Die zweite Haut russischer Seeleute: Telnjaschka

Witalij Timkiw/Sputnik
Das blau-weiß gestreifte Baumwollunterhemd ist ein Erkennungszeichen russischer Seeleute. Auch andere Militärs tragen das traditionelle Kleidungsstück, jedoch in anderen Farben.

„Telnjaschka ist nur ein Kleidungsstück. Aber Sie sollten es auf jeden Fall einmal anziehen. Sofort werden Ihre Schultern breiter. Die blauen Streifen erinnern an eine Welle. Die weißen Streifen sind die Schaumkronen. Das Meer ist mitten auf Ihrer Brust.“ 

Dies sind die Worte von Wassili Saizew, eines berühmten sowjetischen Scharfschützen und Helden der Schlacht von Stalingrad. Vor dem Zweiten Weltkrieg diente er in der sowjetischen Marine, meldete sich aber später freiwillig an die Front. Saizew wurde Scharfschütze, behielt aber die Telnjaschka als Symbol für den Stolz und die Unnachgiebigkeit eines Seemanns in der Schlacht immer an. Warum war das blau-weiß gestreifte Unterhemd so wichtig für Seemänner und Soldaten?  

Vom bretonischen Hemd zur Telnjaschka 

Marinière (ein bretonisches Hemd) der französischen Marine

Bereits im 17. Jahrhundert wurde von französischen Seeleuten ein langarmiges Baumwollhemd mit blauen und weißen Querstreifen getragen, das als Marinière bezeichnet wurde, um sich von anderen Seefahrernationen abzuheben. Es wird auch als bretonisches Hemd bezeichnet, da viele Seeleute der französischen Marine aus der Bretagne stammten.

Die Streifen waren aus einem offensichtlichen Grund da - Sichtbarkeit. In der Dunkelheit, im Nebel oder bei Seestürmen und Regengüssen auf See war ein Mann in einem gestreiften Hemd sogar inmitten der krachenden wilden Wellen deutlich zu sehen. Aus dem gleichen Grund waren auch die ersten Badeanzüge gestreift. Außerdem war ein Seemann im gestreiften Hemd auch gut vor den Segeln sichtbar. 

Gabrielle Chanel in einer Marinière

Das Hemd wurde so eng mit den Franzosen verbunden, dass es zum Stereotyp wurde. 1858 wurde das bretonische Hemd zur offiziellen Uniform der französischen Seeleute. Schon bald wurde es auch in der russischen (1874) und der niederländischen Marine (1877) eingeführt.

Der 19. August 1874 gilt als „Geburtstag" der russischen Telnjaschka - an diesem Tag unterzeichnete der russische Kaiser Alexander II. ein Gesetz über die Marineuniform. Der Name Telnjaschka leitet sich vom russischen Wort „telo“ (zu Deutsch „Körper“) ab, weil es eben eng am Körper anlag. 

Russische Seeleute aus dem 19. Jahrhundert

Aber die Telnjaschka jener Tage trug offiziell noch nicht diesen Namen und sah anders aus als heute. Sie hatte blaue Streifen mit einer Breite von 11,11 mm, unterteilt von weißen Streifen mit einer Breite von 44,45 mm und bestand zu 50 Prozent aus Baumwolle und zu 50 Prozent aus Wolle. Blau und Weiß waren die Farben der Andreasflagge, der wichtigsten russischen Marinefahne seit den Zeiten von Peter dem Großen. Einige Formationen der russischen kaiserlichen Marine hatten jedoch Telnjaschkas in anderen Farben - zum Beispiel Rot.

1912 erhielt die russische Telnjaschka die klassische Form - blaue und weiße Streifen mit identischer Breite: 1,09 Zentimeter. Die Anzahl der Streifen variierte je nach Größe des Shirts.

Sowjetische Telnjaschka 

Die Telnjaschka gewann während der Revolutionen im Februar und Oktober 1917 eine neue Bedeutung, als die Seeleute der baltischen Flotte zu einem der Hauptfeinde der zaristischen Regierung wurden. Später verkörperten gestreifte Seeleute auf zahlreichen bolschewistischen Agitationsplakaten das Bild wilder Revolutionäre.

Vor und während des Zweiten Weltkriegs erschien in der UdSSR eine neue Art von Elite-Militärzweig: das Luftlandekorps. Diese schnell einsetzbaren Einheiten, die mit den körperlich stärksten Männern besetzt waren und komplizierte und gefährliche Operationen mit Fallschirmlandungen durchführen konnten, waren die bedrohliche Macht der sowjetischen Armee. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Entwicklung der Luftlandetruppen hauptsächlich von General Wassili Margelow (1908-1990) vorangetrieben. 

Soldaten der Luftlandetruppen der Sowjetunion

Margelow erwies sich als geschickter Propagandist, als er 1969 die Telnjaschka als offizielles Kleidungsstück für das Luftlandekorps bewarb, das er als Heldentruppe bezeichnete und ihm eine unverwechselbare Uniform zuwies, die es von allen anderen Infanterieeinheiten der sowjetischen Armee unterschied. Der wichtige Unterschied ist, dass die Telnjaschka des Luftlandekorps himmelblaue Streifen hat. 

Nach der Tradition des sowjetischen Luftlandekorps erhielt ein Neuankömmling das Recht, eine Telnjaschka tragen zu dürfen erst, nachdem er seine erste Fallschirmlandung auf dem Wasser durchgeführt hatte.

Heute gibt es vier Farben 

In der heutigen russischen Armee gibt es Telnjaschkas in verschiedenen Farben für verschiedene Militärkorps‘. Die Seeleute (einschließlich der U-Boot-Streitkräfte) tragen eine klassische weiß-dunkelblau gestreifte Telnjaschka. Mitglieder der Kremlwache tragen indigoblaue Streifen. Die Küstenwache des Grenzdienstes des FSB schmückt ihre Telnjaschka mit hellgrünen Streifen, dunkelrot ist die Farbe der Streifen für die Telnjaschka der Nationalgarde und im Ministerium für Notsituationen sind die Hemden orange gestreift. 

Das Telnjaschka ist jedoch nicht nur den Militärs vorbehalten. Es ist und war immer ein Symbol für Freiheit und sogar Gesetzlosigkeit - eine Hommage an die Unabhängigkeit der baltischen Seeleute in den Jahren der Revolution. Aus diesem Grund tragen viele sowjetische und russische Rebellen und Straftäter in Film und Fiktion oft eine Telnjaschka. 

Aus dem Film „Schirli-Myrli“

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