Eines Tages im Februar 1955 erhielt der sowjetische Führer Nikita Chruschtschow einen anonymen Brief von einer „Sowjetbürgerin und Mutter“. Die Verfasserin berichtete von etwas, was es in der UdSSR offiziell gar nicht gab: einem Bordell, das regelmäßig von hochrangigen Beamten frequentiert wurde. Dort vergnügten sie sich mit jungen Studentinnen, die dort unter falschen Versprechungen hingelockt worden waren. Die Frau behauptete, dass ihre Tochter eines der Opfer sei und forderte den sowjetischen Führer auf, das unzüchtige Establishment zu schließen und seine Betreiber und die Freier zu bestrafen.
Die Autorin des Briefes sagte, dass ihre Tochter unter anderen mächtigen Männern zum Beispiel Georgi Alexandrow, den Kulturminister der UdSSR, und Alexander Jegolin, einen sowjetischen Literaturkritiker und Parteifunktionär, erkannt habe.
Georgi Alexandrow
ArchivfotoChruschtschow muss der Brief gelegen gekommen sein, denn die potenziellen Schuldigen waren zugleich seine politischen Feinde. Der sowjetische Führer forderte eine sofortige Untersuchung.
Diese ergab, dass die Anschuldigungen gerechtfertigt waren. Alexandrow, Chruschtschows politischer Feind, war nicht die einzige mächtige Persönlichkeit, die im Bordell ein und aus ging. Die Namen anderer politischer Würdenträger, einflussreicher Ideologen und Propagandisten, berühmter Akademiker und sogar eines ehemaligen Bildungsministers unter Stalin, Sergei Kaftanow, wurden im Zusammenhang mit dem Sexskandal enthüllt.
Alle waren häufige Gäste im Haus des relativ unbekannten Dramatikers Konstantin Krowoschin, der junge Frauen aus verschiedenen Schauspielschulen für seine Sexpartys rekrutierte.
Kulturminister Alexandrow gestand seine Verfehlungen und bat um eine zweite Chance. Niemand außer Krowoschin, dem vermeintlichen Gründer des Bordells, wurde inhaftiert. Alexandrow verlor jedoch sein Ministeramt und wurde in die Weißrussische SSR versetzt, wo er als Abteilungsleiter am Institut für Philosophie der örtlichen Akademie der Wissenschaften arbeitete.
Der größte Sexskandal in der Geschichte der Sowjetunion wurde als „Fall des Gladiators“ bekannt, weil einer der Angeklagten behauptete, er habe sich allenfalls des „Streichelns“ schuldig gemacht, was auf Russisch „gladit“ bedeutet. Von da an wurden die in den Fall involvierten Personen als „Gladiatoren“ bezeichnet.
Eduard Strelzow
Wiktor Schandrin/TASSEduard Strelzow war ein sowjetischer Fußballspieler und ein Stürmer für Torpedo Moskau. Er debütierte im Alter von nur 18 Jahren international und galt als echtes Talent.
Kurz vor der Weltmeisterschaft 1958 geriet die Karriere des jungen Fußballstars ins Wanken. Strelzow sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, während einer Party eine junge Frau vergewaltigt zu haben.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatten Strelzow und Freunde in einer Datscha gefeiert und dazu auch junge Frauen eingeladen, die sie gerade kennengelernt hatten. Angeblich hatte Strelzow Sex mit einer von ihnen. Ihr Name war Marina Lebedewa.
Lebedewas Mutter rief die Polizei an, nachdem ihre Tochter nach Hause zurückgekehrt war. Strelzow wurde unter dem Vorwurf der Vergewaltigung verhaftet.
Obwohl die Beweise gegen ihn nicht eindeutig waren, gestand der Athlet, denn angeblich war ihm zugesagt worden, dass er im Falle eines Schuldeingeständnisses seine Fußballerkarriere fortsetzen dürfe. Doch das Gericht verurteilte den aufstrebenden Star zu zwölf Jahren Gefängnis.
Der Fall heizte die Gerüchteküche an. Es hieß, es sei ein Komplott eines konkurrierenden Fußballclubs oder ein Racheakt der Mutter, weil Strelzow die junge Frau nicht heiraten wollte. Auf jeden Fall gewann die brasilianische Mannschaft 1958 die Weltmeisterschaft in Schweden und Pelé holte den Titel des besten Nachwuchsstars. Im Gefängnis hatte Strelzow keine Chance auf diese Auszeichnung.
Strelzow wurde fünf Jahre später auf Bewährung freigelassen und kehrte zu seinem Heimatfußballverein Torpedo Moskau zurück. Überraschenderweise wurde er auch wieder in die sowjetische Nationalmannschaft aufgenommen und wurde 1968 sowjetischer Fußballer des Jahres.
Er starb 1990. Im Jahr 1997 soll Lebedewa einen Tag nach seinem Todestag angeblich Blumen an seinem Grab abgelegt haben.
Im September 1989 gewann die politische Karriere des künftigen ersten Präsidenten Russlands an Fahrt. Boris Jelzin hatte die Wahlen der Volksabgeordneten im Moskauer Wahlbezirk gewonnen und leitete das Komitee des Obersten Sowjets für Bau und Architektur.
Nur einen Monat später wurde Jelzin in einen saftigen Skandal verwickelt, der in der sowjetischen Presse viel diskutiert wurde.
Der Skandal begann, als Jelzin zu einer Polizeistation kam, die sich in einem Gebiet der Regierungsdatschen befand. Seine Kleidung war durchnässt und voller Schlamm. Er erklärte den Polizisten, dass er von Männern in einem Auto entführt worden war, die ihn dann von einer Brücke in den Moskauer Fluss geworfen hätten. Überraschenderweise bat Jelzin die Polizisten darum, die Geschichte für sich zu behalten.
Diese ignorierten die Bitte Jelzins und meldeten den Vorfall. So bekam die sowjetische Führung Wind davon und witterte einen politischen Skandal, der dazu geeignet wäre, Jelzin zu diskreditieren und seine Karriere zu beenden.
Michail Gorbatschow forderte eine Untersuchung der Entführung, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass diese nie stattgefunden habe, sondern sich ein anderes, dunkles Geheimnis hinter der Story verbarg, zum Beispiel eine heimliche Geliebte.
Boris Jelzin und Michail Gorbatschow
Sergei Gunejew/SputnikIn der Tat hat die Untersuchung ergeben, dass Jelzins Geschichte nicht wahr sein konnte. Wäre er an der besagten Stelle von besagter Brücke in den Fluss gefallen, hätte er wegen des flachen Wassers schwere Verletzungen davongetragen. Auch Jelzins Fahrer bestätigte die Geschichte nicht. Zudem wurde an der Stelle ein Blumenstrauß gefunden.
Obwohl Jelzins Verhalten in dieser Nacht keinen verbrecherischen Hintergrund hatte, nutzten seine politischen Gegner den Skandal, um ihn zu diskreditieren. Jelzin wies die Anschuldigungen und Gerüchte zurück: „Ein Sondertreffen im KGB wurde abgehalten, um Anweisungen zu geben, Gerüchte zu verbreiten, dass Jelzin trinke und mit Frauen ausgehe. Sie haben alle Grenzen überschritten, als der Hass sie von vernünftigen Handlungen abhielt. Ihre Bitterkeit kannte keine Grenzen. Sie hatte sich bereits in den Plan manifestiert, den Abgeordneten zu kompromittieren und zu diskreditieren, der ihnen wie ein bohrender Nagel im Fleisch erschien.“
Ob nun wahr oder nicht wahr, der Vorfall reichte nicht aus, um Jelzins politische Karriere zu zerstören. Der damalige Abgeordnete Jelzin übernahm nur wenige Jahre später das höchste Amt des neuen unabhängigen Russlands und wurde dessen Präsident.
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