Wie Napoleon beinahe ein russischer Offizier geworden wäre

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Napoleon Bonaparte wäre beinahe in der russischen Armee gelandet. Wäre er nicht so überheblich gewesen, hätte die Geschichte, wie wir sie kennen, wohl einen ganz anderen Verlauf genommen.

1788 rekrutierte der russische Generalleutnant Iwan Saborowski in Florenz ausländische Soldaten für den russischen Militärdienst. Sie sollten im Krieg gegen das Osmanische Reich kämpfen. Eines Tages ersuchte ein auf Korsika geborener Unterleutnant mit dem Nachnamen Bonaparte Saborowski um eine dringende persönliche Audienz. Normalerweise hätte ein Militär in Saborowskis Rang dieses Ansinnen zurückgewiesen, doch er hatte die Anweisung, französischen Soldaten aus dieser Region besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Also empfing er Bonaparte. 

Ein blasser, dünner und etwas heruntergekommen wirkender 19-jähriger Unterleutnant betrat Saborowskis Kammer. Er bat, ja er forderte sogar, in den russischen Dienst mit dem gleichen Rang aufgenommen zu werden, den er in der französischen Armee hatte - was gegen die Regeln verstieß, die Katharina die Große erst kürzlich eingeführt hatte.

Saborowski war ein angesehener und erfahrener General. Er könnte möglicherweise eine Ausnahme für einen französischen General oder Oberst machen, aber für einen unbekannten Unterleutnant? Unmöglich. Bonaparte war frustriert über Saborowskis Zurückweisung und ging. Tatsächlich stürmte er geradezu aus dem Raum und schrie dabei voller Verachtung: „Ich werde in den preußischen Dienst eintreten. Der preußische König wird mich zum Kommandanten machen!“

Worum ging es hier? Was ging diesem seltsamen Vorfall voraus?

Die Hintergrundgeschichte 

Napoleon Bonaparte verließ 1779 kurz vor seinem zehnten Lebensjahr sein Zuhause auf der Insel Korsika, um die Militärakademie in Brienne-le-Château in Nordmittelfrankreich zu besuchen. Obwohl Napoleon ein Außenseiter war (wegen seines ausgeprägten korsischen Patriotismus), gelang es ihm, sich in Mathematik, Geschichte und Geographie hervorzuheben. Nach seinem Schulabschluss im Jahr 1784 entschied er sich für die Karriere eines Artillerieoffiziers. Er wurde in die École Militaire in Paris aufgenommen, die er 1785 im Rang eines Unterleutnants vorzeitig beendete. Danach diente er in der französischen Armee.

Zu Beginn des Jahres 1785 starb auch Napoleons Vater, Carlo Bonaparte, und hinterließ einen großen Schuldenberg. Obwohl Napoleon nicht der älteste Sohn in der Familie war, übernahm er die Verantwortung des Familienoberhauptes. Kurz nachdem er seinen eigentlichen Militärdienst begonnen hatte, musste er um eine vorübergehende Entlassung bitten, um seine Familie zu ernähren, und kehrte zum ersten Mal seit Jahren nach Korsika zurück. Napoleon musste die Entlassung zweimal verlängern, und selbst nach seiner Rückkehr in den Dienst im Jahr 1788 im gleichen niedrigen Rang eines Unterleutnants lebte er eher bescheiden. Er schickte den größten Teil seines Solds an die verwitwete Mutter nach Hause. Oft hatte der zukünftige Erste Konsul nicht einmal genug zu essen. Nur durch seine Unnachgiebigkeit und Entschlossenheit hat er diese Zeiten durchgestanden. 

Napoleon suchte verzweifelt nach Wegen, um seine ins Stocken geratene Militärkarriere wieder anzukurbeln. Deshalb wäre er beinahe beim russischen Militär gelandet. 1788 war der Krieg zwischen dem von Katharina der Großen regierten Russischen Reich und dem Osmanischen Reich in vollem Gange. Generalleutnant Iwan Saborowski wurde von der Kaiserin nach Südeuropa geschickt, um ausländische Offiziere für den Dienst in der russischen kaiserlichen Armee anzuwerben. Das Lockmittel für die Europäer war Geld. Die russische Armee zahlte viel mehr Sold als alle europäischen Länder. Saborowski hatte die Order, Offizieren aus Griechenland, Albanien und Korsika besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Länder hatten eine lange Kriegstradition gegen die Türken. Sie sollten unter dem Motto „Krieg der Christen gegen die Ungläubigen“ für den Dienst in der russischen Armee motiviert werden. 

Kurz zuvor erteilte Katharina jedoch den Befehl, Ausländer, die in die russische Armee eintraten, einen Rang herunterzustufen. Aus Napoleon wäre ein Praporschtschik geworden, der niedrigste Rang, den die Kaiserlich-Russische Armee zu bieten hatte. Das konnte der ehrgeizige Bonaparte nicht zulassen. Immerhin war er ein Absolvent der École Militaire in Paris! Also versuchte er, mit General Saborowski persönlich zu verhandeln, wie beschrieben. 

Was danach geschah 

Nein, Napoleon trat nicht in den preußischen Dienst ein, wie er in seiner Wut erklärt hatte. Er kehrte zu seinem Regiment zurück und wurde erst 1791 zum Leutnant befördert, nachdem die Französische Revolution bereits stattgefunden hatte.

Danach ging seine Karriere jedoch steil nach oben. Er kehrte nach Korsika zurück, wo er in die französische Nationalgarde eintrat und bald zum Oberstleutnant befördert und dann wieder zum Hauptmann herabgestuft wurde. Doch 1793 wurde er nach seiner Leistung während der Belagerung von Toulon zum Brigadegeneral befördert.

Als Napoleons Armee 1812 in Russland einmarschierte, lebte der bereits 77-jährige Iwan Saborowski in Moskau und saß im Senat des Russischen Reiches. Als alter Mann konnte er weder Befehle erteilen noch an Schlachten teilnehmen, also musste er wie die meisten Moskauer Adligen aufs Land fliehen. Saborowski erlebte Napoleons Niederlage und dessen Vertreibung aus Russland noch mit. Er starb 1817.

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