Lenins Gehirn: Verrät es, woran der Revolutionsführer gestorben ist?

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Unmittelbar nach seinem Tod wurde Lenin das Gehirn entfernt. Warum ließen die Bolschewiki das Gehirn des Revolutionsführers untersuchen?

Aus dem Autopsiebericht vom 21. Januar 1924 über den Leichnam Lenins: „Der vordere Teil der linken Hemisphäre ist im Vergleich zum rechten Teil leicht eingefallen. [...] Das Gehirn - ohne Membran - wiegt 1.340 Gramm. In der linken Hemisphäre, in den Bereichen des präzentralen Gyrus, der parietalen und okzipitalen Lappen, der parazentralen Spalten und des temporalen Gyrus - Bereiche mit starkem Absinken der Gehirnoberfläche. [...] Wenn das Gehirn seziert wird, sind seine Ventrikel erweitert, insbesondere der linke, und enthalten Flüssigkeit. An Orten des Einschlusses - Erweichung des Gehirngewebes mit vielen zystischen Hohlräumen.“

Offensichtlich hatte Wladimir Lenin zumindest in den Jahren vor seinem Tod einige Hirnschäden oder körperliche Probleme. Was steckte dahinter? 

Warum wurde Lenins Hirn untersucht? 

Eines der letzten Fotos von Wladimir Lenin, Juli-August 1923

Man kann unterschiedliche Meinungen über Lenin haben, aber es ist schwer, seine herausragenden intellektuellen Fähigkeiten in Frage zu stellen. Er schloss das Klassische Gymnasium Simbirsk mit Auszeichnung ab. Lenin beherrschte Englisch, Französisch und Deutsch und sprach Griechisch und Italienisch.

Das Badezimmer im Gorki-Anwesen, in dem Lenins Gehirn unmittelbar nach seinem Tod aus seinem Schädel genommen wurde.

Schließlich wurde das offensichtliche Lebensziel von Wladimir Lenin - die Zerstörung der Romanow-Monarchie und die Schaffung der UdSSR - von ihm durch jahrelange Untergrundaktivitäten, harte Arbeit, Propaganda, Finanzspekulationen und Intrigen durchgesetzt. Dies brachte Lenin schon zu Lebzeiten einen Kultstatus ein. Anscheinend wollten Ärzte Lenins Gehirn untersuchen, um eine Erklärung für seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zu finden. 

Was geschah mit Lenins Gehirn? 

Wladimir Lenin im Rollstuhl im Gorki-Anwesen, 1923

Nicht weit vom Kursker Bahnhof in Moskau in der Obucha-Straße befindet sich ein Gebäude des ehemaligen Evangelisch-Lutherischen Krankenhauses. Dort befindet sich jetzt die Abteilung für Hirnforschung des Wissenschaftlichen Zentrums für Neurologie der Russischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Hier wird Lenins Gehirn aufbewahrt, während sein Körper noch immer im Mausoleum auf dem Roten Platz liegt.

Unmittelbar nach Lenins Tod wurde sein Gehirn in eine Formalinlösung gelegt. 1925 wurde ein spezielles Labor zur Untersuchung eingerichtet. Oskar Vogt (1870-1959), ein deutscher Arzt und Neurologe, wurde nach Moskau eingeladen, um dieses Labor aufzubauen und zu betreiben. Lenins Gehirn wurde unter Vogts Aufsicht präpariert und alle Vorbereitungen für eine Untersuchung wurden getroffen. Dem Abschlussbericht zufolge wurden 30.953 Scheiben geschnitten mit einer Dicke von jeweils 20 Mikrometern (0,02 mm).

Oskar Vogt

Nachdem Vogt eine dieser Scheiben in die Hände bekam, verließ er mit diesem Stück von Lenins Hirn Moskau und kehrte nie zurück. Er zeigte das Präparat während seiner Vorträge in Europa. Ihm zufolge zeichnete sich Lenins Gehirn durch „sehr große und zahlreiche Pyramidenzellen in der dritten Schicht des Kortex“ aus. Später wurde jedoch klar, dass die Zytoarchitektur des Gehirns nichts mit den intellektuellen Fähigkeiten seines Besitzers zu tun hat. Seit 1932 wurde die Frage nach den physischen Eigenschaften von Lenins Gehirn nicht weiter diskutiert. 

Woran starb Lenin? 

Die ersten Anzeichen einer neurologischen Erkrankung zeigten sich 1922, zwei Jahre vor Lenins Tod. Schwindel, Ausfälle und Schlaflosigkeit, später Schwäche in Armen und Beinen und schließlich Sprachverlust. Die Ärzte waren sich über die Gründe für all dies nicht einig - sie vermuteten entweder Atherosklerose (aber Lenin war mit seinen damals 51 Jahren viel zu jung dafür) oder Syphiliden, Läsionen.

Alle Ärzte stellten jedoch fest, dass Lenins Verstand nicht beeinträchtigt war. Manchmal ging es ihm besser und er arbeitete wieder im Zentralkomitee, doch im März 1923 verlor er erneut die Sprache. Sie kehrte wieder zurück, doch Lenin ging nie wieder zurück an die Arbeit. 

Bei der Autopsie waren elf Ärzte anwesend, aber der Bericht wurde mehrfach umgeschrieben. Die endgültige Diagnose lautete: „ausgeprägte Arteriosklerose der Arterien mit einer ebenfalls ausgeprägten Läsion der Arterien des Gehirns“. Ansonsten sind jedoch nicht viele Informationen verfügbar. Die Ärzte blieben verschwiegen. Lenins Krankenakte, die in den letzten zwei Jahren seines Lebens durch seine drei Leibärzte geführt wurde, unterlag für 75 Jahre nach Lenins Tod der Geheimhaltung. 1999, als diese Zeit abgelaufen war, lebte Olga Uljanowa, Lenins Nichte, noch. Sie bat darum, die Dokumente für weitere 25 Jahre unter Verschluss zu halten, bis 2024, dem 100. Todestag Lenins.

Gebäude des ehemaligen Evangelisch-Lutherischen Krankenhauses, wo sich jetzt die Abteilung für Hirnforschung des Wissenschaftlichen Zentrums für Neurologie der Russischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften befindet und wo Lenins Gehirn aufbewahrt wird.

Der Gerontologe Walerij Nowosselow scheint der einzige Mediziner zu sein, der jemals mit dieser Krankenakte gearbeitet hat, aber es wurde ihm verboten, sie zu fotokopieren. Laut Nowosselow starb Lenin an einer Hirnsyphilis (in den 1920er Jahren war Syphilis in Russland sehr verbreitet und konnte nicht nur durch sexuellen Kontakt, sondern auch durch Übertragung von Gegenständen, die von den Betroffenen berührt oder benutzt wurden, kontrahiert werden.)

Max Nonne (1861-1959), ein internationaler Spezialist für die Syphilis des Gehirns, der Lenin während seiner letzten Krankheitsphase begleitete, schrieb jedoch: „Es gab absolut keine Hinweise auf Syphilis.“ Kürzlich schlugen Harry Vinters, Lev Lurie und Philip A. Mackowiak von der California University vor, dass Lenin an einer arteriellen Verkalkung starb, die durch Mutationen des Gens 5'-Nucleotidase Ecto (NT5E) (eine äußerst seltene Erkrankung, bis 2020 wurden weniger als 20 Fälle berichtet) verursacht wurde. Bis 2024 ist jedoch keine weitere Untersuchung zur Todesursache von Lenin möglich.

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