Geschichte in Stein gemeißelt: Eine Reise zu den prähistorischen Felszeichnungen in Sikatschi-Aljan

Boris Uschmajkin/Sputnik; Andshel (CC BY-SA 3.0)
In einem kleinen Nanai-Dorf im russischen Fernen Osten befindet sich eine der ältesten geologischen Stätten Russlands. Es ist ein Ort voller Mystik und Legenden.

Die Region Chabarowsk ist einer der am dünnsten besiedelten Orte der Welt. Diese Leere wird besonders deutlich, wenn man auf der Autobahn unterwegs ist, die Chabarowsk mit der Industriestadt Komsomolsk-am-Amur verbindet.

Chabarowsk

75 Kilometer nördlich von Chabarowsk und direkt an der Autobahn, am rechten Ufer des Amur liegt das Nanai-Dorf Sikatschi-Aljan mit seinen Petroglyphen (prähistorische Felszeichnungen). Die Bewohner nennen das Dorf die „Heimat der wütenden Geister“. Viele wollen dort Mystisches erlebt haben.  

Nanai-Dorf Sikatschi-Aljan

Felsen mit Geschichte 

In der Gegend finden sich rund 200 Petroglyphen, sehr viele von ihnen gut erhalten. Die Felsmalereien sind leicht zugänglich. Sie befinden sich am Amur-Flussufer auf Basaltblöcken.  

Die beste Zeit, um nach Sikatschi-Aljan zu reisen, ist der frühe oder späte Winter (trotz der brutalen Kälte), da der Amur in den wärmeren Monaten häufig über die Ufer tritt und sie verbirgt. Überschwemmungen und Eisschollen haben auch vielen Petroglyphen erheblichen Schaden zugefügt. Einheimische sagen, einige der Felsbrocken seien umgedreht worden. 

Die Malereien aus verschiedenen Epochen zeigen Jagdszenen, Tiere wie Elche, Pferde und Mammuts, Schamanen und schamanische Masken und sogar Menschen, die in Booten sitzen.

Es wird angenommen, dass der Ferne Osten Russlands einer der letzten Lebensräume der Mammuts war, bevor sie ausgestorben sind. Unter den am besten erhaltenen Petroglyphen von Sikatschi-Aljan findet sich eine Gravur, die ein Mammut zeigt. Eine andere stellt ein Mammut zusammen mit einer nicht näher zu bestimmenden Kreatur dar. Es ist auch eine große Zeichnung eines Tieres mit einem Schweif zu erkennen. 

Swetlana Onenko, eine lokale Historikerin, die auch Kuratorin des ethnografischen Museums und Kulturzentrums der Ureinwohner in Sikatschi-Aljan ist, sagt, dass die Mammutdarstellungen beweisen, dass die Petroglyphen bis etwa 12.000 v. Chr. zurückreichen.

Die älteren Bilder aus der Altsteinzeit wurden mit Steinwerkzeugen herausgearbeitet. Jedoch weisen einige Archäologen darauf hin, dass die in einigen Petroglyphen abgebildeten Wildpferde in der Amur-Region selbst in der Jungsteinzeit nicht existierten.

Für die neueren Felsmalereien, einschließlich der Bilder von Schamanen und schamanischen Masken, wurden modernere Werkzeuge verwendet. Diese Darstellungen sind den Nanai und anderen indigenen Gruppen, die in dem Dorf mit einer Gesamtbevölkerung von nur 300 Einwohnern leben, heilig. Laut Onenko stammen die Mitglieder der indigenen Gemeinschaft von den Menschen ab, die die Petroglyphen herausgearbeitet haben. Einige europäische Anthropologen glauben jedoch, dass die Ureinwohner Siedler waren, die vor etwa 2.000 Jahren aus der Mandschurei in die Gegend gezogen sind.

Heimat des Schamanismus  

Neuzeitliche Schamanen kommen aus verschiedenen Teilen der Welt in die Region und nehmen an Kult-Ritualen teil. Der Glaube an den Schamanismus dort ist so stark, dass das Museum seine schamanischen Objekte in einem eigens rituell gesegneten Raum aufbewahrt. „Es gibt die Überzeugung, dass schamanische Objekte eine mächtige (und möglicherweise gefährliche) Energie besitzen“, erklärt Onenko.

Die Einheimischen behaupten, mystische Ereignisse in der Nähe der sogenannten Starucha-Felsformation (zu Deutsch: „Alte Dame“) beobachtet zu haben. Indigenen Überlieferungen zufolge, lebten die Menschen einst ewig, doch da immer neue nachkamen, gab es eine  Überbevölkerung und Nahrungsmittelknappheit. So beschlossen die Geister der Erde, dass auch Menschen, ebenso wie die Tiere, sterblich werden sollten. Der erste Mensch, den der Tod ereilte, wurde der Legende nach zum Starucha-Felsen. 

Starucha-Felsformation

Der erste russische Besucher 

Während die Nanai und andere indigene Gruppen bereits jahrhundertelang von der Existenz der Petroglyphen wussten, erfuhr der Rest der Welt erst 1859, ein Jahr nach der Gründung der Stadt Chabarowsk, von ihnen.

Die „Entdeckung“ wurde von Richard Maack gemacht, einem Geographen, Naturforscher und Entdecker, der sich auf eine Expedition durch die Täler Amur und Ussuri machte.

Richard Maack

Maack, der im baltischen Gouvernement Livland des Russischen Reiches geboren wurde, studierte Naturwissenschaften an der Universität von St. Petersburg und unternahm in den 1850er Jahren mehrere Expeditionen nach Sibirien und in den russischen Fernen Osten. Maacks Expedition nördlich des neu gegründeten Chabarowsk führte ihn auch nach Sikatschi-Aljan, wo er die Petroglyphen entdeckte.

Russische Archäologen, Wissenschaftler und Historiker interessierten sich im 20. Jahrhundert sehr für die Zeichnungen. In den 1930er Jahren fotografierte der Archäologe Nikolaus Charlamow sie sehr detailliert. Drei Jahrzehnte später unternahm der Ethnograph und Historiker Alexei Okladnikow mehrere Expeditionen in die Region und schrieb in zwei Büchern ausführlich über die Petroglyphen.

Alexei Okladnikow (l)

Die Felsmalereien von Sikatschi-Aljan gehören heute zu den meistbesuchten Orten in der Region Chabarowsk. Die russische Regierung wurde 2018 zum rechtmäßigen Eigentümer der Petroglyphen erklärt. Es werden Anstrengungen unternommen, um sie weiter zu erhalten und die Felsformationen zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären zu lassen.

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