Warum wurden unter Stalin Bewohner der UdSSR zwangsumgesiedelt?

Archivfoto; Legion Media; Russia Beyond
Millionen von Menschen in der UdSSR wurden in den 1930er und 1950er Jahren Opfer von politischen Repressalien und Deportationen mit weitreichenden Folgen auch für ihre Kinder und Enkelkinder.

Warum wurden Menschen deportiert? 

Die Deportationen waren eine Form politischer Repressalien der Stalin-Ära. Josef Stalin wollte damit seine persönliche Macht stärken und zentralisieren. Ziel war es, die Bevölkerung in den Gebieten zu verringern, in denen eine große Konzentration bestimmter ethnischer Gruppen bestand, die einen besonderen Lebensstil pflegten, eine eigene Sprache hatten, ihren Kindern ihre kulturellen Werte vermittelten und auch Zeitungen in ihren ethnischen Sprachen veröffentlichten.

Viele dieser Gebiete genossen eine gewisse Autonomie, da zu Beginn der Sowjetunion viele Republiken und Regionen nach ethnischen Gesichtspunkten gebildet wurden.

Der Historiker Nikolai Bugai, ein Forscher für sowjetische Deportationen, sagt (rus), Stalin und sein Vertrauter Lawrenti Beria betrachteten Deportationen „als einen Weg, interethnische Konflikte beizulegen, Fehler zu korrigieren und jegliche Manifestationen der Unzufriedenheit mit dem antidemokratischen, totalitären Regime zu unterdrücken“.

Und obwohl Stalin, wie Bugai betont, einen Kurs zur „obligatorischen Einhaltung des sichtbaren Internationalismus“ verfolgte, war es ihm wichtig, alle Autonomien zu beseitigen, die möglicherweise austreten könnten, und jede Möglichkeit einer Opposition gegen die zentralisierte Macht zu verhindern.

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Wer wurde deportiert und wohin? 

Deportationen in der UdSSR wurden in großem Umfang durchgeführt. Nach Angaben des NKWD (Vorläufer des KGB) mussten in den 1930er und 1950er Jahren etwa 3,5 Millionen Menschen ihre Herkunftsorte verlassen. Insgesamt wurden mehr als 40 ethnische Gruppen umgesiedelt. Deportationen fanden hauptsächlich aus Grenzgebieten in abgelegene Regionen tief im Land statt.

Die erste Deportation richtete sich gegen die Polen. 1936 wurden rund 35.000 sogenannte „politisch unzuverlässige Elemente“ aus den ehemaligen polnischen Gebieten in der Westukraine nach Kasachstan umgesiedelt. In den Jahren 1939 bis 1941 wurden über 200.000 weitere Polen nach Norden, nach Sibirien und Kasachstan deportiert.

Auch Menschen aus anderen Grenzgebieten wurden gewaltsam umgesiedelt: 1937 wurden mehr als 171.000 Koreaner von den Ostgrenzen der UdSSR nach Kasachstan und Usbekistan deportiert.

Ab 1937 verfolgte Stalin eine systematische Politik der Umsiedlung ethnischer Deutscher. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden die Deutschen überall in der UdSSR zu Ausgestoßenen. Viele wurden als Spione denunziert und in Lager geschickt. Bis Ende 1941 waren etwa 800.000 ethnische Deutsche innerhalb des Landes umgesiedelt worden. Während des gesamten Krieges stieg diese Zahl auf mehr als eine Million Menschen. Sie wurden nach Sibirien, in den Ural und in den Altai deportiert. Fast eine halbe Million Deutsche landete in Kasachstan.

Auch während des Krieges siedelten die sowjetischen Behörden eifrig Menschen um. Eine große Anzahl wurde aus von der deutschen Besatzung befreiten Gebieten deportiert. Viele Völker des Nordkaukasus wurden unter dem Vorwand der Spionage und der Zusammenarbeit mit den Deutschen aus ihrer Heimat vertrieben und nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Ebenso wurden Kalmücken sowie rund 200.000 Krimtataren beschuldigt, den Deutschen geholfen zu haben. In der Folge wurden auch sie umgesiedelt.

Die Einwohner Lettlands, Estlands und Litauens widersetzten sich der Eingliederung ihrer Republiken in die UdSSR, was der Sowjetregierung die Rechtfertigung lieferte, bei den Abschiebekampagnen gegen die Bewohner der baltischen Republiken besonders hart vorzugehen. 

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Wie wurden die Deportationen durchgeführt? 

Der Volkskommissar für innere Angelegenheiten, Lawrenti Beria, unterzeichnete persönlich detaillierte Anweisungen für die Organisation der Deportationen, die je nach ethnischer Gruppe unterschiedlich waren. Die Deportationen wurden von örtlichen Parteikörperschaften und Tschekisten durchgeführt, die insbesondere in die betreffenden Regionen entsandt wurden. Sie stellten Listen der zu deportierenden Personen zusammen und bereiteten den Transport vor, um sie und ihre Habseligkeiten zu Bahnhöfen zu bringen.

Die Leute hatten nur sehr wenig Zeit zum Packen. Sie durften ihre persönlichen Sachen, kleine Haushaltsgegenstände und Geld mitnehmen.

Normalerweise wurden jeder ethnischen Gruppe mehrere Züge mit Wachen und medizinischem Personal zugewiesen. Unter Begleitung wurden die Menschen in überfüllte Eisenbahnwaggons verfrachtet und an ihren Bestimmungsort gebracht. Nach Berias Anweisungen erhielten die Menschen während der Reise einmal am Tag Brot und eine warme Mahlzeit.

In einer separaten Anweisung wurde detailliert dargelegt, wie das Leben der Deportierten in den speziellen Siedlungen organisiert werden sollte, in denen sie zukünftig leben sollten. Siedler wurden zum Bau von Kasernen und später von ständigen Unterkünften, Schulen und Krankenhäusern herangezogen. Landwirtschaft und Viehzucht konnten nur in Kollektivbetrieben betrieben werden. Kontroll- und Verwaltungsfunktionen wurden von NKWD-Beamten wahrgenommen. Anfangs war das Leben der Siedler sehr hart, das Essen knapp, die Menschen litten an Krankheiten.

Deportierten wurde verboten, ihren neuen Wohnort zu verlassen. Erst nach Stalins Tod wurde dieses Verbot aufgehoben und sie konnten überall in der Sowjetunion umher reisen. 1991 wurden diese Handlungen der sowjetischen Behörden für rechtswidrig und kriminell erklärt und - in Bezug auf einige ethnische Gruppen - sogar als Völkermord anerkannt.

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