Wahr oder falsch? Ein Soldat unter drei Kaisern – die unglaubliche Geschichte des Wasili Kotschetkow

Geschichte
GEORGI MANAJEW
81 Jahre lang soll Wasili Kotschetkow aktiv in der russischen Armee gedient haben. Zehn Schlachten habe er geschlagen und 23 Auszeichnungen verliehen bekommen. Das wäre wirklich beachtlich, wenn es denn wahr wäre …

2013 sollte auf dem Nowy Wenets Boulevard in Uljanowsk ein Denkmal zu Ehren von Wasili Kotschetkow errichtet werden, einem berühmten Einheimischen aus dem Gouvernement Simbirsk und „Soldat dreier Kaiser“. Aber die Öffentlichkeit war empört. Warum?

Der Punkt war, dass lokale Historiker und Archivare zu Recht fragten: Wo sind die Beweise für Wasili Kotschetkows unglaubliche Heldentaten? Alle Informationen stammen aus einer einzigen Quelle - einem Artikel mit dem Titel „Ein bemerkenswerter Soldat“, der am 2. September 1892 im Regierungsanzeiger (Prawitelstwenny Westnik) veröffentlicht wurde. Was wurde darin über Kotschetkow geschrieben? 

Ein Kämpfer 

Der Artikel beginnt: „In Belosersk, Gouvernement Nowgorod, starb am 30. Mai dieses Jahres einer der am längsten amtierenden Soldaten der russischen Armee, der pensionierte Bombardier der Artilleriebrigade der berittenen Leibgarde, Wasili Kotschetkow, plötzlich an einem Herzinfarkt, während er auf der Reise von St. Petersburg in seine Geburtsstadt im Gouvernement Simbirsk war. Er wurde 107 Jahre alt und diente davon 60 Jahre lang aktiv als Soldat.“ 

Dem Artikel zufolge wurde Kotschetkow 1785 geboren. Er begann als Regimentsmusiker, trat jedoch im Alter von 26 Jahren in den aktiven Dienst des Grenadier-Regiments der Leibgarde, einer Eliteeinheit der kaiserlichen Armee. Kotschetkow war bei der Schlacht von Borodino und der Eroberung von Paris dabei. Dann kämpfte er zwischen 1828 und 1829 im russisch-türkischen Krieg, beteiligte sich an der Unterdrückung des polnischen Aufstands von 1830 bis 1831 und der Eroberung Warschaus. Schließlich musste Kotschetkow noch im Alter von 64 Jahren eine Prüfung ablegen, um sich für den Offiziersrang zu qualifizieren. Er brach sie ab, denn er wollte Soldat bleiben. Er bekam mehr Sold und seine Uniform schmückten silberne Streifen. Im Jahr 1851 ging er in den Ruhestand. 1853 kehrte er wieder zur Armee zurück, um Sewastopol im Krimkrieg zu verteidigen.

1862 wurde er Palastgrenadier. Anschließend wurde Kotschetkow in die Eisenbahneskorte zum Schutz des kaiserlichen Zuges aufgenommen, und 1876 meldete sich der inzwischen 92-jährige Veteran freiwillig zum Kampf gegen die Türken für die Befreiung Serbiens und Montenegros. Infolgedessen nahm Kotschetkow am russisch-türkischen Krieg von 1877 bis 1878 teil, in dem er sein linkes Bein verlor. Für weitere 13 Jahre, bis 1891, diente er in der Artilleriebrigade der berittenen Leibgarde. Im Laufe seiner Militärkarriere nahm Kotschetkow an zehn Feldzügen teil, wurde sechsmal verwundet und erhielt 23 Auszeichnungen. 

Unmöglich? Das dachten auch die Historiker.

Was ist die Wahrheit? 

Das einzige existierende Porträt von Wasili Kotschetkow wurde vom Künstler Pjotr Borel nach einem Foto angefertigt, das am 20. Mai 1892, 11 Tage vor dem Tode von Wasili Nikolajewitsch Kotschetkow, aufgenommen wurde. Zu dieser Zeit war Borel 63 Jahre alt und ein angesehener und sehr begehrter Künstler. 

Nehmen wir an, die von Borel gemalte Person war tatsächlich jemand namens Wasili Kotschetkow. Aber was ist mit seinen Heldentaten? Sind sie wahrhaftig oder nicht? 

Was spricht dagegen? 

Es gibt keine Informationen über Kotschetkow im historischen Archiv von Uljanowsk. Aber 1864 gingen viele Dokumente bei einem Brand verloren. Kotschetkow wurde auch nie von Historikern oder Geschichtsschreibern erwähnt.

Auf dem Bild trägt Kotschetkow zehn Medaillen, aber im Artikel ist von 23 Auszeichnungen die Rede. „Seine Uniform stellte ein seltenes Phänomen dar und war auf den Schulterklappen mit den gemeinsamen Monogrammen von drei späten Kaisern verziert: Alexander I., Nikolaus I. und Alexander II. (daher seine Spitzname des „Soldaten der drei Kaiser“ - Hrsg.) und auf dem linken Ärmel mit acht Streifen; und um seinen Hals und auf seiner Brust hatte Kotschetkow 23 Kreuze und Medaillen.“ Aber wie wir sehen können, gibt es weder acht Reihen Streifen noch 23 Medaillen.

Und schließlich ist es höchst zweifelhaft, dass Kotschetkow im Alter von 93 Jahren nach dem Verlust seines Beines unter Frontbedingungen überlebt haben und darüber hinaus noch später in der Armee verblieben sein könnte. Auf all diese Fragen gibt es keine Antworten.

Was spricht dafür? 

Dokumente zu einem W. N. Kotschetkow finden sich im russischen Archiv für Militärgeschichte. Es gibt ein Telegramm von W. J. Stroganow, einem Arzt im Krankenhaus Belosersk, der an den Generalstab gerichtet ist. Stroganow bittet um Erlaubnis, Kotschetkow mit militärischen Ehren begraben zu dürfen. Kotschetkow wird in keinem anderen Dokument erwähnt. 

Doch da gibt es ja noch den wichtigsten Beweis: Das Porträt von Wasili Kotschetkow. Er ist nicht in Paradeuniform, sondern in seiner einfachen Uniform dargestellt, was bedeutet, dass Kotschetkow möglicherweise nicht alle seine 23 Dekorationen angelegt hat. Die Donau- und Kaukasuskreuze sind durch einen Abstand von etwa 20 Jahren voneinander getrennt, aber ein alter Soldat hätte durchaus sowohl am Kaukasusfeldzug als auch an der Befreiung Bulgariens teilnehmen können. Und die Streifen (wenn auch nicht acht) sind tatsächlich auf seinem Ärmel sichtbar. 

Im Dorf Spasskoje, in dem Kotschetkow geboren wurde, leben noch Menschen mit demselben Nachnamen. Keiner von ihnen kann mit Sicherheit sagen, dass sie seine Verwandten oder Nachkommen sind. Die Hauptfrage lautet wohl: Könnte das Regierungsblatt, das den Artikel veröffentlicht hat, die Informationen über Kotschetkow gefälscht haben?

1892 rüstete Russland wieder auf. Es hatte ein Bündnis mit Frankreich gegen das Deutsche Reich geschlossen, das von Wilhelm II. regiert wurde. Die Armee durchlief Umstrukturierungen, Ausgabenkürzungen und Umbesetzungen - all dies untergrub ihr Ansehen in der Gesellschaft. Der Artikel erschien am 2. September 1892, als noch die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Schlacht von Borodino stattfanden, an der Kotschetkow angeblich teilgenommen hatte.  

Der Chefredakteur des Regierungsblatts war Konstantin Slutschewski. Er arbeitete für die Regierung und wurde 1891 zum Chefredakteur ernannt. Gleichzeitig beschäftigte er sich viel mit Literatur und Journalismus. Wäre Slutschewski also zu einer „kleinen“ Fälschung zum Ruhm der russischen Armee fähig? 

Das müssen Sie selbst entscheiden.

Was nun Wasili Kotschetkow betrifft, können wir zusammenfassen: Womöglich gab es tatsächlich einen solchen Veteranen und Helden in mehreren Kriegen. Aber seine militärischen Leistungen wurden wahrscheinlich übertrieben. Es ist eher möglich, dass die Unterlagen mehrerer verschiedener Soldaten in einer Biografie vermischt wurden.