Ein Tretauto war ein wahres Wunder, ein Luxusartikel, den jedes sowjetische Kind begehrte. In der UdSSR gab es Dutzende Modelle von Tretautos - Moskwitsch, Raketa, Pobeda, Raduga. Einige von ihnen waren exakte Nachbildungen von realen Automodellen. Alle wurden in sowjetischer Designtradition hergestellt, also mit Akribie und Liebe zum Detail. Sie alle waren, auch typisch sowjetisch, von äußerst solider Machart.
Doch leider gab es diese Tretautos nur für wenige Kinder. Sergej verbrachte seine Kindheit in den 1960er Jahren in Moskau. Er erinnert sich, dass er damals nicht einmal von einem solchen Tretauto zu träumen wagte. Erstens waren sie sehr teuer, und zweitens wurden sie nur bei Detski Mir, dem bedeutendsten Spielwarengeschäft der Stadt, angeboten und waren immer sofort ausverkauft.
„Ich denke, in unserer Nachbarschaft gab es nur ein einziges solches Auto und es gehörte dem Sohn einer wichtigen Persönlichkeit. Ich hatte nur ein Dreirad, aber ich war damit überglücklich“, erzählt Sergej.
Die meisten Sowjets lebten in winzigen Wohnungen und hätten auch gar keinen Platz gehabt, ein Tretauto zu verstauen. In der sowjetischen Kult-Komödie „Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf“ gibt es eine Szene, in der ein Tretauto neben einem Kinderwagen in einem Treppenhaus zu sehen ist. Aber selbst diese Möglichkeit hatten nur diejenigen, die in Wohnhäusern mit Concierge lebten. Andernfalls wäre ein solch begehrtes Objekt einfach gestohlen worden.
Olegs Kindheit fiel in die 1980er Jahre, einer Zeit des allgegenwärtigen Mangels, auch an Spielwaren. „Ein Tretauto in der Nachbarschaft erregte sehr viel Aufsehen und erzeugte Neid. Sein glücklicher Besitzer konnte sich vor neuen ‚Freunden‘ gar nicht retten“, berichtet er.
Die Tretautos hatten jedoch einen erheblichen Nachteil. Sie waren für Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren konzipiert mit entsprechender Durchschnittsgröße und einem durchschnittlichen Gewicht. So konnten sie oft nur einen Sommer lang gefahren werden, bis ihr stolzer Eigentümer einfach zu groß wurde.
In einigen Städten gab es Tretautos zur Miete. So konnte man damit ein paar Runden im Park oder auf einem großen Platz drehen. Sowjetische Eltern neigten jedoch nicht dazu, ihre Kinder zu verwöhnen. Das Fahren eines Tretautos, ein Eis oder eine Zuckerwatte waren ganz besondere Ereignisse, die reserviert waren für Feiertage oder Geburtstage.
Boris wuchs in den 1980er Jahren im damals sowjetischen Riga auf. Dort war der Mangel nicht so schlimm, so dass es etwas leichter war, an ein Tretauto zu kommen. Boris erinnert sich, dass sein Auto sehr schwer war und ihm viele Kinder dabei halfen, das Fahrzeug in den dritten Stock seines Zuhauses zu schleppen. Er hätte es allein nicht tragen können.
Die UdSSR widmete der kindlichen Entwicklung große Aufmerksamkeit. Wenn ein Kind am Fahren interessiert war, konnte es einem Autoclub beitreten. Es gab sogar Wettbewerbe für kleine „Rennfahrer“.
1966 fanden in Moskau eine Parade und ein Wettbewerb für selbstgebaute Autos und Motorräder statt. Ausgerichtet wurden die Veranstaltungen von der beliebten Jugendzeitschrift „Technika - molodjoschi” (zu Deutsch: Technik der Jugend).
Die Parade führte durch die Innenstadt. Die Fahrzeuge der Teilnehmer wurden anschließend im Gorki Park ausgestellt.
Der Moskwitsch auf dem Foto unten war kein Modell aus der Fabrik, sondern selbstgebaut:
Für kleinere Kinder gab es Rutscherautos. Das Foto unten zeigt ein Wolga-Modell. Sein glücklicher Besitzer erzählte, dass er es nie draußen genutzt habe, sondern immer nur in der Wohnung damit herumgefahren sei.
Heutzutage bieten russische Geschäfte eine große Auswahl an Spielzeugautos an, einschließlich der neuesten ausländischen Modelle. Für sowjetische Tretautos sind Sammler bereit, hohe Summen zu zahlen (zwischen 4.000 und 50.000 Rubel, umgerechnet etwa 50 bis 640 Euro).
Mit einer neuen Lackierung wird dieses Fahrzeug wieder ein Fest für die Augen sein und seinem neuen Eigentümer noch viele Jahre Freude bereiten.