Andrei Platonow: Der ambivalenteste sowjetische Schriftsteller

Andrei Platonow im Jahr 1948

Andrei Platonow im Jahr 1948

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Andrei Platonows Schreibstil ist unverwechselbar und einzigartig. Er besetzt in der sowjetischen Prosa eine eigene Nische. Er war überzeugt von der sowjetischen Ideologie, parodierte diese jedoch zugleich in seinen Romanen und Erzählungen.

Frühes Schaffen 

Der Sohn eines Eisenbahnarbeiters wurde 1899 in Woronesch geboren. Platonow hieß ursprünglich Andrei Klimentow. Er schuf 1920 sein Pseudonym, um seinen Vater Platon Klimentow zu ehren. 

Andrei, der älteste Sohn in einer Familie mit elf Kindern, arbeitete schon früh nebenbei, unter anderem als Laufbursche. Er begann mit 13 Jahren Gedichte zu schreiben. Der Teenager trat in die Fußstapfen seines Vaters und arbeitete zunächst als Lokomotivführer. Später wurde er Ingenieur. 

Wie viele andere junge Leute seiner Generation begrüßte Platonow die Oktoberrevolution mit Begeisterung. Als der Bürgerkrieg ausbrach, war er Lokführer auf Munitionszügen, die der Roten Armee Nachschub lieferten. 

Wer hätte jemals gedacht, dass drei Jahrzehnte später der von der Ideologie überzeugteste aller sowjetischen Schriftsteller zum Paria werden sollte, der vom sowjetischen Regime verfolgt wird? Das einzige sowjetische Genie, das wirklich an die kommunistische Utopie glaubte, wurde schließlich sein Opfer.

Platonows Hassliebe zur Literatur 

Platonows erstes Buch, „Elektrifizierung“, erschien 1921. In den 1920er Jahren wurden seine Geschichten in großen sowjetischen Literaturzeitschriften veröffentlicht. Er gewann an Einfluss in der lokalen Literaturszene, arbeitete als Journalist und nahm an öffentlichen Diskussionen zu philosophischen und politischen Themen teil.

Trotz anfänglicher Erfolge war Literatur für Platonow jedoch nie sein Ein und Alles. Nach seinem Abschluss am polytechnischen Institut arbeitete er als Elektroingenieur und sorgte nach der Dürre- und Hungerkatastrophe von Powolschje im Jahr 1921 dafür, dass die lokale Landwirtschaft dort Zugang zu Strom bekam.   

Andrei Platonow im Jahr 1925

Platonows Geschichten aus den 1920er Jahren, in denen er die Folgen der von Menschen verursachten Hungersnot miterlebte, beschrieben hungernde und verarmte Bauern. Um zukünftig auf Dürren besser vorbereitet zu sein, nahm der Schriftsteller eine Stelle bei der Landverwaltungsagentur von Woronesch an. Er grub 763 Teiche aus, bohrte 315 Brunnen, mehrere Brücken und Dämme und installierte drei elektrische Stationen.

In den späten 1920er Jahren beschränkte Platonow sein berufliches Engagement wieder auf das Schreibens. Er zog nach Moskau, wo seine literarische Karriere jedoch zum Stillstand kam. 

Ein ambivalenter Schriftsteller 

Während Platonow selbst den Zielen des sowjetischen Plans zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft verpflichtet war, verspottete er in seinen Romanen und Erzählungen die Auswüchse der Bürokratie in der sowjetischen Ideologie. Diese Zwiespältigkeit erwies sich als gefährlich und kostete Platonow seine Karriere.

Von einem sowjetischen Schriftsteller wurde erwartet, dass er die Errungenschaften der Industrialisierung und Kollektivierung feiern und das System nicht lautstark kritisieren sollte. Platonow wurde zum roten Tuch für Stalin, der in der Zeitschrift „Krasnaja Now“, die Platonows Erzählung „Zum Vorteil“ abgedruckt hatte, das Wort „Abschaum“ an den Rand schrieb. 

Paradoxerweise bedeutet dies nicht, dass Platonow ein Feind des Sowjetregimes, der Kollektivierung usw. war. Er benutzte meisterhaft die Sprache der sowjetischen Utopie als Waffe. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, die sich entschieden hatten, mit der Formbarkeit der Sprache zu spielen, gab sich Platonow der rohen Sprache seiner Zeit hin und opferte manchmal die Feinheiten der Handlung und der stilistischen Wendungen.

Andrei Platonow im Jahr 1947

Die bedeutendsten Werke 

Der Autor wird nicht umsonst als Meister des „sozialistischen Realismus“ bezeichnet. Sein Magnum-Opus „Tschewengur“ (Platonows einziger abgeschlossener Roman) ist ein Blick hinter die Kulissen des sowjetischen Lebens während der neuen Wirtschaftspolitik, die Wladimir Lenin in den 1920er Jahren einleitete.

Tschewengur ist eine utopische Stadt, in der der Kommunismus in Rekordtempo eingeführt wird. Das Ergebnis ist eine Katastrophe, die Platonow, der selbst Zeuge von Stalins Kollektivierung war, mit teuflischem Witz beschreibt.

Die Veröffentlichung des Romans wurde von der sowjetischen Zensur aus ideologischen Gründen verhindert. Platonow argumentierte, er habe seinen Roman mit „anderen Absichten" geschrieben. Er wurde erst 1988 ungekürzt veröffentlicht.

Seine nächste Tour de Force, „Die Baugrube“, ist ein Roman, der eigentlich die Vorteile des sowjetischen Kommunismus würdigen will. Eine Gruppe von Menschen gräbt den Grundstein für ein Gebäude mitten im Nirgendwo, damit alle eines Tages glücklich leben können. Platonow zeigt Hunger und Tod, während er Arbeiter, Ingenieure und Bauern porträtiert, die nicht glücklich sind, während sie unermüdlich die nie enden wollende Arbeit verrichten. „Die Baugrube“ wurde zwischen 1929 und 1930 geschrieben. Es ist eine Satire auf den Stalinismus und das unterdrückerische bürokratische System, das Hoffnung, Glauben und Menschlichkeit zerstört.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Platonow als Kriegsberichterstatter für die sowjetische Zeitung „Krasnaja Swesda“ (Roter Stern) und konnte auch einige seiner Kurzgeschichten veröffentlichen. Nach dem Krieg verschwand seine Arbeit jedoch wieder in der Versenkung. Einer seiner unvollendeten meisterhaften Romane, „Die glückliche Moskwa“ erschien erst 1991. 

Aus irgendeinem Grund wurde Platonow nie verhaftet oder in eine Gefängniszelle gesteckt. Doch sein fünfzehnjähriger Sohn Platon wurde aufgrund falscher Anschuldigungen zum Gulagaufenthalt verurteilt. Der Junge wurde zwei Jahre später, 1940, freigelassen, war während des Lageraufenthalts jedoch an Tuberkulose erkrankt. Platonow steckte sich bei ihm an. Er starb 1951 im Alter von 51 Jahren. 

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