MMM: Der größte Betrug in der Geschichte des modernen Russlands

Geschichte
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Dies ist die Geschichte darüber, wie es dem Mastermind hinter MMM, Russlands größtem Finanzpyramiden-System, gelungen ist, hinter Gittern ins Parlament gewählt zu werden, wie er den Oligarchen den Krieg erklärte und wie er sich mit Julian Assange zusammenschließen wollte.

Schritt 1: Ein Mann mit Brille und in Trainingshose

In der Sowjetzeit war Sergei Mawrodi eine „unbekannte Größe“. Nur wenige Leute wussten, wer er war oder woher er kam. Vor der Gründung seines Ponzi-Programms verkaufte Mawrodi, ein ausgebildeter Software-Ingenieur, Raubkopien von Audiokassetten, importierte Bürogeräte (er importierte angeblich die ersten PCs in die UdSSR), sammelte Schmetterlinge und züchtete Aquarienfische.

In seinen weiten Trainingshosen, der Hornbrille und dem ungepflegten Poloshirt sah Mawrodi eher aus wie ein Sportlehrer, der aus seiner Wohnung gekommen war, um den Müll rauszubringen, als einer der Großen im Finanzbereich. Auf der anderen Seite könnte dies sein „Schlüssel“ zum Erfolg gewesen sein, um Menschen dazu zu bringen, ihre Brieftaschen zu öffnen.

Die „MMM-Genossenschaft“, die später zu einem riesigen Ponzi-Programm wurde, wurde 1989 in Moskau gegründet. Der Name des Unternehmens wurde aus den Anfangsbuchstaben der drei Familiennamen der Gründer gebildet - Sergei Mawrodi, sein Bruder Wjatscheslaw Mawrody und Olga Melnikowa (die erste Frau seines Bruders). Wjatscheslaw und Olga seien jedoch nur nominelle Zahlen, die für die Registrierung des Unternehmens benötigt wurden, behauptete (rus) Sergei.

Anfangs hatte die „MMM-Genossenschaft“ nichts mit der Finanzwelt zu tun, wurde aber schnell bekannt: Importierte technische Geräte fanden damals reißenden Absatz. Das Geschäft lief so gut, dass Mawrodi 1991 im Rahmen einer PR-Kampagne den Moskowitern kostenlose eintägige U-Bahn-Reisen anbot und zwei Jahre später eine Sylvester-TV-Ansprache an die Menschen in Russland richtete, dies macht normalerweise der Präsident des Landes.

Als Mawrodi am 1. Februar 1994 zum ersten Mal MMM-Aktien der JSC (Aktiengesellschaft) zum Verkauf ausgab, kannten ihn die Leute gut (oder zumindest dachten sie, dass sie es taten). Eine Aktie kostete 1.000 Rubel (das entsprach etwa 0,65 US-Dollar). Die Kauf- und Verkaufspreise für Aktien wurden nach dem Prinzip „Heute ist immer teurer als gestern“ stetig erhöht. Mawrodi setzte persönlich die angegebenen Preise fest, die eigentlich willkürliche Zahlen waren und aus der Luft gegriffen waren.

Es funktionierte für eine sehr kurze Zeit. „Bei MMM gibt es keine Probleme“ lautete sein Werbeslogan. Das Unternehmen versprach den Aktionären, ihre Aktien auf Anfrage sofort zurückerstattet zu bekommen. Zahlungen an Teilnehmer des Ponzi-Programms erfolgten mit dem Geld neuer Investoren. Bis Juli 1994 hatte der Aktienkurs 125.000 Rubel (81 US-Dollar) erreicht.

Schritt 2: Aktivisten gegen ökonomische „Sklaverei“

Reibereien mit den Behörden entwickelten sich schnell. Mawrodi behauptete, dass sein Unternehmen fast ein Drittel des Staatshaushalts ausmachte. Er begründete sein Handeln nicht mit dem Wunsch, sich selbst zu bereichern, sondern mit dem Wunsch, „in die Räubereien des Landes einzugreifen“. Er sagte, er wolle das von der Bevölkerung gesammelte Geld verwenden, um zum Verkauf angebotenes Staatseigentum zu retten, damit es in die Hände der Menschen und nicht der Oligarchen gelange. „Die Menschen werden zu wirtschaftlichen Sklaven der Oligarchen, und dann werden sie wie Müll entsorgt und mit einer Rente von nur 100 Dollar abgespeist, pflegte er zu sagen.

Als die MMM-Aktien ausverkauft waren, bat das Unternehmen um eine zusätzliche Anleihe, aber das Finanzministerium lehnte ab. Dann gab Mawrodi „MMM-Gutscheine“ heraus, die den russischen 10-Rubel-Banknoten ähnelten. Auf diesen war anstelle des Porträts von Lenin wie auf der Banknote ein Porträt von Mawrodi gedruckt.

Der MMM-Gutschein war keine Sicherheit - tatsächlich war es nur ein Stück Papier, dessen Wert auf nichts anderem als Mawrodis Versprechen beruhte. Es war alles eine große Täuschung.

Schritt 3: Ein außer Kontrolle geratener Parlamentarier

Mawrodi konnte nicht sofort vor Gericht gestellt werden. Die ersten Anschuldigungen wurden im August 1994 erhoben. Und er wurde nicht des Betrugs, sondern der Steuerhinterziehung beschuldigt.

Er wurde verhaftet, aber während seiner Haft und der Ermittlungen gelang es Mawrodi, als Abgeordneter des Unterhauses im Parlament zu kandidieren und erfolgreich gewählt zu werden: Investoren des Ponzi-Programms wollten ihr Geld zurückbekommen und stimmten also für ihn. So bekam er parlamentarische Immunität und ging direkt aus seiner Gefängniszelle ins Parlament.

Aber Mawrodi erschien nicht zu den Parlamentssitzungen und wurde schon ein Jahr später seines Mandats enthoben. Dann verschwand er. Die Ermittlungen zu MMM wurden wieder aufgenommen und Mawrodi setzte man auf die internationale Fahndungsliste.

Er wurde im Januar 2003 in einer gemieteten Wohnung in Moskau festgenommen, in der er sich versteckt hielt. Während dieser Zeit brachte ihm sein Sicherheitspersonal Essen und Kleidung, während er sich selbst unter falschem Namen im virtuellen Unternehmen „Stock Generation“ in einem karibischen Land registrierte.

Mawrodi wurde zwar zu vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Aber er kam kurz darauf wieder frei, da er zu diesem Zeitpunkt bereits diese Haftstrafe in Untersuchungshaft abgesessen hatte.

Schritt 4: Exporteur von Ponzi-Programmen

Das Geld der Investoren wurde nie gefunden. Höchstwahrscheinlich hat Mawrodi es über seine Offshore-Tochtergesellschaften bekommen.

Nach dem Prozess war er weiterhin an Finanzpyramiden-Systemen beteiligt und konzentrierte sich dabei auf den Export dieser ins Ausland: Er eröffnete ähnliche Programme in Südafrika und Lateinamerika. Anfang 2017 wurde die Website des lokalen MMM-Programms in Nigeria bekannter (eng) als die von Facebook. 2011 machte er Julian Assange einen Vorschlag (rus), sich „im Kampf gegen die scheinheilige globale Finanzclique“ zusammenzuschließen.

Mehr als 50 Menschen starben unter den finanziellen Trümmern von MMM - sie nahmen sich das Leben, als sie realisierten, dass sie nichts zurückbekommen würden. Aber Mawrodi blieb unbeeindruckt. „Mir wurde gesagt, dass sie getäuscht worden wären und nicht gewusst hätten, was sie taten. Aber sie waren doch erwachsen und geistig fit“, war seine Antwort.

„Der Große Kombinator [ein fiktiver Betrüger in den Romanen der sowjetischen Autoren Ilja Ilf und Jewgeni Petrow] der 1990er Jahre“ starb im März 2018 im Alter von 62 Jahren an einem Herzinfarkt. „Wussten Sie, dass niemand [unter seinen Verwandten] nach seinem Tod sich seines Körpers annehmen wollte?“ sagte (rus) einer der ehemaligen Mitarbeiter von Mawrodi. Sein eigener Bruder weigerte sich, Mawrodi neben seinen Eltern zu begraben. Am Ende waren es ehemalige MMM-Investoren, die beschlossen, seine Beerdigung zu bezahlen (rus).

>>> Als die Kassiererin eines Friseursalons die einflussreichsten Russen um Millionen prellte