Nicht von Alexander III. Gnaden: Als russische Kosaken Afrika erobern wollten

gemeinfrei
Der Versuch einiger selbsternannter Kosaken, im späten 19. Jahrhundert auf dem afrikanischen Kontinent Fuß zu fassen, verärgerte die Kolonialmacht Frankreich ebenso wie den Zaren.

Im Januar 1889 sahen die verwirrten Franzosen mit offenem Mund zu, wie eine Abordnung russischer Kosaken an der Küste des Golfs von Tadjoura landete und das Territorium beanspruchte. Friedlich übernahmen die Neuankömmlinge das Kommando und erklärten das Gebiet zum Teil des russischen Reiches. 

Ataman Nikolai Aschinow 

Wie kamen die Kosaken überhaupt ins ferne Afrika? Russland war damals nicht präsent auf dem Kontinent. Verantwortlich war Nikolai Aschinow, der selbsternannte Ataman der freien Kosaken. 

Aschinow war eine außergewöhnliche Persönlichkeit und er war gar kein Kosake. Als Sohn eines Bauern wurde er 1856 in Zarizyn, einer Stadt an der Wolga, geboren, die ein Jahrhundert später als Stalingrad weltbekannt wurde.

Doch Zarizyn war für den ehrgeizigen Aschinow viel zu provinziell. Er strebte nach Ruhm und Ehre und hoffte, beides in der damaligen russischen Hauptstadt St. Petersburg zu finden.

Dort trat er als Kosakenführer auf, doch nicht als einer aus den traditionellen Kosakenregionen an den Flüssen Don und Kuban. Die Kosaken, die er vertrat, lebten angeblich in den Ländern der feindlichen Nachbarn Russlands: in Persien und dem Osmanischen Reich.

Nikolai Aschinow

Durch schicksalhafte Umstände, erklärte Aschinow, seien seine Kosaken in der Fremde in Anatolien, Kurdistan und dem türkischen Armenien gelandet. Aber als wahre Patrioten seien sie jederzeit bereit, nach Russland zurückzukehren, um ihrem Heimatland und dem Zaren treu zu dienen. Dazu mussten sie lediglich die Kontrolle über die Schwarzmeerküste im Kaukasus sowie finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten.

Aschinow versuchte, die einflussreichen Hauptstädter für sich zu gewinnen und verlangte eine Audienz beim Zaren. Er behauptete, er stünde auch in Verhandlungen mit den Briten, denen er seine Dienste anbieten würde, wenn er in der Heimat erfolglos bliebe. 

Die meisten nahmen seine Pläne und Drohungen nicht weiter ernst, doch einige mächtige Persönlichkeiten glaubten ihm. Es gelang ihm, sie für sich zu gewinnen. Doch die Schwarzmeerküste zu kontrollieren war ihm nicht genug. Aschinow hatte seine Fühler nach Afrika ausgestreckt. 

Bruderland Abessinien 

Der Ataman der freien Kosaken schlug vor, dass Russland in Abessinien (Äthiopien) präsent sein sollte. Dieses alte christliche Land, das immerzu seine Unabhängigkeit gegen muslimische Nachbarn und westliche Kolonialisten verteidigen musste, hatte das Wohlwollen der russischen Gesellschaft. Es wäre zudem auch praktisch, einen russischen Marinestützpunkt an der Küste des Roten Meeres zu haben. 

Yohannis IV.

Nikolai Aschinow reiste Anfang 1888 nach Afrika, um die Lage zu sondieren und, wie er behauptete, dienliche Kontakte zu lokalen Herrschern zu knüpfen. Er beschrieb den äthiopischen Kaiser Yohannis IV. als „unseren Freund, den Zaren von Abessinien“.

“[Aschinow] ist natürlich ein Abenteurer, aber im Moment ist er der einzige Russe, der in Abessinien anerkannt ist  [...] Das kann unter Umständen von erheblicher Bedeutung sein und Desperados wie Aschinow sind ein nützliches Werkzeug in solchen Angelegenheiten“, schrieb (rus) der russische Staatsbeamte Konstantin Pobedonoszew. 

Auf dem Weg nach Afrika 

Am Ende genehmigte Alexander III. die Pläne, in Abessinien eine Kosakensiedlung zu gründen. Die Expedition war „offiziell inoffiziell“, da der russische Herrscher keinen offenen Konflikt mit Italien oder Frankreich provozieren wollte, die ebenfalls in der Region engagiert waren. Wenn Probleme auftauchten, würde St. Petersburg vorgeben, nichts von Aschinows Plänen zu wissen. 

Unter den 150 Mann, die sich im Dezember 1888 auf den Weg machten, war kein einziger echter Kosake. Alle waren von Aschinow in Odessa zufällig rekrutiert worden. Einige hatten sogar ihre Familie mitgebracht. An der Mission nahmen auch Priester teil, die daran interessiert waren, Verbindungen zu afrikanischen Christen aufzubauen.

Da russische Kriegsschiffe nicht im Roten Meer auftauchen konnten, ohne einen diplomatischen Zwischenfall zu provozieren, reisten die Russen heimlich an Bord eines gecharterten ausländischen Schiffes.

Die „Amphitrida“, die unter österreichischer Flagge segelte, legte am 7. Januar 1889 mit den vermeintlichen Kosaken an Bord im Golf von Tadjoura vor der Küste des zukünftigen Dschibuti an.

Neu Moskau

Nikolai Aschinow fand schnell eine gemeinsame Sprache mit den örtlichen „Sultanen“, deren gesamtes Eigentum aus einigen eingezäunten Hütten bestand. Sie überließen ihm die verlassene ägyptische Festung Sagallo und ein weitläufiges Gelände, auf dem er sein Lager aufschlagen konnte.

Die Kosaken ließen sich dort nieder und bald wehte die russische Flagge über der Festung. Aschinow taufte das Gebiet „Stanitsa [Kosakensiedlung] von Neu-Moskau“.

Das friedliche Leben in der russischen Kolonie hielt jedoch nicht lange an. Die Gebiete der örtlichen „Sultane“, in denen der „Ataman“ von Bord gegangen war, standen unter dem Protektorat Frankreichs, und das Fort Sagallo war tatsächlich erst einige Jahre vor dem Auftauchen der Russen von den Franzosen gekauft worden. Warum hatten die Franzosen diesen ungebetenen Neuankömmlingen erlaubt, die Herrschaft zu übernehmen? 

Der Aschinow-Biograf Andrei Lunotschkin meint, die französische Regierung habe gewusst, dass Russland Beziehungen zu Abessinien aufbauen wollte, sei aber davon ausgegangen, dass die Kosaken weiterziehen würden. Gegen eine religiöse Mission, selbst wenn diese von Soldaten begleitet wurde, hatten sie nichts einzuwenden. Den russischen Zwischenstopp auf ihrem Hoheitsgebiet auf dem Weg nach Abessinien betrachteten sie nicht als Bedrohung. (A. Lunotschkin. Ataman der Freien Kosaken Nikolai Aschinow. Wolgograd, 1999, nicht auf Deutsch erschienen).

Doch Aschinows Mannen gefiel es an der Küste und sie entschieden sich zu bleiben. Als die Franzosen erkannten, dass die russische Präsenz von Dauer sein sollte, änderte sich ihre Laissez-Faire-Haltung.

Das Ende des Abenteuers 

Am 30. Januar näherten sich drei französische Kriegsschiffe der Festung. Einer der Staatsbeamten forderte Aschinow auf, sich beim Kommandanten der Hafenstadt Obock (wo sich die französische Regionalverwaltung befand) zu melden, die russische Flagge einzuholen und auf alle Ansprüche auf das Territorium zu verzichten. Als Antwort erklärte (rus) der Ataman kühn: „Als russische Bürger betrachten wir es als Demütigung, die Flagge auf Befehl von irgendjemanden einzuholen.“

Das Verhalten der selbsternannten Kosaken alarmierte nicht nur Paris, sondern auch St. Petersburg. Wütend gab Alexander III. den Franzosen einen Freibrief.

Alexander III.

So beschoss am 5. Februar ein französisches Geschwader das Fort und tötete sechs Menschen: zwei Frauen, drei Kinder und einen der Kosaken. Die Russen kapitulierten rasch. 

Nikolai Aschinow wurde zusammen mit seinen Begleitern nach Russland ausgeliefert und für viele Jahre in die Verbannung geschickt. Die russische Führung ärgerte sich über den Vorfall noch mehr als die Franzosen und versuchte, die französisch-russischen bilateralen Beziehungen zu retten.

Am 12. Februar schrieb (rus) die russische Regierungszeitung: „Die kaiserliche Regierung glaubt, dass es keinen Grund gibt, die französischen Behörden in Obock für das Blutvergießen in Sagallo verantwortlich zu machen. Die Verantwortung für den Vorfall liegt allein bei Nikolai Aschinow, der beschlossen hat, den Frieden in einem Gebiet zu stören, das einem Staat unterstellt ist, der freundschaftliche Beziehungen zu Russland unterhält.“

>>> Wie aus Britisch-Indien beinahe Russisch-Indien wurde

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