Narodnaja Wolja: Aufstieg und Fall der ersten russischen Terrororganisation

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Die gefürchtete russische Terrororganisation „Narodnaja Wolja“ hat einen toten Zaren und das Leben zahlreicher Polizisten und Regierungsbeamter auf dem Gewissen.

Am 1. März 1881 (nach dem Julianischen Kalender) wurde Kaiser Alexander II. in St. Petersburg von Ignati Grinewizki, einem Mitglied der Terrororganisation „Narodnaja Wolja“ (zu Deutsch „Volkswille“), kurz „NW“, getötet. Zwischen 1881 und 1884 wurden über 10.000 Menschen wegen revolutionärer Aktivitäten verfolgt. Wer waren die Mitglieder von NW?

„Land und Freiheit“ 

„Eine Party“ von Wladimir Makowski

Paradoxerweise war es die Abschaffung der Leibeigenschaft, die zur Entstehung revolutionärer Bewegungen in Russland beitrug. Die Verteilung des Landes nach der Abschaffung der Leibeigenschaft belastete die ehemaligen Leibeigenen erneut stark und es gab viele Menschen, die dies zu Recht als Einschränkung der Rechte des Volkes zugunsten des Adels betrachteten.

Im Jahr 1861 schlossen sich etwa 3.000 Menschen in über einem Dutzend russischer Städte zur Bewegung „Land und Freiheit“ zusammen, die einen Bauernaufstand vorbereiten wollte, sich jedoch bald nach der Verhaftung ihrer wichtigsten Mitglieder auflöste.

Die Organisation tauchte 1876 wieder auf, mit dem Ziel, das gesamte russische Agrarland unter den Bauern aufzuteilen und soziale Kasten wie Adel, Geistlichkeit und Bauernschaft abzuschaffen. Es gab noch mehr für die Obrigkeit völlig inakzeptable Forderungen. „Land und Freiheit“ organisierte Kundgebungen von Werktätigen, die für viele zu Verhaftungen und Verbannung führten. Einige Mitglieder hatten sich jedoch bereits radikalisiert. 1878 schoss Wera Sassulitsch auf den Gouverneur von St. Petersburg, Fjodor Trepow. In den Jahren 1878 und 1879 folgten mehrere Morde an Regierungsbeamten.

1879 gründeten die radikalsten Mitglieder von „Land und Freiheit“ die geheime Revolutionseinheit „Freiheit oder Tod“. Diese Gruppierung betrachtete Terror als adäquates und einziges Mittel im Kampf gegen die zaristische Herrschaft. 

Todesstrafe beim Picknick 

Sofja Perowskaja und Andrei Scheljabow während des Prozesses nach dem Mord an Alexander II.

„Narodnaja Wolja“ wurde 1879 bei einem geheimen Treffen in Lipezk gegründet. Die meisten Mitglieder gehörten zuvor „Freiheit oder Tod“ an. In einem Teil des Programms der Organisation heißt es: „Da die Regierung gegen uns kämpft, indem sie uns verbannt, einsperrt, tötet und unser Eigentum beschlagnahmt, fühlen wir uns berechtigt, dies zu erwidern.“   

Bei der letzten Versammlung fällte Alexander Michailow das Todesurteil gegen den amtierenden Zaren Alexander II. Von diesem Moment an war das ganze Streben der Menschen, die sich in Lipezk versammelt hatten, auf die Ermordung des Kaisers ausgerichtet. 

„Terror ist eine schreckliche Sache!“ 

Die Ermordung von Alexander II. am 1. März 1881

Was hat die „NW“-Mitglieder dazu gebracht, ein so unheiliges Ziel zu erklären? Die zaristische Regierung ergriff unmittelbar nach Beginn der Bauernunruhen von 1861 bis 1863 harte repressive Maßnahmen gegen das russische Volk - es gab über 2.000 Aufstände, von denen über 700 gewaltsam unterdrückt wurden.

Zur gleichen Zeit griff die Regierung auch hart gegen junge Revolutionäre und Propagandisten durch, die Narodniks genannt wurden, und die durch die Dörfer zogen, unter den Bauern lebten und diese aufklärten.  

1874 wurden über 8.000 Narodniks festgenommen, 770 von ihnen verhört, und gegen 265 von ihnen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Untersuchung dauerte über drei Jahre und die ganze Zeit wurden die Verdächtigen, hauptsächlich Studenten, unter entsetzlichen Bedingungen gefangen gehalten. Zu Beginn des Prozesses waren viele von ihnen bereits in Gefangenschaft gestorben, hatten Selbstmord begangen oder waren verrückt geworden. Der letzte Prozess wurde gegen 193 Verdächtige abgehalten. Die Strafen lauteten unter anderem Zwangsarbeit in Verbannung zwischen drei und zehn Jahren oder administratives Exil. Tausende Leben wurden ruiniert.

„Die Verhaftung des Propagandisten“ von Ilja Repin

Die Maßnahmen von „Narodnaja Wolja“ wurden als Reaktion auf diese Gräueltaten der Regierung ergriffen. Aber nur eine kleine Gruppe Extremisten organisierte tatsächlich Terrorakte. Die Gruppe selbst war sehr viel größer.  Im Jahr 1881 gab es 500 „registrierte“ Mitglieder, aber die Zahl der Sympathisanten lag sicherlich zehn bis zwanzig Mal höher. Es gab ungefähr 90 lokale Zellen, 100 bis 120 Zellen in Arbeiterkollektiven, 30 bis 40 Zellen an Universitäten, 20 bis 30 in Oberschulen und sogar 20 bis 25 Parteizellen im Militär.

Jagd auf den Kaiser 

Die Ermordung von Alexander II. am 1. März 1881

Nach 1879 waren alle Aktionen des Exekutivkomitees der „NW“, dem etwa 30 Mitglieder angehörten, auf die Ermordung des Zaren gerichtet. Im November 1879 wurden drei Versuche unternommen, den Zug in die Luft zu jagen, in dem die Familie des Zaren aus dem Urlaub von der Krim zurückkehrte. Nur eine Bombe explodierte, aber sie sprengte einen anderen Zug. Im Februar 1880 kamen bei einem Sprengstoffanschlag im Winterpalast elf Wachleute ums Leben, der Kaiser selbst blieb jedoch wieder unversehrt.

Zwei weitere Versuche scheiterten im Sommer 1880. Schließlich gelang es den Terroristen 1881, den Kaiser zu ermorden.

Nach der Ermordung von Alexander II. hat die Geheimpolizei alle ihre Kräfte gegen „NW“ mobilisiert. Tausende wurden verhaftet. 1883 konnte „Narodnaja Wolja“ schließlich niedergeschlagen werden. Das Mitglied Sergei Degajew hatte seine Mitstreiter bei den Behörden verraten. 

„Der Verurteilte“ von Wladimir Makowski

Die Aktionen von „Narodnaja Wolja“ und vor allem die Ermordung von Alexander II. führten zu einer Spirale der Gewalt, die eine unüberbrückbare Kluft zwischen der russischen zaristischen Regierung und der jungen Generation studentischer Revolutionäre verursachte.

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