Als die Kassiererin eines Friseursalons die einflussreichsten Russen um Millionen prellte

Alexei Druschinin/TASS
Die Gründerin von Wlastilina, des größten Finanz-Schneeballsystems der Neunzigerjahre, prellte Russen um einen Riesenbetrag – insgesamt mehr als 200 Millionen Dollar.

In den Neunzigerjahren bezeichneten Journalisten Walentina Solowjowa als reichste Frau Russlands. Diese „psychopathische Persönlichkeit mit Selbstüberschätzung“ (Befund der medizinischen Untersuchung) hatte das ganze Land über mehrere Jahre getäuscht. Sie bewahrte das Geld in schwarzen Aktenkoffern bei sich zu Hause auf – Millionen von Dollar. Mit der Aussicht auf gigantische Zinsen wurden ihr von russischen Stars, Bankdirektoren, Fabrikbesitzern und Regierungsbeamten riesige Geldbeträge anvertraut. Auf ihre selbstbewusste Art suggerierte sie diesen Menschen, sie werde die eingezahlten Beträge binnen eines Monats mindestens verdoppeln.

Als das Schneeballsystem dann zusammenbrach, stellte sich heraus, dass die ehemalige Kassiererin eines Friseursalons in der Nähe von Moskau, die nicht einmal über einen Hochschulabschluss verfügt, alle getäuscht hatte. Wie war das möglich? Das ist auch heute nicht allen klar.

Alles zum halben Preis!

Als erstes dachte sich Solowjowa eine passende Legende aus: Sie sei in einem Zigeunerlager zur Welt gekommen, ihre Mutter sei Roma, ihr Vater ein russischer Offizier gewesen. Es ist nicht ganz klar, wozu sie sich das ausgedacht hatte, aber anscheinend wollte die zukünftige Schwindlerin ihrer Vita etwas Romantik verleihen. Tatsächlich wurde sie 1951 auf Sachalin geboren, verließ die Schule ohne Mittelschulabschluss. Mit ihrem ersten Mann zog sie Ende der Achtzigerjahre nach Iwantejewka, einer Stadt in der Nähe von Moskau, und arbeitete dort als Kassiererin in einem Friseursalon.

Dann heiratete Walentina zum zweiten Mal und gründete mit ihrem Mann die Firma Dosator: Sie handelten mit Waren, die es in der Regel nur unter dem Ladentisch zu kaufen gab, also mit nahezu allem. 1992 gründete sie ihr eigenes Unternehmen – Wlastilina. Die Bank gab ihr einen Kredit über 1,5 Milliarden nicht denominierter Rubel (nach heutigem Wert 1,5 Millionen Rubel bzw. 23.000 Euro) für den Bau von Gartenhäusern. Gleichzeitig handelte sie auch mit Möbeln, Kronleuchtern, Kühlschränken und Autos.

Das Besondere an ihrer Geschäftstätigkeit waren die äußerst niedrigen, unter dem Marktwert liegenden Preise. Zum Beispiel verkaufte sie ein Auto im Wert von 8 Mill. Rubel für 3,5 Mill. Es gab dabei nur eine Bedingung: Der Kaufpreis musste einen Monat im Voraus vollständig bezahlt werden. Tatsächlich verkaufte Wlastilina im ersten Jahr 16.000 Moskwitschs und Ladas (unter anderen war das gesamte Polizeidepartement für Wirtschaftskriminalität mit diesen Fahrzeugen ausgestattet). Man vertraute ihr eben.

Die Blütezeit des Firmenimperiums

Eine weitere Einnahmequelle waren Spekulationseinlagen. Solowjowa zahlte für die Einlagen hohe Zinsen: 50 % (für zwei Wochen) bzw. 100 % (für einen Monat). Um ihre Anleger nicht zu verunsichern, bezeichnete sie ihre Firma als Bank, obwohl sie nie über eine Banklizenz verfügte. Auf der Schwarzen Liste stand ihr Name jedoch nicht – Steuerprüfer und Polizisten gehörten zu ihren Kunden. 

„Wlastilina benötigte keinerlei Werbung. Warum auch? Sogar die Banken, die mir meine ersten Kredite gaben, brachte mir Geld und erhielten doppelt so viel zurück“, erinnert sich Solowjowa.

Als die Nachfrage zu groß wurde, legte sie ein unteres Limit fest: 100 Millionen Rubel (nach heutigem Wert 100.000 Rubel bzw. 1.420 Euro). Nun gehörten zu ihrem Kundenstamm nur noch wohlhabende Menschen. Zu den Anlegern zählten u.a. Alla Pugatschowa, Philip Kirkorow und viele andere.

>>> Sieben Fakten über Russlands Popdiva Alla Pugatschowa

Wie funktionierte das Schneeballsystem?

Natürlich vollbrachte Wlastilina keine Wunder und funktionierte wie ein gewöhnliches Schneeballsystem: Ein Teil des Geldes der neuen Anleger wurde für die Auszahlungen an die alten ausgegeben, der andere Teil des Geldes wurde in Unternehmen und Aktien investiert und floss in die eigene Tasche. Auch die Zeit spielte ihr in die Hände: „Die Inflation war enorm. Wenn du heute keine Dollar gekauft hast, waren die Rubel morgen nur noch Altpapier. Sie setzte auf den Preisanstieg. So waren die Zeiten damals“, erklärt Alexej Muskatin, damals Manager eines berühmten Schauspielers, der Solowjowa mit den Top-Vertretern des Showbusiness bekannt machte.

Die Probleme begannen 1994, als Wlastilina mit den Auszahlungen nicht mehr hinterherkam. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren über Betrug in besonders großem Ausmaß ein. Aber selbst dann noch glaubte man an ihr Schneeballsystem. Am letzten Tag des Bestehens von Wlastilina gab Pugatschowa der Betrügerin 1,75 Millionen Dollar – die Sängerin hoffte, ihr Kapital zu verdoppeln.

Der Untergang

Der Prozess gegen die Gründerin von Wlastilina dauerte fünf Jahre. Er umfasste 500 Aktenordner, es gab 16.600 Geschädigte. Nach dem offiziellen Ermittlungsbericht erhielt die Schwindlerin 692 Mrd. nicht denominierter Rubel (nach heutigem Wert ca. 10 Mill. Euro), zahlte jedoch nur 189 Mrd. bzw. 2,7 Mill. Euro an die Anleger zurück (sie selbst behauptet jedoch, dass Billionen durch ihre Hände geflossen sind).

Vor Gericht erschien Solowjowa im Pelzmantel und mit Diamantenschmuck, hielt Reden wie im Theater und bekannte sich nicht schuldig. Sie wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, von denen vier durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt waren. Es bestand ein Besuchsverbot. Nach nur zwei Jahre wurde sie auf Bewährung entlassen.

Während ihrer Haft starben ihr Vater und ihr Mann. Der Vater erlitt einen Schlaganfall, als er seine Tochter im Fernsehen im Gerichtssaal hinter Gittern sah. Der Ehemann hatte sich erhängt. Solowjowa glaubt, ihr Mann sei getötet wurde, weil man dachten, er wüsste, wo sie das Geld versteckt hatte. Ihre Milliarden wurden nie gefunden...

Jetzt tingelt die ehemalige Milliardärin durch die russischen Talkshows und spricht stolz über ihre unternehmerischen Erfahrungen. Sie hält sich noch immer für unschuldig und denkt, dass sie reingelegt wurde. „Haben sie denn nicht nachgedacht, als sie mir diese Millionenbeträge anvertrauten? Sobald Wlastilina ein bestimmtes Level erreicht hatte, wurde der geheime Befehl erteilt, mich aus dem Weg zu schaffen. Ich wurde von hochgestellten Personen davor gewarnt“, erklärte sie bei einer dieser TV-Shows. 

>>> Russlands wilde Wirtschaftsjahre

>>> Wadim Wolkow: „Unternehmer bildeten eine parallele Gesellschaft“

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!