Auf Skiern zum Südpol: Diese sowjetischen Frauen wagten sich ins ewige Eis

Irina Kusnezowa/TASS; Sputnik
„Meteliza“ nannte sich ein Team von skibegeisterten und abenteuerlustigen sowjetischen Frauen. Sie wagten sich auf eine Domäne der Männer vor: Die Eroberung des Südpols.

Als der bekannte britische Polarforscher Walter William angeblich 1969 als erster Mann den Nordpol zu Fuß erreichte, begeisterte er viele Menschen auf der ganzen Welt. Die Sowjetunion war keine Ausnahme.

Einige Jahre vor Williams Erfolg hatte sich ein rein weibliches Polarforschungsteam namens Meteliza (übersetzt aus dem Russischen „Schneesturm“) ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Die Frauen wollten den Südpol auf Skiern erreichen.  

In den Schlagzeilen 

Die Mitgliederinnen des Meteliza-Teams

1966 legte ein männliches Studententeam der Staatlichen Technischen Bauman Universität Moskau auf Langlaufskiern 725 Kilometer von Moskau nach Leningrad (heute St. Petersburg) zurück. Jeden Tag waren sie rund 110 Kilometer unterwegs und erreichten ihr Ziel nach sechseinhalb Tagen.  

Walentina Kusnezowa, eine 29-jährige Funkingenieurin in einem der Forschungszentren in Moskau und begeisterte Skifahrerin, hatte die Idee, den Lauf der Männer nachzuahmen. Doch ihr Team sollte rein weiblich besetzt sein. 

Walentina Kusnezowa

Ihr Trainer unterstützte die Idee und die beiden überzeugten die lokalen Behörden, die die Genehmigung erteilten. Schon bald meldeten sich weitere Unterstützer. Der Plan der Frauen machte schnell die Runde und gelangte auch der Presse zu Ohren. Kusnezowas Plan machte Schlagzeilen. 

Führungsstärke 

Die lokalen Behörden, die den Lauf bisher auch unterstützt hatten, machten einen Rückzieher. Zu groß war die Angst vor unerwünschter Werbung und schlechter PR, falls die Frauen scheitern sollten.  

Walentina Kusnezowa

Walentina Kusnezowa war jedoch kein Typ, der leicht aufgab. Sie hatte das Kämpfen gelernt und wusste sich unter widrigen Umständen zu behaupten. Als die zukünftige Anführerin des Meteliza-Teams gerade fünf Jahre alt war, erfuhren die Nazis, die ihr Heimatdorf in der Region Kursk besetzt hatten, dass ihre Mutter die Widerstandsguerilla unterstützte. 

„Eines schrecklichen Tages wurden meine Mutter, meine Schwester und ich aus dem Haus geholt, um erschossen zu werden. Ein Wunder hat uns gerettet. Aber von diesem Tag an konnte ich nicht mehr sprechen“, erinnerte sich Kusnezowa.

Zwei Jahre lang blieb Walentina stumm. Andere Kinder machten sich deshalb über sie lustig und ärgerten sie. 

Im Jahr 1966 war aus Walentina Kusnezowa eine gestandene Frau geworden. Sie war Ingenieurin und Mutter eines Kindes. So, wie sie damals überleben wollte, wollte sie jetzt ihren Lauf durchziehen. 

Von Moskau nach Leningrad 

Der Start, der am 22. Dezember 1966 um 10 Uhr morgens geplant war, war von einer plötzlichen Tragödie geprägt. Das Haus von Team-Mitglied Walentina Kurepkina war abgebrannt. Doch auch das konnte diese Frauen nicht aufhalten. Am Morgen trafen sich Walentina Kusnezowa und der Rest des Teams, einschließlich Walentina Kurepkina, wie geplant an der Startlinie.

Die jungen Frauen verfolgten ihr erstes Ziel mit so viel Engagement, das bisher nur Männern gezeigt hatten. Sie legten jeden Tag 98 Kilometer zurück und kämpften mit Temperaturen von bis zu -34 °C. Sie brauchten siebeneinhalb Tage, um die Reise zu beenden, nur einen Tag länger als die Männer. 

„Einige der Teammitglieder sagten später, dass sie bei einer Schuhgröße von üblicherweise 37 bis 38 Schuhe in der Größe 42 bestellen mussten, weil ihre Füße so stark geschwollen waren“, berichtete Kusnezowa.

Ein Zeitungsartikel über den Frauen-Lauf mit dem Titel „725 km Mut“ warf die Frage auf, die sich auch die Meteliza-Mitglieder bereits gestellt hatten: Würden Sie weitermachen? 

Die Antarktis 

Nach ihrem ersten Erfolg führte das Meteliza-Team mehrere Expeditionen durch. Sie gingen nach Helsinki, Alaska, aber auch in einige andere schwer zugängliche Gebiete wie Kap Tscheljuskin, Sewernaja Semlja und zum Franz-Josef-Land. 

Jeder neue Lauf junger Frauen war gewagter und auch gefährlicher als der vorherige. Die Frauen mussten Schneestürmen, extremen Temperaturen und dünnem Eis trotzen. Die Gefahr und der Tod lauerten überall. Auch gegen wilde Bären mussten sie sich wehren. 

Die Zeit für die sowjetischen Frauen, den unbewohnten Kontinent zum ersten Mal zu betreten, kam im Dezember 1988. Nachdem ein Aufklärungsteam den Kontinent besucht und den Lauf geplant hatte, landeten neun Mitglieder des Meteliza-Teams auf der ersten sowjetischen Antarktis-Wissenschaftsstation, Mirny. Sie wollten weiterziehen zur Wostok-Station, einer anderen sowjetischen Forschungsstation weiter im Landesinneren im Princess-Elizabeth-Land in der Antarktis. Die Entfernung betrug 1.420 Kilometer. Die Strecke sollte auf Skiern zurückgelegt werden. 

Die Expeditionsgruppe bestand aus Walentina Kusnezowa, die mittlerweile 51 Jahre alt war, und anderen alten und neuen Meteliza-Mitgliedern: Natalia Bacharewa, Irina Gurijewa, Swetlana Gurijewa, Swetlana Subkowa, Ludmilla Kosarewa, Irina Romantschenko, Elena Chowanzewa und Kusnezowas 27-jährige Tochter Irina. Die Frauen planten einen langen und schwierigen Weg in der Antarktis, obwohl der Südpol für den Moment außerhalb der Reichweite ihrer Mission blieb.

Irina Kusnezowa

Bevor das Meteliza-Team sich der Herausforderung stellte, 1.420 Kilometer durch Schnee und Eis der Antarktis zurückzulegen, hatten nur sehr wenige Menschen geglaubt, dass dies möglich sei. Auf den letzten zwölf Kilometern trugen die Frauen rote Uniformen und bewiesen, was sowjetische Frauen erreichen konnten. 

Der abschließende Eintrag im Reisetagebuch, das das Team unterwegs führte, war kurz, aber emotional: „Herr, haben wir es wirklich getan?!“

Sie hatten es tatsächlich geschafft! Sieben Jahre später, 1995, hissten fünf Mitglieder des Meteliza-Teams die russische Flagge am Südpol, dem großen Ziel und erfüllten so den Traum der Gründerin.

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