Drei Ohrfeigen, die durch die ganze Sowjetunion schallten

Natalja Nosowa
Wer in der Sowjetunion den Falschen ohrfeigte, landete schnell im Arbeitslager. Dennoch waren auch die Gesichter der Sowjetführer nicht sicher vor Ohrfeigen.

Dass die Ohrfeige auch in Russland verbreitet ist, ist spätestens seit dem Auftauchen von Videos eines Ohrfeigenwettbewerbs in Krasnojarsk bekannt. Grund genug für uns, die drei schillerndsten Ohrfeigen der sowjetischen Geschichte vorzustellen.

Ossip Mandelstam gegen Alexej Tolstoi

Ossip Mandelstam (l), Alexei Tolstoi (r)

Ossip Mandelstam ist einer der bekanntesten russischen Dichter. Finanziell ging es ihm und seiner Ehefrau Nadeschda dennoch eher schlecht. Oft reichte das Geld nicht bis zum Monatsende. Dennoch erklärte sich Mandelstam bereit, seinem Freund und Dichterkollegen Sergej Borodin, der im selben Schriftstellerwohnheim am Twerskoj-Boulevard lebte, 75 Rubel zu leihen. Damals genug Geld für einen ganzen Monat.

Borodin hatte es jedoch nicht eilig, das Geld zurückzugeben. Als Mandelstam sah, wie Borodins Frau zwei Flaschen Wein kaufte, war er sauer: Obwohl die Borodins ihm Geld schuldeten, veranstalteten sie offensichtlich eine große Fete. Es kam zu einer Rauferei, bei der Borodin Ossip attackierte und seine Frau Nadeschda schlug. Um den Streit zu schlichten, wurde ein Tribunal unter der Leitung des einflussreichen Schriftstellers Alexei Tolstoi eingesetzt.

Tolstoi entschied, dass Borodin das Geld zurückgeben sollte, sobald er kann. Mandelstam war sauer, zumal das Tribunal nichts unternommen hatte, um Nadeschdas Ehre wiederherzustellen. Rund eineinhalb Jahre später traf er in Sankt Petersburg erneut auf Tolstoi. Ob dieses Treffen seitens Mandelstam geplant war, ist bis heute umstritten. Fakt ist aber, dass Mandelstam Tolstoi öffentlich ohrfeigte.

„Was machst du da. Ich werde dich zerstören“, antwortete Tolstoi schockiert. Niemand in Sowjetrussland sollte sich trauen, so etwas zu tun.  

Kurz darauf wurde Mandelstam festgenommen und ins Exil geschickt. Wenig später brachte man ihn sogar in ein Arbeitslager bei Wladiwostok, wo er 1938 starb. Gerüchten zufolge unterstützte Tolstoi die Verfolgung des Poeten oder unternahm zumindest nichts, um ihn zu retten.

Jewgenija Garkuscha gegen Lawrenti Beria

Jewgenija Garkuscha-Schirschowa, Lawrenti Berija

An die Schauspielerin Jewgenija Garkuscha erinnert sich heute kaum jemand – sie spielte nur in zwei Filmen mit, danach zerstörte der berüchtigte sowjetische Innenminister und Stalin-Vertraute Lawrenti Beria ihre Karriere. Grund dafür war eine Ohrfeige.

Mitte der 1940er-Jahre war Jewgenija eine aufstrebende Schauspielerin. Sie lernte 1941 Marineminister Pjotr Schirschow kennen und sie heirateten kurz darauf. Doch das junge Glück sollte nicht lange halten.

Im Jahr 1946 traf Jewgenija auf Innenminister Beria, einen der gefürchtetsten Männer seiner Zeit. Beria war nicht nur skrupellos gegenüber Regimegegnern, sondern missbrauchte seine Macht auch, um Frauen zu bekommen. Jewgenija wollte das nicht mitmachen. Als Beria ihr gegenüber aufdringlich wurde, gab sie ihm eine schallende Ohrfeige. Beria ließ dies natürlich nicht auf sich sitzen und sorgte dafür, dass Jewgenija wegen Spionage und Republikflucht festgenommen wurde.

Pjotr Schirschow

Als Schirschow, der von der Ohrfeige vermutlich nichts wusste, sich bei Stalin für seine Frau einsetzte, antwortete der Diktator kühl: „Wir finden eine andere Frau für dich.“ Trotzdem gelang es Schirschow, Jewgenijas Urteil abzumildern. Sie bekam „nur” acht Jahre in einem Arbeitslager in Magadan.

Dort nahm sie sich 1948 mit einer Überdosis Schlafmittel das Leben. Schirschow wurde entlassen und starb 1953 an Krebs. Im selben Jahr wurde Beria entmachtet, festgenommen und hingerichtet. Garkuscha wurde 1956 posthum rehabilitiert.

Ein Sowjetbürger gegen Gorbatschow

1996 kam Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der Sowjetunion nach Omsk, um den Präsidentschaftswahlkampf Boris Jelzins mit einer öffentlichen Rede zu unterstützen. Mit vier Sicherheitsleuten ging er in das Gebäude, in dem er sprechen sollte. Auf der Treppe kam ein 29-jähriger, arbeitsloser Mann namens Michail Maljukow auf den Ex-Präsidenten zu und schlug ihm ins Gesicht. Die Sicherheitsleute machten den Angreifer umgehend unwirksam. Gorbatschow war dennoch bedient und sagte alle Auftritte in Omsk ab.

Maljukow kam vor Gericht und musste eineinhalb Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus verbringen. Danach tauchte sein Name nie wieder in der Öffentlichkeit auf. Eine Interviewanfrage einer Lokalzeitung im Jahre 1998 lehnte er mit den Worten: „Ich habe die Nase voll von Politik“, ab.

Hatte Maljukow tatsächlich politische Motive? Fakt ist, dass viele Menschen Gorbatschow für den Zusammenbruch der Sowjetunion und das darauffolgende Chaos verantwortlich machten. Angeblich wurde er im selben Wahlkampf auch von einer älteren Dame angespuckt. Gerüchten zufolge soll Maljukow nach der Ohrfeige gesagt haben: „Das ist dafür, dass Sie die Interessen unseres Landes verraten und die Sowjetunion zerstört haben.“

Wahrscheinlich ist aber auch, dass Maljukow unter psychischen Problemen litt. Ein Mann aus Omsk, der mit ihm seinen Wehrdienst ableistete, sagte (rus) in einer Omsker Zeitung, dass sich Maljukow schon in den Jahren zuvor in einer schlechten psychischen Verfassung befand.

>>> Gorbatschow: Ikone der Revolution oder Symbol des Niedergangs?

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!