschlupf bei Einheimischen, doch sie blieb nie lange.
Im Sommer 1942 erreichte sie das Dorf Lokot in Brjansk, das von den Deutschen besetzt war.
“Ein Platz an der Sonne während der Besatzung”
Die Region war eine besondere Besatzungszone. Lokot war teilweise autonom, das Dorf kollaborierte mit den Nazis. Bürgermeister war bis zu seiner Ermordung durch Partisanen im Januar 1942 Konstantin Woskoboinik. Auf ihn folgte Bronislaw Kaminski. Um die Ordnung aufrechtzuerhalten, stand die Region weiter unter deutscher Aufsicht, und Einheiten der 102. Ungarischen Infanteriedivision waren in den besetzten Gebieten stationiert.
In der Lokot-Autonomie entstand die sogenannte Nationale Befreiungsarmee Russlands (RONA). Es war diese Einheit, die im Herbst 1944 während des Aufstandes in Warschau mit äußerster Brutalität vorging und die Stadt buchstäblich in ein Meer aus Blut verwandelte.
Antonina Makarowa versteckte sich in Lokot bei einem der Dorfbewohner und überlegte ihre nächsten Schritte. Sie wusste, dass im nahegelegenen Wald eine große Partisanenabteilung aktiv war. Doch sie hatte auch erkannt, dass die russischen Kollaborateure ein gutes Leben führten und entschied sich, es ihnen gleichzutun.
„Sie sicherte sich in der Besatzungszone einen Platz an der Sonne“, wie es der Historiker Oleg Chlobustow beschrieb (rus). Sie machte sich bei den Nazis und den „selbstverwalteten“ Russen beliebt, in dem sie die Prostitution propagierte und an wilden Partys teilnahm.
Antonina wurden bald andere Aufgaben übertragen, nämlich die gezielte Tötung von Juden, Partisanen und örtlichen Gegnern der neuen Regierung.
Im Verhör durch den KGB erklärte Makarowa später, dass sie dazu nicht gezwungen worden sei. „Sie haben mir Wodka gegeben. Bei meiner ersten Exekution war ich betrunken“, erzählte sie. Das war die Geburtsstunde von Tonja, dem Mädchen mit dem Maschinengewehr.
Eine begnadete Mörderin
Die Hinrichtungen fanden in einer Schlucht in der Nähe eines ehemaligen Gestüts statt, aus dem die Nazis ein Gefängnis gemacht hatten. Makarowa wohnte im selben Gebäude. Von Zeit zu Zeit sahen die Einheimischen, wie sich die Tore des Gefängnisses öffneten und eine Gruppe Gefangener hinausgetrieben wurde, gefolgt von einem Wagen, auf dem eine junge Frau mit einem Maschinengewehr saß. Lässig kaute sie auf einem Strohhalm.
„Ich habe diese Leute nicht gekannt. Sie kannten mich nicht. Ich habe daher nichts für sie empfunden“, sagte (rus) Antonina Makarowa. „Für mich waren es nur zum Tode verurteilte und sie waren alle gleich. Nur ihre Zahl variierte.“
Makarowa beschrieb dem KGB den Ablauf einer Hinrichtung: „Die Gefangenen standen in einer Reihe vor der Grube. Einer der Männer brachte mein Maschinengewehr zur Hinrichtungsstätte. Auf Befehl meiner Vorgesetzten kniete ich nieder und feuerte, bis alle tot waren.“
„Diese Exekutionen wurden zum gruselig inszenierten Schauspiel, zu dem die lokalen Führer und deutsche und ungarische Generäle eingeladen wurden“, so (rus) der Historiker Dmitri Schukow.
Selten verfehlte Tonja ihr Ziel und falls doch, half sie mit einer Pistole nach. Sie nahm den Toten ihre Kleidung und Wertgegenstände ab und beklagte sich darüber, dass diese voller Blut und Einschusslöcher waren.
Die Jagd beginnt
Im Sommer 1943 spürte Tonja, dass sich das Blatt gegen ihre nationalsozialistischen Gönner zu wenden begann. Die wiedererstarkende Rote Armee eroberte von den Deutschen besetztes sowjetisches Territorium zurück. Makarowa war inzwischen an Syphilis erkrankt. Sie ging zur Behandlung nach Brjansk und kehrte nie wieder nach Lokot zurück.
Ihre Spur wurde kalt. Der sowjetische militärische Spionageabwehrdienst SMERSch leitete unmittelbar nach der Befreiung des Gebiets Brjansk Ermittlungen gegen Tonja ein. In der Schlucht in der Nähe des Lokot-Gefängnisses wurden die sterblichen Überreste von 1.500 Menschen freigelegt.
Aber trotz der Bemühungen der lokalen Bevölkerung, der Verhöre festgenommener Mitarbeiter und der Überprüfung zahlreicher Dokumente konnte nichts über Makarowa oder einen ihrer Verwandten herausgefunden werden.
Kommissar Zufall
Noch Jahre nach dem Krieg wurde Tonjas Akte vergeblich immer wieder von mehreren KGB-Ermittlern überprüft. Doch erst 1976 entdeckten die Behörden in einer Akte eines Offiziers namens Parfenow, dass dieser eine Schwester hatte, die Antonina hieß, die den Nachnamen Makarowa trug.
Es stellte sich heraus, dass Antonina zu Schulzeiten so schüchtern gewesen war, dass sie ihren Nachnamen nicht genannt hatte, so dass sie nach ihrem Vater, dessen Vorname Makar war, Makarowa genannt wurde. Unter diesem Namen wurden ihre Dokumente ausgestellt, obwohl sie im Geburtenregister als Antonina Parfenowa geführt wurde.
Dies erklärte, warum es sich bei keiner der vom KGB verhörten 250 Antonina Makarowas um Tonja, das Mädchen mit dem Maschinengewehr, gehandelt hatte.
Eine respektierte Kriegsveteranin
Antonina Makarowa arbeitete inzwischen in einer Textilfabrik in Lepel, Weißrussland. Sie war die Ehefrau von Sergeant Wiktor Ginzburg, einem Kriegshelden und ebenfalls eine hochdekorierte Kriegsveteranin, die vor jungen Menschen Vorträge hielt.
Dem KGB war bewusst, dass es riskant war, einen Kriegsveteranen zu beschuldigen und beobachtete Makarowa ein ganzes Jahr lang. Die Ermittler brachten Zeugen nach Lepel, die in ihr Tonja, die Henkerin, wiedererkannten. Darunter waren ehemalige Liebhaber ebenso wie frühere Lagermitarbeiter. Am Ende entlarvten sie die ehrwürdige Kriegsveteranin Antonina Ginzburg als Tonja, das Mädchen mit dem Maschinengewehr. Ihr Ehemann, ihre beiden Töchter und alle Verwandten waren ahnungslos.
Makarowa wurde umgehend verhaftet. Es stellte sich heraus, dass sie während des Massenrückzugs der deutschen Armee in Königsberg gelandet war. Als die Rote Armee die Stadt eroberte, wurde aus der Henkerin Antonina wieder eine Krankenschwester. Sie fand eine Anstellung in einer Klinik. Dort lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen und nahm seinen Nachnamen an.
Hinrichtung
Während ihres Verhörs blieb Antonina Parfenowa-Makarowa-Ginzburg vollkommen ruhig. Sie war sich sicher, dass ihre Handlungen alle durch den Krieg gerechtfertigt waren und sie war überzeugt, dass ihr nicht mehr drohte, als ein paar Jahre im Gefängnis.
Das Gericht entschied jedoch anders. Es war zwar nicht mehr möglich, ihre Mitschuld an der Ermordung von 1.500 Menschen zu beweisen. Doch es war zweifelsfrei nachweisbar, dass der Tod von 168 in Lokot hingerichteten Personen ihre Tat war.
Am 11. August 1979 um 6 Uhr nahm das Schicksal Rache und Antonina Makarowa wurde selbst hingerichtet. Sie wurde erschossen.