Der 6. Juni 1937 ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Erforschung der Arktis. An diesem Tag nahmen sowjetische Wissenschaftler offiziell die erste Eisdrift-Forschungsstation der Welt, Nordpol-1, in Betrieb.
Die vier Expeditionsmitglieder und ihr Hund wurden vorübergehende Bewohner einer riesigen Eisscholle mit einer Größe von drei mal fünf Kilometern und einer Dicke von etwas mehr als drei Metern. Der Plan war, Forschungen durchzuführen, während die Eisscholle nach Süden in Richtung Grönland driftete.
In den 1930er Jahren war die Erkundung der rauen arktischen Umwelt weitaus komplizierter und gefährlicher als in der modernen Ära der nuklearen Eisbrecher. Die Eisdriftstation war für eine ganzjährige Forschung ausgelegt. Die Wissenschaftler sollten meteorologische Beobachtungen durchführen, hydrometeorologische, hydrobiologische und geophysikalische Daten sammeln, die Meerestiefe entlang der Route der Eisscholle messen und Bodenproben nehmen. Außerdem wurden sie angewiesen, Waleri Tschkalow und seiner Besatzung während ihres ersten Nonstop-Fluges von der UdSSR in die USA über dem Nordpol Funk- und Wetterberichte zu übermitteln.
Um auf der sicheren Seite zu sein, wurde die Station mit Lebensmittelvorräten für 700 Tage ausgestattet. Doch niemand erwartete, dass die Expedition so lange dauern würde. „Wir haben 150 Kilogramm Knödel vom Festland mitgebracht“, schrieb Iwan Papanin, Stationsleiter, in seinen Memoiren „Eis und Flamme“. „Sie waren gefroren, aber während der langen Reise und im Frühling tauten sie auf und es fing schrecklich an zu stinken. Ich musste sie wegschmeißen. Wir aßen stattdessen Schweine- und Rindfleisch. Doch es gab noch mehr schlechte Nachrichten. Die von Spitzenköchen hingebungsvoll zubereiteten Rumpsteaks waren ebenfalls ungenießbar.“ Die Forscher versuchten, einen Seehasen und eine Eisbären-Familie zu erlegen, die sich auf die Scholle verirrt hatten, jedoch ohne Erfolg.
Die Wissenschaftler lebten in einem vier mal vier Meter großen Zelt, das mit mehreren Schichten Daunen isoliert war. Da sie wussten, welchen Schnee man am besten für Bauarbeiten verwenden konnte, schufen sie sich selbst ein Schneehaus. Für ihre Forschungsarbeiten wurden sie mit speziellen gummierten Zelten, zwei Klipper, zwei Kajaks und leichten Schlitten ausgestattet.
Die Station driftete mit einer angemessenen Geschwindigkeit nach Süden, ungefähr 20 Meilen pro Tag. „Wir arbeiteten hart. In den ersten Wochen waren wir so müde, dass ich manchmal nicht einmal den Bleistift aufheben konnte, um einen Tagebucheintrag zu machen“, schrieb Papanin.
Der arktische Sommer, einige Grad über Null mit abwechselnd Regenfällen und Schneestürmen, trennte die Station vollständig vom Festland - es gab keine Möglichkeit, ein Flugzeug auf der Scholle zu landen, die mit tiefem Eiswasser bedeckt war. „Es gibt so viele Seen auf dem Eis, dass man ihnen Namen geben sollte ... Ich habe mir das ganze Wasser angesehen, das über unsere Eisscholle fließt. Es gab sogar einen Wasserfall an einem Ort. Wenn du runtergefallen bist, gab es kein Entkommen.”
Neben wissenschaftlichen Berichten sendete der Funker Ernst Krenkel an die sowjetische Presse eine Reihe von Details über das Leben an Bord der unglaublichsten Expedition der Welt. Während dieser beliebten Funksitzungen nahm er auch Kontakt mit einem Amateurfunk-Enthusiasten aus Südaustralien und einem Seemann von den Hawaii-Inseln auf, die regen Anteil nahmen an der Arbeit und den Schwierigkeiten der Polarforscher.
Im September machte sich der nahende arktische Winter bemerkbar. Die Sonne sank immer tiefer und verhüllte alles in Dämmerung. Die Temperatur stieg nicht mehr über Null und es kam zu starken Schneefällen. „Der Wind war so stark, dass er dich von den Füßen gerissen hat. Es war unmöglich, das Zelt zu verlassen, um frische Luft zu schnappen. Drinnen war es sofort sehr stickig und kalt. Mein Kopf drehte sich“, erinnerte sich Papanin.
Als die Scholle weiter nach Süden in Richtung Grönlandmeer driftete, brachen einige Stücke ab. Angespannt lauschten die Forscher in der Nacht den Geräuschen, die entstanden, als sich direkt unter ihnen Risse im Eis auftraten. „Wir sind von Rissen und großen Kanälen umgeben. Wenn die Scholle während des Schneesturms zusammenbricht, ist es schwierig zu entkommen ... Die Schlitten und Kajaks sind mit Schnee bedeckt. Es ist unmöglich, zu den Lebensmittellagern zu gelangen ... „, notierte Papanin am 29. Januar in seinem Tagebuch.
Nach einem fast einwöchigen Sturm Anfang Februar wurde das Eis unter der Station durch 1,5 bis 5 Meter breite Risse auseinandergerissen. Das Versorgungslager wurde überflutet, das Wartungsdepot wurde abgeschnitten und unter dem Zelt war ein Riss entstanden. „Wir ziehen zum Schneehaus. Ich werde die Koordinaten später heute melden. Wenn die Kommunikation unterbrochen wird, machen Sie sich keine Sorgen“, meldete der Funker ans Festland.
Am 19. Februar 1938, einige Dutzend Kilometer vor der Küste Grönlands, retteten zwei sowjetische Eisbrecher, Taimyr und Murman, die Wissenschaftler von den Überresten der einst riesigen Eisscholle. Die erste driftende Polarforschungsstation befand sich jetzt nur noch auf einer 300 Meter langen und 200 Meter breiten Scholle.
Innerhalb von 274 Tagen hatten die Polarforscher mehr als 1.500 Meilen auf der Eisscholle zurückgelegt. Zu Hause wurde ihnen ein heldenhafter Empfang bereitet. Wenig später wurden Stationsleiter Iwan Papanin, der Meteorologe und Geophysiker Jewgeni Fjodorow, der Funker Ernst Krenkel sowie der Hydrobiologe und Ozeanograph Pjotr Schirschow für ihre herausragende Leistung auf dem Gebiet der Arktiserkundung zu Helden der Sowjetunion ernannt. Der ersten Driftstation Nordpol-1 folgten weitere 30 solcher sowjetischen Expeditionen. Und auch im heutigen Russland werden sie regelmäßig auf die Reise geschickt.