War es möglich, sich innerhalb der UdSSR frei zu bewegen?

Valery Khristoforov/TASS
Viele Leute in Russland sind immer noch deprimiert darüber, wegen der Pandemie die Tage in der häuslichen Isolation verbringen zu müssen und keine Urlaubspläne schmieden zu können. Man sollte sich aber auch einmal daran erinnern, was die Sowjetbürger durchmachen mussten, um sich in ihrem eigenen Land zu bewegen.

Außerhalb der UdSSR zu reisen war keinesfalls eine leichte Aufgabe: Man musste einen sehr guten Grund und eine Sondergenehmigung der Behörden haben. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Inlandsreisen viel einfacher gewesen wären. Einerseits waren Flüge und Züge billiger als heute. Andererseits erforderte der Besuch einer anderen Stadt oft verschiedene Tricks, um die Einschränkungen zu umgehen. Die UdSSR war eine Überwachungssupermacht, auch ohne Videoüberwachung, QR-Codes oder elektronische Ausweise.

37 Prozent der Sowjetbürger hatten keine Pässe

Pässe wurden erst im Jahr 1932 obligatorisch. Ohne Pässe konnte man nicht einmal zwischen zwei Städten reisen. Mitglieder der kollektiven Genossenschaften, der sogenannten Kolchosen, und Arbeiter erhielten keine Pässe, weil die Behörden befürchteten, dass billige Arbeitskräfte das Land verlassen und massenhaft in Städte umsiedeln könnten.

Wenn man von einem Dorf in einen anderen Ort außerhalb des Bezirks reisen wollte, benötigte man eine schriftliche Genehmigung des örtlichen ländlichen Rats. Das Dokument war nur 30 Tage gültig. Hätte ein Kolchosbauer versucht, in einer Stadt zu bleiben und nie in seine Kolchose zurückzukehren, hätte er in einem solchen Falle mit seiner Gefangennahme und einer Geldstrafe rechnen müssen und wäre zudem zurückgeschickt worden. Wiederholungstäter mussten zwei Jahre hinter Gittern verbringen.

Die Vorschriften wurden mit der Zeit noch strenger, aber selbst nach Stalins Tod - zur Zeit von Chruschtschow und dann von Breschnew - hatten 37 Prozent der sowjetischen Bürger keine Pässe, laut der Angaben des Ministeriums für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung aus dem Jahr 1967. Das sind fast 58 Millionen Menschen.

Es gab jedoch immer Möglichkeiten, die Beschränkungen zu umgehen. Zum Beispiel konnte ein Bewohner eines Dorfes einen Stadtbewohner heiraten und aus diesen Gründen in eine Stadt umziehen. Man konnte auch mit einer Arbeitserlaubnis reisen oder an einer Universität in der Stadt zugelassen werden. 1974 wurden diese Praktiken endgültig aufgehoben und alle Sowjetbürger konnten nun Pässe erhalten.

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Eine freie Wahl des Wohnortes gab es nicht 

Selbst ein Pass garantierte jedoch noch nicht eine Reise von Punkt A nach Punkt B: Man benötigte weiterhin eine Genehmigung sei es für eine Dienstreise, einen Aufenthalt aus medizinischen Gründen oder einen Besuch bei Verwandten usw.

„Die Leute besuchten einander ziemlich oft. Aber ein Hotelzimmer zu bekommen war praktisch unmöglich“, erinnert sich Jelena aus Moskau. „Die Rezeptionistin würde immer die Vorlage einer Arbeitsreisegenehmigung verlangen. In Abwesenheit einer solchen wurde Ihnen ein Zimmer verweigert, unabhängig von der Verfügbarkeit. Sie konnten allerdings immer noch ein Zimmer mit Bestechung bekommen- das wären ungefähr 3 bis 5 Rubel gewesen, obwohl das Zimmer selbst nur ungefähr 2 Rubel für die Nacht gekostet hat.

Undenkbar war es, in eine andere Stadt umzuziehen, einfach nur weil man es wollte. Es war illegal. Man musste eine Aufenthaltsgenehmigung, auch bekannt als „Propiska“, bekommen. [Dieses System der Meldepflicht durch Eintrag in den Pass durch die staatliche Verwaltung wurde in der Sowjetunion 1933 unter Stalin eingeführt - Anm. der Red.]. 

Ohne wesentlichen Grund wurde eine solche „Propiska“ nicht erteilt. Ein solcher Grund konnte beispielsweise sein, dass man mehrere Jahre in einem Fachgebiet unter nicht sehr attraktiven Bedingungen arbeiten musste. Aber auch dies war keine Garantie: Die Behörden hatten weiterhin das Recht, die Registrierung ohne Begründung abzulehnen.

Nach dem Fall der Sowjetunion wurde dieses System der „Propiska“ aufgehoben. Es wurde als verfassungswidrig eingestuft und durch die sogenannte „Registrierung“ nach vorübergehendem oder dauerhaften Wohnort“ ersetzt.

Geschlossene Städte

Schließlich gab es auch eine lange Liste von Städten und Siedlungen, die für einfache Bürger völlig geschlossen waren (einige sind es immer noch). Diese Städte beherbergten militärische oder strategische Objekte und waren oft auch Grenzstädte.

Ein Besuch war nur möglich, wenn man in der Stadt geboren wurde oder dort einen Verwandten hatte. Manchmal wurde der Status solcher Städte von „geschlossen“ auf „offen“ umgestellt. 

Einige Städte blieben jedoch jahrzehntelang geschlossen. Norilsk ist eine von ihnen.

„Wenn Sie in Norilsk landeten, stieg die Grenzpolizei in das Flugzeug ein und überprüfte den Pass und die Registrierung aller Passagiere – das war in den 1980er Jahren!“, erinnert sich Eduard, ein ehemaliger Bewohner des geschlossenen sowjetischen Norilsks. „Sie mussten entweder eine Genehmigung der Partei zur vorübergehenden oder dauerhaften Arbeit an diesem Ort oder eine Einladung eines Verwandten oder eine Einladung einer Produktionsstätte haben, die einen solch Fachmann wie Sie benötigte.“

Besonders trickreiche Leute bekamen von ihren Freunden einen Pass, wenn diese in den Urlaub gingen und nahmen die Registrierungsseiten heraus. „Pässe ähnelten damals kleinen Broschüren mit Seiten mit Büroklammern“, erinnert sich Eduard. „Sie nahmen die entsprechenden Seiten heraus und fügten diese in ihren eigenen Pass ein. Nach der Passkontrolle in Norilsk sandten sie diese Seiten per Post an die Eigentümer zurück.“

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