Am Gebäude mit der Hausnummer 10 in der berühmten Twerskaja Straße in Moskau würden viele Passanten wohl nicht so achtlos vorübergehen, wenn sie wüssten, welche Geschichte sich dahinter verbirgt.
Während der stalinistischen Säuberungen in der UdSSR in den 1930er Jahren verwandelte Josef Stalin dieses Luxus-Hotel in eine finstere Falle für kommunistische Emigranten aus aller Welt, die den Fehler gemacht hatten, dort einzuchecken.
Das luxuriöse Hotel Lux
Vor der russischen Revolution gehörte das 1837 erbaute Gebäude einem erfolgreichen russischen Bäcker und Unternehmer namens Dmitri Fillipow. 1911 erweiterte der Eigentümer den Bau, um das Hotel Franzija (Frankreich) zu eröffnen.
Das neue Hotel war sehr schick mit seiner Marmorfassade, Säulen am Eingang und großen Spiegeln in der Lobby. Zudem befand sich das Gebäude in unmittelbarer Nähe des Roten Platzes, dem architektonischen Herzen der russischen Hauptstadt. Das Hotel strahlte geradezu aus, dass es ein Ort für die Reichen und Berühmten war.
Die Bolschewiki, die infolge der russischen Revolution von 1917 an die Macht kamen, hatten ihre eigenen Pläne für das Luxushotel. Sie verstaatlichten es, setzten zwei weitere Stockwerke darauf, erhöhten die Zahl der Zimmer auf 300 und nannten es Hotel Lux. Das Hotel der Bolschewiki konnte jetzt 600 Gäste gleichzeitig begrüßen und hatte Kapazitäten für noch mehr.
Nach der Revolution von 1917 strömten sehr viele Kommunisten aus dem Ausland nach Sowjetrussland, um entweder an Versammlungen der Komintern, der Kommunistischen Internationale, teilzunehmen oder um in der UdSSR Zuflucht vor Repressionen in anderen Ländern zu suchen.
Das Hotel beherbergte Gäste wie den führenden deutschen kommunistischen Politiker Walter Ulbricht, den späteren ersten Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik Wilhelm Pieck, den deutschen Politiker Herbert Wehner, Hitlers politischen Feind Ernst Thälmann, den zukünftigen Bürgermeister von Westberlin Ernst Reuter und den renommierten deutschen Journalisten Richard Sorge, der zum sowjetischen Spion wurde.
Auch der erste Ministerpräsident der Volksrepublik China, Zhou Enlai, und der vietnamesische Revolutionär Ho Chi Minh übernachteten im Hotel.
Ein finsterer Ort
Als Stalins große Säuberungsaktion in den 1930er Jahren begann, wurden das Hotel und seine unglücklichen Bewohner von einer Welle des Terrors heimgesucht. Für viele verwandelte sich ihr stilvoller Unterschlupf in eine tödliche Falle.
Die Gäste gaben ihre Pässe bei der Ankunft an der Rezeption ab und erhielten einen vom Hotel ausgestellten Pass. Niemand ohne einen solchen Pass konnte die Räumlichkeiten betreten oder verlassen. In der Praxis bedeutete dies, dass die Gäste quasi Gefangene waren. Ohne die Erlaubnis der Behörden durften sie nicht wieder auschecken.
Einige der Gäste, die wegen des Krieges und anderer politischer Umstände im Hotel festsaßen, verbrachten dort Jahre. Im Hotel fühlten sich zunehmend auch Ungeziefer und Ratten sehr wohl.
Das Hotel Lux war ein dubioser Ort, sowohl für seine Gäste als auch für die Außenwelt. Es herrschte Geheimhaltung. Weder die Gästelisten noch die Listen der Verstorbenen geben Auskunft darüber, wer wann im Hotel gewohnt hat. „Die Namen im Gästebuch stimmten nicht mit den Angaben in den Pässen überein und die Angaben in den Pässen nicht mit den Decknamen, die in der Partei genutzt wurden“, schrieb (rus) Ruth von Mayenburg, die acht Jahre im Hotel verbrachte.
Viele der Gäste fielen Stalins Terror zum Opfer: Sie wurden entweder in der Sowjetunion festgenommen, gefoltert und/oder getötet oder an andere Länder ausgeliefert, darunter auch an Nazideutschland, wo sie unweigerlich ebenfalls festgenommen und getötet wurden.
Die grausamen Bedingungen, unter denen die Hotelgäste leben mussten, hinterließen Spuren. Angst, Furcht und Verzweiflung erfüllten das Hotel. Die Gäste fragten sich immer, wer das nächste Opfer der sowjetischen Geheimpolizei sein würde.
Einige schreckenerregende Vorfälle ereigneten sich im Hotel auch ohne Beteiligung des NKWD. „Ich bin in Moskau, im Zentrum der Macht sowie der staatlichen und nichtstaatlichen Kriminalität, in der Gorki-Straße (heute wieder unter dem historischen Namen Twerskaja bekannt) im Lux-Hotel aufgewachsen. Ich habe dort von 1938 bis 1946 gelebt. Wir haben im Hotel gespielt, wir wären Partisanen, die gegen die deutschen Faschisten kämpfen. Einmal haben wir dabei im Spiel ein Kind gehängt. Es ist gestorben“, erinnert sich (rus) Rolf Schälike, der acht Jahre seiner Jugend in dem Hotel verbrachte, das damals mehr einer riesigen Kommunalwohnung glich.
Die Zeit des großen Terrors in der Sowjetunion verlor Anfang der 1940er Jahre an Dynamik und endete mit Stalins Tod im Jahr 1953. In Europa endete der Krieg und die politischen Flüchtlinge, die noch im Hotel Luxe lebten, kehrten in ihre Heimatländer zurück.
In den 1950er Jahren änderten die Behörden den Namen des Hotels in Zentrales. Das Hotel Lux gab es nicht mehr, ebenso wenig wie seine früheren Gäste.
Heute wird das Gebäude in der Twerskaja 10 renoviert. Hunderte und Tausende von Menschen gehen täglich daran vorbei, ohne die Geschichten zu kennen, die sich in den Mauern des ehemaligen Hotel Lux ereignet haben.