Wie britische Dechiffrierexperten sowjetische Geheimcodes knackten

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Die Geheimdienste auf beiden Seiten lieferten sich einen erbitterten Dechiffrier-Wettkampf.

Am 12. Mai 1927 wurde die Arbeit bei der Allrussischen Genossenschaft (ARCOS) - einer sowjetischen Handelsorganisation, die von der UdSSR in London gegründet wurde, um den Handel zwischen der UdSSR und Großbritannien zu fördern - unterbrochen.

Um 16.20 Uhr an diesem Tag drangen britische Polizisten in Uniform und Zivil in die sowjetische Handelsorganisation ein, nahmen die Angestellten fest, beschlagnahmten alle Dokumente und besetzten die Telefonzentrale. Verschlossene Räume und Safes wurden aufgebrochen. 

Die britischen Beamten, die die Durchsuchung vornahmen, entdeckten auch einen geheimen Chiffrierraum und entdeckten Dokumente, die nach Angaben der britischen Polizei bestätigten, dass ARCOS nur die Fassade für Spionageaktivitäten in Großbritannien, Süd- und Nordamerika, Afrika und sogar in Australien war. 

Vorsitzender der Handelsdelegation Lew Chintschuk

Der Grund für die Razzia war ein Hinweis, den MI6 und MI5 von einem britischen Dechiffrierdienst erhalten hatten, der 1919 aus Geheimdiensten der britischen Armee und der britischen Marine zusammengeschlossen wurde. Ab da herrschte ein Wettkampf zwischen britischen und sowjetischen Entschlüsselungsexperten. 

Feinde 

Von den ersten Tagen ihres Bestehens an waren die britischen Dechiffrierexperten, heute allgemein als GCHQ bekannt, damit beauftragt, die Kommunikation der Sowjetunion abzufangen und zu entschlüsseln. London musste wissen, wie die UdSSR mit linken Arbeiterbewegungen in Großbritannien und anderen Ländern in Europa und auf anderen Kontinenten umging.

GCHQ-Hauptsitz

Der Hinweis, der zur Durchsuchung und dem als ARCOS-Affäre bekannt gewordenen politischen Skandal führte, kam ebenfalls vom GCHQ. Schon kurz nach der russischen Revolution von 1917 hatte man dort mit Hilfe russischer Offiziere, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren, erfolgreich sowjetische Kommunikationscodes entschlüsseln können. 

Das Entschlüsseln geheimer Nachrichten der frühen Sowjetregierung war für die Briten, die die Unterstützung enttäuschter zaristischer Offiziere hatten, keine schwere Aufgabe, da die neuen sowjetischen Behörden das alte Nachrichtencodierungssystem des zaristischen Russlands verwendeten und es nur geringfügig modifizierten. 

Einige Jahre lang war der britische Geheimdienst in der Lage, geheime sowjetische Nachrichten zu lesen, einschließlich aller eingehenden und ausgehenden Nachrichten von ARCOS. Der MI6 hatte zudem schon länger die Vermutung, dass ARCOS über eine illegal beschaffte Dechiffriermaschine verfügte. 

Freunde 

Die Durchsuchung und die ARCOS-Affäre verursachten eine schwere Krise in den britisch-sowjetischen Beziehungen. Premierminister Stanley Baldwin rechtfertigte das Vorgehen gegen ARCOS im Unterhaus und enthüllte dabei versehentlich, dass der britische Geheimdienst geheime sowjetische Kommunikationen erfolgreich entschlüsselt hatte.

Die sowjetische Seite reagierte und änderte schnell das Verschlüsselungssystem. Von diesem Zeitpunkt an, verwendeten sowjetische Diplomaten, Spione und andere Beamte mit geheimen Missionen einmalige Chiffren, um Nachrichten zu übermitteln. Aktuelle sowjetische Mitteilungen waren praktisch nicht mehr zu entschlüsseln. 

Durch den Zweiten Weltkrieg wurden die ehemaligen Feinde - Großbritannien und die UdSSR - Freunde und kämpften gemeinsam gegen Nazideutschland.

Da viele sowjetische Verschlüsselungsspezialisten im Zuge von Stalins Säuberungen getötet worden waren, stützte sich die sowjetische Führung auf Informationen, die sie von der britischen Regierung, aber auch von sowjetischen Maulwürfen innerhalb des britischen Establishments wie Kim Philby erhielt. 

Den Nazis ist es während des Zweiten Weltkrieges nicht gelungen, sowjetische Codes zu entschlüsseln. Eine Leistung, die die Brillanz der sowjetischen Kryptographen bewies. 

>>> Doppelagent Kim Philby: Ein sowjetischer Spion in Diensten Großbritanniens

Der Kalte Krieg 

Die kurzlebige Freundschaft britischer und sowjetischer Kryptographen endete mit dem Beginn des Kalten Krieges. Der britische Geheimdienst schloss sich mit den amerikanischen Kollegen zusammen, um die sowjetischen Codes zu entschlüsseln. 

Obwohl das sowjetische Einmalschlüssel-Chiffriersystem von außen nicht zu knacken war, führte ein interner Fehler des sowjetischen NKWD dazu, dass die einmaligen Schlüssel mit Wiederholungen zu einem einzigen Buch zusammengefasst wurden, das es dem britischen Geheimdienst 1946 ermöglichte, die Kommunikation der sowjetischen Land- und Luftstreitkräfte sowie der Marine mitzulesen.

Dank ihrer eigenen Doppelagenten in britischen Geheimdiensten bekam die Sowjetunion 1948 Wind von diesem Leck und änderte die Codes und Kommunikationsverfahren, die von den Ländern des Warschauer Pakts verwendet wurden.

Seitdem hat der britische Geheimdienst keinen wesentlichen Durchbruch bei der Entschlüsselung geheimer sowjetischer oder später russischer Kommunikation mehr erzielt.

>>> Wie sowjetische Doppelagenten an die Spitze von MI6 und CIA kamen

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