Tödliche Geschäfte: Diese Schwarzmarkthändler wurden in der UdSSR zum Tode verurteilt

Jan Rokotow, Wladislaw Faibischenko und Dmitri Jakowlew.

Jan Rokotow, Wladislaw Faibischenko und Dmitri Jakowlew.

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Einige betrachteten sie als „Feinde des Volkes“. Andere sahen in ihnen Opfer des Sowjetregimes. Der Name dieser Männer wurde jedoch berühmt. Denn ihr Prozess brach mit dem juristischen Prinzip, dass ein Gesetz nicht rückwirkend angewandt werden kann.

„Hast du etwas zu verkaufen?". Dies war die Frage, mit der sich Farzowschtschiks, sowjetische Schwarzmarkthändler, an ausländische Besucher in Moskau wandten. Farzowschtschiks kauften und verkauften knappe importierte Waren und Fremdwährungen.  Der Handel damit war illegal. Für den Weiterverkauf von einem Paar Strumpfhosen, Kaugummi oder 30 US-Dollar drohten bis zu sieben Jahre Haft, wenn man erwischt wurde.

Das galt bis 1960, bis die sogenannte politische Tauwetterperiode einsetzte. Die Strafen für illegalen Handel, der in der UdSSR „Spekulation“ genannt wurde, wurden drastisch erhöht, auf 15 Jahre Haft oder Todesstrafe.

Dollar in der Zahnpastatube

Möglicherweise nahm der Schwarzmarkthandel in der UdSSR ab 1957 an Fahrt auf, als das Weltfestival für Jugend und Studenten im Land stattfand und Studierende aus Italien, Schweden, Frankreich, den USA und anderen Staaten hinter den „eisernen Vorhang“ blicken durften. Zur damaligen Zeit konnten Sowjetbürger West-Ware nur auf Auslandsreisen erwerben. Dorthin durften nur sehr wenige Menschen. Die Einreise einer großen Anzahl von Ausländern veränderte die Situation. Einige Menschen sahen eine Chance, schnell gutes Geld zu verdienen. Die Ware aus dem Westen wurde zu astronomischen Preisen verkauft. 

Weltfest der Jugend und Studenten in der UdSSR.

Oft waren die Farzowschtschiks Studenten und Menschen, die durch ihre Arbeit routinemäßig Ausländern begegneten: Reiseleiter, Dolmetscher, Diplomaten, Taxifahrer, Prostituierte, die ihre Dienste für harte Währungen anboten, und so weiter. Wie auch immer, der Schwarzmarkt in der Hauptstadt entwickelte sich sehr schnell zu einem mehrschichtigen Wiederverkaufssystem

Am Ende der Hierarchie standen die „Begunki“, auch „Läufer“ genannt. Sie übergaben die Ware. Darüber standen diejenigen, die sie beaufsichtigten und schließlich gab es die „Kuptsy“, die eigentlichen Händler. Niemand kannte deren Namen, da sie unter Pseudonymen und nur durch Zwischenhändler operierten. Harte Währung war eine der wertvollsten „Waren“, denn für ihren Verkauf galt ein staatliches Monopol. Nur Personen, denen eine Auslandreise genehmigt worden war, konnten Devisen erwerben. Die Schwarzmarkthändler waren sehr erfinderisch. Sie versteckten die ausländische Währung sogar in Zahnpastatuben.

Der Schwarzmarkt in der Hauptstadt entwickelte sich sehr schnell zu einem mehrschichtigen Wiederverkaufssystem.

Bis 1960 wurde in Moskau ein ganzes Schwarzmarkt-Imperium mit einem Millionen-Umsatz betrieben. Die drei größten Händler, Jan Rokotow, Wladislaw Faibischenko und Dmitri Jakowlew, gerieten ins Visier des KGB.

Schwarzmarkthändler

Jan Rokotow wurde zum ersten Mal verhaftet, als er 17 Jahre alt war. Er wurde wegen „konterrevolutionärer Aktivitäten“ zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Er saß nicht die gesamte Strafe ab, sondern wurde vorzeitig entlassen. Von seinen Knastkumpanen hatte er das Spekulationsgeschäft gelernt.

Rokotov war der erste, der Fartsowka vergrößerte und Spekulationen zu einem Geschäft machte.

Nach seiner Freilassung gelang es Rokotow, ein reibungslos funktionierendes Netzwerk für den Kauf von harter Währung und Konsumgütern aufzubauen. Seine wichtigste  Bezugsquelle waren die Angestellten ausländischer Botschaften in Moskau, zu denen er Kontakte knüpfte, sowie arabische Soldaten, die an Militärakademien studierten und ihn mit Goldmünzen aus der Zarenzeit versorgten (diese wurden besonders von sowjetischen Numismatikern geschätzt). Die Münzen wurden von ihnen in speziellen Gürteln, die unter ihrer Kleidung versteckt waren, über die Grenze geschmuggelt. Jeder dieser Gürtel konnte bis zu 500 Münzen aufnehmen. Im Herbst 1960 wurden über zwanzig Kilogramm Goldmünzen bei arabischen Schmugglern gefunden.

Jan Rokotow.

Eine weitere Quelle für harte Währung war ein Geheimabkommen mit einem Mitglied des Verwaltungsrates einer westdeutschen Bank, Otto & Partner. Sowjetbürger durften bei Reisen ins Ausland maximal 30 US-Dollar mit sich führen. Also bot Rokotow ihnen die Möglichkeit, gegen Zahlung des gewünschten Betrags an Fremdwährung in Rubel, das Geld bei der Bank in Deutschland abzuholen. Das System funktionierte auch in umgekehrter Richtung über ein Konto bei Otto & Partner. In der UdSSR konnten Rubel über Rokotows Partner zu einem viel günstigeren Preis als dem offiziellen bezogen werden. 

Rokotow war einer der ersten, der den Schwarzmarkthandel im großen Stil etablierte. Faibischenko und Jakowlew waren seine engsten Komplizen.

Wladislaw Faibischenko.

Faibischenko arbeitete hauptsächlich mit Studenten. Jeden Morgen stattete er den Leuten, die für ihn arbeiteten, einen Besuch ab und kassierte seinen Anteil. Er war auf ausländische Waren spezialisiert. Jakowlew beherrschte drei Fremdsprachen, er war ein Doktorand und er handelte mit Schmugglern in der baltischen Region, aus der er ursprünglich stammte. Er stellte einen ahnungslosen Rentner ein, der am Telefon saß und ihn mit anderen Zwischenhändlern verband. Darüber hinaus zahlten Faibischenko und Jakowlew Bestechungsgelder an Beamte, um in Ruhe gelassen zu werden.

Dmitri Jakowlew.

1960 erreichten die Maßnahmen zur Bekämpfung von Schwarzhändlern ein neues Niveau. Der illegale Handel erregte die Aufmerksamkeit des Ersten Sekretärs des KPdSU-Zentralkomitees Nikita Chruschtschow. Faibischenko wurde während eines Handels festgenommen. Jakowlew wurde von einem Rentner verraten. Rokotow wurde an einem Bahnhof verhaftet, wo er einen Koffer voller Wertsachen aufbewahrte. Am Tag der Verhaftung belief sich der Umsatz des Imperiums nach dem Wechselkurs von 1960 auf 20 Millionen Rubel oder 80 Millionen Dollar.

Alle drei wurden zunächst zu acht Jahren Haft verurteilt. Aber die Ereignisse begannen sich auf völlig unvorhersehbare Weise zu entwickeln.

Keine Gnade für das Gesindel  

Ende 1960 stattete Chruschtschow Westberlin einen Besuch ab, wo er im Gespräch mit lokalen Politikern den Vorwurf äußerte, dass die Stadt anscheinend „unter der laschen Führung der Besatzungsbehörden zu einem schmutzigen Sumpf von Spekulanten geworden ist und vom Schwarzmarkt beherrscht“ werde. Zur Antwort bekam er: „Die Art von Währungsschwarzmarkt, die Sie in Moskau haben, ist nirgendwo anders auf der Welt zu finden."

Bei seiner Rückkehr, noch am Flughafen, forderte Chruschtschow den KGB auf, ihm einen Bericht über die tatsächliche Lage vorzulegen. Kurz zuvor wurde zusätzlich ein Dekret verabschiedet: Die Höchststrafe für Schwarzmarkthandel und Währungsspekulation nach Artikel 88 würde nun 15 statt acht Jahre betragen.

„Was erwartet Rokotow und Faibischenko?" fragte Chruschtschow unter Bezugnahme auf die neuen Verurteilungsregeln. Das Dekret wurde nach der Verhaftung der Spekulanten verabschiedet, so dass diese Urteile rechtswidrig wären. Ein neues Gesetz konnte nicht rückwirkend angewendet werden.

Nikita Chruschtschow.

Auf Chruschtschows Drängen wurde der Fall dennoch überprüft, und das Trio erhielt jeweils 15 Jahre. Um seine Position zu unterstützen, ließ Chruschtschow einen Brief von Arbeitern einer Metallfabrik verfassen, eine gängige Methode. Darin stand: „Wir, gewöhnliche Sowjetbürger und Arbeiter des Moskauer Instrumentenwerks, bitten Sie, keine Gnade für diese unwürdigen Menschen, dieses Gesindel, diesen Abschaum, zu zeigen“.

Nach einem weiteren Jahr wurde die Gesetzgebung noch weiter verschärft, und die Höchststrafe nach Artikel 88 war nun der Tod. Ein dritter Prozess wurde abgehalten. Rokotow, Faibischenko und Jakowlew wurden zum Tode durch Erschießen verurteilt.

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