Die Bibliothek Iwan des Schrecklichen und Metro-2: Was ist unter dem Moskauer Kreml?

Anton Romanov
Wie erfolgreich waren die Versuche, Geheimverstecke und unterirdische Gänge in der berühmtesten Festung Europas zu finden?

Der Moskauer Kreml ist die größte erhalten gebliebene Festung Europas, die viele Geheimnisse birgt. Befindet sich die Bibliothek Iwan des Schrecklichen unter dem Kreml? Gibt es unterirdische Gänge zu anderen Teilen der Stadt? Manche Fragen lassen sich bis heute nicht beantworten.

  1. Kanäle zum Wasser

Zeichnung der inneren Konstruktion des Geheimgangsturms und des geheimen Brunnens

Jede mittelalterliche Festung hatte Geheimgänge und Schlupflöcher. Der Kreml ist keine Ausnahme. Von Anfang an gab es hier geheime Wassereinlasstunnel. Aber weder die Befestigungen des ursprünglich hölzernen Kremls noch der unter Dmitrij Donskoj erbauten Festung aus weißem Stein haben die Zeiten überdauert.

Der heutige Kreml wurde unter der Herrschaft Iwans des Großen erbaut. Ende des 15. Jahrhunderts wurde klar, dass der Kreml für die moderne Kriegsführung nicht mehr geeignet war: Die durch Belagerungen und Brände beschädigten Mauern und Türme konnten dem Ansturm der Feinde nicht mehr standhalten. Iwan lud italienische Architekten ein, die Ziegelmauern und Türme errichteten, Kirchen und den Palast des Großherzogs bauten. Es waren die Italiener, die die ersten unterirdischen Strukturen des Kremls schufen, die für jede Festung notwendig sind. Im Jahre 1485 wurde unter dem Geheimgangsturm ein Geheimgang errichtet, allerdings mit unbekanntem Zweck. Im 17. Jahrhundert wurde dieser Gang entdeckt, aber er war bereits unzugänglich: Die Stufen waren kaputt, die Mauern eingestürzt und die verschlossenen Türen mit Bauschutt versperrt. Die meisten Historiker neigen dazu zu glauben, dass es sich um einen der Wasserkanäle handelt.

  1. „Gerüchte“ 

Geheimgangsturm

Der Architekt Ilja Bondarenko, der den Kreml im Jahr 1918 untersucht hatte, schrieb, dass unter einem der Türme „zum Schutz vor feindlichen Sprengtunneln Gänge angelegt wurden“. Sprengtunnel waren ein wirksames Mittel gegen so mächtige und uneinnehmbare Festungen wie den Kreml. Von außerhalb wurde ein unterirdischer Gang bis zum Fuß der Mauer gegraben, wo mit Sprengstoff die Befestigungen zum Einsturz gebracht werden konnte. Es gab jedoch ein Mittel dagegen: so genannte „Hörgänge“. Sie verliefen von der Festung zu den Mauern und endeten in kleinen „Lauschfenstern“ in deren Nähe. Durch die Fenster konnte man hören, wenn der Feind Sprengtunnel anlegte, und diese zerstören.  

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  1. Die Verliese 

Seit 1525 wurden die Gefangenen im Kerker des Beklemischew-Turms gehalten und gefoltert. Der benachbarte Konstantin-Helenen-Turm ist mit dem unterirdischen Beklemischew-Gang verbunden, der in ein Verlies umgewandelt wurde (die Gesamtlänge dieser Räumlichkeiten beträgt etwa 170 Meter). 

In seinem Buch Das alte Moskau beschrieb Michail Pyljajew, ein Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, „einen überdachten Korridor mit schmalen Fenstern, in dem zur Folter verurteilte Gefangene gehalten wurden, deren Mund mit einer eisernen Schnappe versperrt war, die nur beim Verhör und zur Einnahme der kärglichen Nahrung gelockert und an die in die Wand eingelassenen Ringe gekettet wurde“. Und in der Nähe der Erzengel-Kathedrale gab es früher Verliese für Kirchenschuldner, die auf „Besserungsstühlen“ saßen – Holzklötze, an die die sitzende Person angekettet war. Diese Verliese sind bis heute noch intakt. Sie enthalten die Gebeine der Moskauer Prinzessinnen und Königinnen, die bei der Zerstörung des Himmelfahrtsklosters im Kreml 1929 gerettet wurden.

  1. Geheimverstecke für Schätze 

1840 wurden bei Ausgrabungen unter der Verkündigungskathedrale ein Geheimgang, gemauerte und weißgetünchte Keller und vier unterirdische Verstecke entdeckt, die sich von der facettierten Kammer bis zur Verkündigungskathedrale – also in 40 bis 50 Meter Entfernung – erstrecken. Das Untergeschoss der Verkündigungskathedrale wurde als Schatzkammer der Großherzöge konzipiert. Im Jahre 1894 führte der Archäologe Fürst Nikolai Schtscherbatow hier Ausgrabungen durch und fand die Ruinen des Schatzhofes, der Schatzkammer der Moskauer Fürsten, die 1484 erbaut wurde.

  1. Die Bibliothek Iwan des Schrecklichen? 

Illustrierte Chronik Iwan des Schrecklichen

1518 lud der Moskauer Fürst Wassili III. den gelehrten Mönch Maximus den Griechen nach Russland ein, um göttliche Bücher zu übersetzen. Dieser Mann systematisierte und ergänzte auch die Bibliothek Wassilis III. Sie bildete die Grundlage der Bibliothek seines Sohnes Iwans des Schrecklichen. In den Sechzigerjahren des 16. Jahrhunderts zeigte Zar Iwan die Bibliothek dem Pastor Johann Wettermann, der darüber als einen kostbaren Schatz schrieb, der in den Gewölben unter dem Kreml eingemauert war. Seitdem wird nach dieser Bibliothek gesucht. Forscher gehen davon aus, sie könnte unschätzbar wertvolle Bücher aus der Bibliothek von Sofia Palaiologa, der Großmutter Iwans des Schrecklichen und Nichte des letzten byzantinischen Kaisers Konstantinos XI. Palaiologos enthalten.  

Die ersten großen Ausgrabungen auf der Suche nach der Bibliothek wurden Ende des 19. Jahrhunderts durch den Philologen Eduard Tremer durchgeführt. Er äußerte die Hoffnung, dass sich das Versteck unter dem Terem-Palast befinden könnte. In den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts begab sich der Archäologe Ignatius Stelletsky auf die Suche nach der Bibliothek. Er bat die Regierung um Erlaubnis und führte zahlreiche Ausgrabungen an verschiedenen Orten im Kreml durch. Stelletsky legte jede Menge eingefallener oder zugeschütteter Gänge frei, von denen keiner wusste, wohin sie führen. Aber die sagenhafte Bibliothek wurde nicht gefunden. 1963 fand man unter dem Terem-Palast zwar bis dahin unbekannte Gänge, legte sie aber nicht vollständig frei. Seitdem ist die Suche nach der Bibliothek nicht wieder aufgenommen worden, aber viele Forscher glauben, dass sie existiert.

  1. Metro 2? 

Die Metro-2, das unterirdische Transportsystem für den Fall einer Mobilisierung, existiert allerdings tatsächlich. Dies bestätigte der erste Bürgermeister des postsowjetischen Moskaus, Gawriil Popow, in einem Interview im Jahre 2006. Die Metro-2 wurde wahrscheinlich zur gleichen Zeit wie die Moskauer Metro oder etwas später gebaut und war für den Notfall-Transport zwischen den wichtigsten Objekten der Moskauer Verteidigung und Verwaltung (und für die Evakuierung des Personals der wichtigsten staatlichen Institutionen im Falle eines militärischen Konflikts) bestimmt. Eines der wichtigsten Objekte der Stadt ist der Kreml.  

Die Metro-2 wurde in sehr großer Tiefe verlegt (50 bis 250 Meter) und ist streng genommen keine Metro (mit Zügen, die von Stromschienen angetrieben werden), sondern ein Untergrundzug, der von E-Loks gezogen wird. Zu den öffentlichen Quellen, auf die im Wikipedia-Artikel Bezug genommen wird, gehören Daten über die Renovierung und Reparatur der Elektroloks, die auf den geheimen U-Bahn-Linien fahren. Ein Teil der Metro-2 befindet sich auch unter dem Kreml, von wo aus die Abzweigung in die sogenannte Nahe Stalin-Datscha führt, eine strategische Einrichtung am Stadtrand von Moskau. 

Wahrscheinlich gibt es unter dem Kreml noch weitere Transportinfrastruktur. Allerdings unterliegt die Forschung zu ihnen, wie auch sonst jede Information über sie, der Geheimhaltung – der Kreml bleibt die größte nutzbare Festung Kontinentaleuropas.

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