In historischen Quellen finden sich nicht viele Belege für das Sexualleben der Russen vor dem 18. Jahrhundert, vor allem, weil die orthodoxe Kirche diese Art von Informationen als unzüchtig ansah. Historiker müssen also die Daten mühsam aus den verschiedensten Quellen zusammentragen.
Die Historikerin Natalja Puschkarewa, die führende Spezialistin auf diesem Gebiet, zitiert die „Geschichte der sieben weisen Meister“, einen Zyklus von Moralgeschichten hebräischen Ursprungs, der im 17. Jahrhundert in Russland in einer Adaption der polnischen Sprache erschien: „Oh mein Lieber, mach was du willst, wovor schämst du dich?“ [...] Und sie offenbarte ihre Brüste und zeigte sie und sagte: „Schau, sieh und liebe meinen schönen Körper!“
In Russland vor dem 17./18. Jahrhundert gab es keine professionelle Gesundheitsvorsorge und gesundheitliche Probleme die Fortpflanzungsorgane betreffend konnten tödlich enden. Gleichzeitig war auch die Kindersterblichkeit sehr hoch. Aus diesen Gründen versuchte die Kirche, die die wichtigste moralische Autorität war, gleichzeitig Geburten zu fördern und das Sexualleben außerhalb der Ehe zu beschränken.
Historische Aufzeichnungen über Bußpraktiken der Kirche sind eine wichtige Quelle, wenn es um Geburtenkontrolle im Russland vor dem 18. Jahrhundert geht. Natalja Puschkarewa schreibt, dass es eine große Anzahl von Informationen über Frauen auferlegte Buße gab. Diese Frauen waren schwanger, wollten aber nicht gebären.
Abtreibungen wurden mit Kindermord gleichgesetzt. Die Abtreibung eines Fötus sollte mit fünf Jahren Reue und Fasten bestraft werden, die Abtreibung in einem späteren Stadium, wenn das ungeborene Kind schon „menschliche Gesichtszüge“ hatte mit sieben Jahren und der Mord an einem Neugeborenen mit 15 Jahren. Wie oft wurde diese Art von Buße praktiziert? Wir können es nicht mit Sicherheit sagen.
Die Anwendung pflanzlicher Verhütungsmittel wurde jedoch ebenfalls verurteilt. Aufzeichnungen aus dem Jahr 1656 zeigen, dass die Kirche für Empfängnisverhütung sieben Jahre Buße und Fasten vorschrieb - genau wie bei der Abtreibung eines Kindes mit „menschlichen Gesichtszügen“.
Also, wie behandelte man das Thema Sex? Normalerweise war er nur in der Ehe und nur an bestimmten Tagen erlaubt. Sex war während vier orthodoxer Fastenzeiten „verboten“: 50 Tage im Frühling, acht bis 42 Tage im Sommer, 13 Tage im August und etwa 40 Tage im Winter. Darüber hinaus war Sex mittwochs, freitags, samstags und sonntags sowie an allen kirchlichen Feiertagen untersagt. Es blieben für Intimitäten also kaum 50 Tage im Jahr. Daran hielt sich jedoch kaum jemand.
Bis zum 17. Jahrhundert verbot die Kirche, Sexualität überhaupt zu erwähnen. Nacktheit war ebenso verpönt. Adelige Frauen verbrachten ihr Leben in Holzpalästen, bewacht und beaufsichtigt von ihren Dienern. Die eheliche Treue war ein Muss.
Diese aufgezwungene Zurückhaltung konnte einfach nicht lange anhalten. In der gleichen Epoche zeigt die Literatur eine Entspannung im Umgang mit dem Thema Sex. Im 17. Jahrhundert wurde „Die Geschichte von Peter und den goldenen Schlüsseln“ - ein aus dem Polnischen übersetzter Text französischen Ursprungs - unter gebildeten russischen Bürgern beliebt, die sich der Moral der Kirche weniger unterwarfen. Die Geschichte erzählt von einem Mann, der eine Frau dazu brachte, aus ihrem Elternhaus davonzulaufen, um mit ihr zu schlafen. Um sich von ihren Sünden wieder zu befreien, mussten beide jahrelang rastlos umherwandern und beten und Buße tun.
Doch die Geschichte enthält auch die Beschreibung einer Sexszene: „Er liebte ihr weißes und helles Gesicht, ihre rosigen Lippen… und er konnte sich nicht zurückhalten, öffnete ihr Kleid an ihren Brüsten und wollte mehr von ihrem weißen Körper sehen… Und die engelhafte Schönheit zeigte sich. “
Weitere Quellen zeigen, dass das Sexualleben der Russen im 17. Jahrhundert ungeachtet der Taktik der Kirche trotz aller Widrigkeiten sehr aktiv war. 1641 untersuchte die Geheimpolizei des Zaren den Fall von Darja Lomakina, einer „Hexe“, die Liebestränke herstellte. Adam Olearius (1599-1671), ein deutscher Reisender und Diplomat in Russland, berichtete in seinen Schriften, dass es im 17. Jahrhundert für viele Moskauer Frauen üblich war, Mittel zuzubereiten, die die sexuelle Potenz ihres Mannes erhöhten. Im selben Jahrhundert kamen auch Volkszauber zur Potenzsteigerung auf. Auch die Bäuerinnen wollten offenbar sexuell leistungsfähige Männer. „Die Geschichte der sieben weisen Meister“ mit der Beschreibung einer Frau, die einen Mann zum Geschlechtsverkehr verführt, stammt ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert.
Diese verschiedenen Berichte erinnern uns daran, dass es im Russland des ausgehenden 17. Jahrhunderts, kurz vor der Regentschaft von Peter dem Großen, einen sexuellen Befreiungsschlag brauchte. Peter modernisierte das Land umfassend und beschnitt den Einfluss der Kirche auf das Leben der Russen.
Mit dem Einzug vieler europäischer Gepflogenheiten hielt in einigen großen Städten nun sogar die käufliche Liebe Einzug. Und zumindest für den Adel trat die lockerere europäische Art des Umgangs mit Liebe und Sex an die Stelle orthodoxer Frömmigkeit und Zurückhaltung. Für die russischen Bauern war die sexuelle Revolution dagegen noch sehr, sehr weit entfernt.
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