Gorbatschows Perestroika: Der endgültige Bruch mit der sowjetischen Vergangenheit

AP
Nachdem erst einmal kardinale Reformen des politischen Systems der Sowjetunion auf den Weg gebracht worden waren, gab es kein Zurück mehr.

War die Perestroika eine gute oder schlechte Sache?

In Russland neigen viele Menschen zu einer negativen Betrachtung der Perestroika. Viele Umfragen ergeben, dass die Russen glauben, vor der Perestroika glücklicher gewesen zu sein. Die Mehrheit meint, dass die Perestroika mehr geschadet als genutzt habe. Das hängt vor allem mit den Negativerfahrungen nach der Auflösung der Sowjetunion zusammen, die eine Folge der Perestroika war. Zwei Drittel der Russen finden aber, dass sie nun mehr Freiheiten hätten.

Warum ist Gorbatschow so unbeliebt?

Die Perestroika ist untrennbar mit ihrem Architekten Michail Gorbatschow verbunden. Doch der erfreut sich in Russland keiner großen Beliebtheit. Seine Person spaltet die russische Gesellschaft: Einige halten ihn für einen Retter, viele betrachten ihn als Verräter.

Diese gegensätzliche Einschätzung teilt auch das russische Establishment. Gorbatschows schlechter Ruf wird manchmal durch die russische Mentalität erklärt, die angeblich große Hoffnungen auf einen „guten Zaren” setzt. Statt sich an dem Mehr an Freiheit und Eigenverantwortung zu freuen, sehnten sich die Russen nach einer „starken Hand” und einem „entschlossenen Anführer”, was die spätere Popularität Boris Jelzins erkläre, wie der Gorbatschow-Vertraute Pawel Palatschenko meint. Er findet, dass Gorbatschow und die Perestroika von den Russen nicht verstanden worden seien. Sie konnten oder wollten das Leitmotiv nicht verstehen, obwohl es damals von der „gesamten Sowjetgesellschaft aktiv unterstützt” worden sei. Die Perestroika sei ein „Projekt der Wiedervereinigung Russlands mit der Weltgeschichte und der demokratischen Erneuerung des Landes“ gewesen, so Palatschenko.

Andere Beobachter, wie Gorbatschows früherer Sprecher Andrej Gratschow betonen den Idealismus hinter Gorbatschows Absichtenund warnen vor den Gefahren der aktuellen Desillusionierung Russlands, die zu Misstrauen führe. Einige meinen, dass auch der Westen den eigentlichen Zweck der Perestroika nicht richtig verstanden habe. In Washington „wurde sie im besten Fall als eine Gelegenheit betrachtet, die politischen Interessen der USA zu fördern, indem die Tatsache ausgenutzt wurde, dass Gorbatschow die sowjetische Führung vorübergehend desorientiert hatte", sagt der Professor Nikolai N. Petro. 

Gorbatschows persönliche Tragödie

Gorbatschow selbst sagte einmal, er habe durchaus auch Fehler gemacht. „Einer meiner größten Fehler war es, zu spät mit Reformen innerhalb der Kommunistischen Partei zu beginnen”, zog er 30 Jahre nach dem Beginn der Perestroika Bilanz.

Gorbatschow gewährte in seinem letzten Buch „Ganz mit sich allein“ tiefe Einblicke in sein Privatleben. Darin schreibt er auch ausführlich über seine 1999 verstorbene Frau Raissa und damit verbundene Selbstzweifel: „Mich plagen Schuldgefühle. Warum konnte ich sie nicht retten?”

Die Perestroika war für viele Menschen auch eine sehr bittere Erfahrung, vor allem für diejenigen, die in dieser Zeit groß geworden sind. Diese Generation war gefangen zwischen zwei Welten. Sie erlebte in kürzester Zeit einen kompletten, schwierigen Wandel. Erwachsenwerden bedeutet für sie nicht nur den „üblichen Verlust der Unschuld, sondern sie verloren auch die Sicherheit des kommunistischen Staates, der sie beschützt und beherrscht hatte.”

Reformen durch Musik? 

Es war die Generation, die mit einer ganz anderen Musik aufwuchs als die vorhergehenden. Musiker, die zuvor nur im Untergrund spielten, bekamen durch die Reformen Zugang zu einem breiteren Publikum und wurden Mainstream. Das waren vor allem Rockmusiker.

Wiktor Zoi in Moskau

Die Perestroika war aber auch eine Herausforderung für die Underground-Musiker und nicht alle haben diese Zeit überstanden. Der bekannteste Sänger der Perestroika war wohl Wiktor Zoi, Leadsänger der Band Kino, dem ein eigener Anteil am Untergang der UdSSR zugeschrieben wird. 

Symbole der Perestroika

Obwohl die Perestroika nur ein kurzer Zeitraum war, hatte sie ihre eigenen Symbole. Heute sind sie ebenso verschwunden wie der Geist der Perestroika. Doch jeder erinnert sich noch an Geräte zur Schwarzbrennerei, an verwaschene Jeans und Lebensmittelmarken. Durch die Perestroika kam es zu Warenknappheit und Lieferengpässen.

Was von der Perestroika geblieben ist, sind Errungenschaften wie Redefreiheit oder die freie Wirtschaft. Zu den Perestroikafolgen, die das Leben der Russen nachhaltig verändert haben, gehören auch die Übernahme kultureller Gepflogenheiten aus dem Westen, die Einführung des Privateigentums und offene Grenzen.

Nachdem Sie nun diesen Text gelesen haben, sind Sie ganz bestimmt fit für unser Perestroika-Quiz!

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