Der Mann, der die Welt veränderte – Gorbatschow wird 90 Jahre alt! (FOTO)

Geschichte
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Am 2. März wird der erste und letzte Präsident der UdSSR 90 Jahre alt. Den Lebensweg des Friedensnobelpreisträgers finden Sie in unserer Galerie.

Michail Gorbatschow wurde 1931 geboren – in dem Jahr, als Stalin mit seiner „eisernen Hand“ versuchte, die Bauernschaft als Klasse zu liquidieren: Er verbot die private Landwirtschaft, schuf Kolchosen und bereitete neue Terrorakte gegen Andersdenkende vor. Niemand konnte sich damals vorstellen, dass sechs Jahrzehnte später die Freiheit nicht nur für die Privatwirtschaft, sondern auch für Dutzende Völker und Republiken kommen würde, und das alles dank einem Jungen aus einem Dorf in Stawropol im Nordkaukasus.

Gorbatschow wuchs in einer einfachen Bauernfamilie auf. In der Kindheit und Jugend arbeitete er auf den Feldern mit einem Mähdrescher – er wusste also sehr wohl, was Stalins Kollektivierung bedeutete. Allerdings leitete einer seiner Großväter eine dieser neugebildeten Kolchosen, so dass die Schrecken der Kollektivierung in Form von Hunger, Verhaftungen und Vertreibungen der Familie erspart blieben.

Nach dem Krieg (ihr Dorf stand vier Monate unter deutscher Besatzung) schloss Gorbatschow die Schule mit Auszeichnung ab, wurde Komsomol-Aktivist und erhielt sogar den Orden des Roten Banners der Arbeit, weil er seinem Vater, einem Erntehelfer, zu einer Rekordernte verhalf.

Später sollte ihm diese Erfahrung bei seiner Arbeit als Landwirtschaftsminister der UdSSR helfen. Doch zuvor entschied er sich selbstständig für einen der besten Studiengänge des Landes – an der juristischen Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität. Er begann damit nach seinen eigenen Worten „einen langen, ausgedehnten Prozess des Überdenkens der Geschichte des Landes über Jahre hinweg“.

1950 lernte er seine zukünftige Frau Raisa kennen, die seine treue Mitarbeiterin und beste Freundin wurde. Die Hochzeit fand 1953 in der Mensa des Studentenwohnheims statt.

Gorbatschows Parteikarriere entwickelte sich rasant. Er gewann die Loyalität der „zweit- und drittrangigen Leute“ hinter Leonid Breschnew und auch beim Staatsoberhaupt selbst hatte er einen guten Ruf. Inoffiziell nannten ihn die Angehörigen der Nomenklatura den „Hausherrn von Stawropol“.

Als Gorbatschow 1985 die Führung des Landes als Generalsekretär der Kommunistischen Partei übernahm, unterschied er sich von vielen seiner Vorgänger, die weder eine starke Gesundheit noch einen klaren Verstand vorweisen konnten. Er war mit seinen 54 Jahren deutlich jünger als die meisten Politbüromitglieder, war gesund, aufgeschlossen, gebildet, sprach ohne Scheu direkt mit den Menschen auf der Straße und war dem Westen und dem nach Veränderung hungernden sowjetischen Volk sehr sympathisch. Françoise Sagan sagte über ihn: „Ein unerwartet normaler Mensch“.

„Als ich damals zustimmte, das höchste Staatsamt des Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU anzunehmen, verstand ich: So können wir nicht weiterleben und ich werde diese Position nicht begleiten, wenn ich nicht bei der Durchführung radikaler Veränderungen unterstützt werde“, erinnerte sich Gorbatschow. Und der Wandel folgte schnell.

Als erstes eröffnete er die „Schlacht um die Nüchternheit“, indem er eine Kampagne gegen übermäßigen Alkoholkonsum startete – dieser war ein großes Problem zu dieser Zeit für das Land, das buchstäblich an legal und illegal gebrannten Wodka zugrunde ging.

Nachdem er an die Spitze des Landes gerückt war, traf er sich mit US-Präsident Ronald Reagan. Zum ersten Mal seit vielen Jahren gaben sich die Führer der beiden Mächte die Hand. Es war der Anfang vom Ende des Kalten Krieges und der Beginn der nuklearen Abrüstung. Die neue Realität entwickelte sich schnell.

Gorbatschow entzog der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ihren verfassungsmäßigen Status als Monopolist im politischen System und veranlasste eine massive Säuberung ihrer Reihen. Demokratische Wahlen wurden eingeführt, die Zensur per Gesetz verboten und andere ineffektive Praktiken, wie das staatliche Außenhandelsmonopol, wurden begraben.

Danach traf er sich mehr als einmal mit amerikanischen Führern. „Dieser Kerl ist die Perestroika!“, sagte Bush Sr. einmal über ihn.

Am 7. April 1988 begann Gorbatschow mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan.

Zwei Jahre später spielte er eine Schlüsselrolle beim Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands. Im März 1990 wurde er der erste (und, wie sich nur wenig später herausstellen sollte, der einzige) demokratisch gewählte Präsident der UdSSR.

„In Anerkennung seiner führenden Rolle im Friedensprozess“ erhielt Gorbatschow 1991 den Friedensnobelpreis und schrieb sich damit für immer in die Geschichte ein.

Die Politik der Gewaltlosigkeit und der Demokratisierung im Inneren des Landes hatte jedoch nicht nur positive Folgen – das Land wurde von einem Sturm zwischenethnischer Konflikte erfasst. Seine Kritiker werfen Gorbatschow immer noch den Zusammenbruch der Sowjetunion vor.

Nach 1991 und seinem Rücktritt zog er sich aus der großen Politik zurück, gründete die Gorbatschow-Stiftung und das Internationale Grüne Kreuz und ging in scharfe Opposition zum ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin. 2014 gestand er vor den Studenten der Moskauer Lomonossow-Universität seine Verantwortung für den Zusammenbruch der Sowjetunion ein: „Ich habe versucht, sie zu retten, aber das ist mir nicht gelungen. <...> Dafür bin ich verantwortlich. Niemand hat mir gekündigt, ich bin von selbst gegangen, weil ich mit ihnen nicht zurechtkam.“

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