Knast bei Kündigung: Die unglaublichsten Gesetze der UdSSR

Kira Lisitskaja (Photo: Vladimir Smirnov,Vladimir Korotayev,Nikolai Nikitin/TASS)
Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion gab es einige ungewöhnliche Gesetze im Land. So stand beispielsweise Erwerbslosigkeit unter Strafe. Und auch Humor konnte gefährlich werden.

Witze über Stalin und die Kommunistische Partei

In den 1930er und 40er Jahren war es gefährlich, Witze über die Führer der Kommunistischen Partei oder, Gott bewahre, über Stalin selbst zu erzählen. Solche Witze wurden als Verbrechen im Sinne einer Bestimmung über „antisowjetische Propaganda und konterrevolutionäre Witze“ angesehen und konnten den Witzbold für sechs bis zehn Jahre ins Straflager bringen. Zu Kriegszeiten drohte sogar die Todesstrafe. Sergei Popowitsch musste zehn Jahre in Haft, weil er folgenden Witz erzählt hatte:

„Eine alte Dame sieht zum ersten Mal in ihrem Leben ein Kamel und fängt an zu weinen: Oh, armes Pferd, was hat die Sowjetmacht mit dir gemacht ... "

Diejenigen, die antisowjetischen Witzen gerne zuhörten, kamen nur dann ungeschoren davon, wenn sie den Witzeerzähler bei den Sicherheitsbehörden denunzierten. Andernfalls sahen sie sich von bis zu fünf Jahren in einem Gefangenenlager bedroht, gemäß der Bestimmung „Für das Versäumnis, die Behörden zu informieren“.

Karatetraining

In der UdSSR waren ab Ende der 1930er Jahre fast alle Kampfkünste strengstens verboten (außer Sambo, Wrestling und Boxen) und ihre Anhänger wurden als „Spione“ deklariert, meist japanische. Aber Karate-Enthusiasten hatten besonders Pech. 1981 erschien sogar ein spezieller Artikel über sie im Strafgesetzbuch: Wer Karate trainierte konnte bis zu fünf Jahre hinter Gitter kommen. Begründet wurde das wie folgt: Karate ist „eine Form des Nahkampfs, die nichts mit Sport zu tun hat, die Grausamkeit und Gewalt fördert, die ihren Praktizierenden schwere Verletzungen zufügt und von einer uns fremden Ideologie durchdrungen ist“.

Zwar wurde nach dieser Bestimmung nur eine Person verurteilt. Am 33-jährigen Waleri Gusew, einem berühmten sowjetischen Trainer, wurde ein Exempel statuiert. Er soll laut Ermittlern gegen Geld heimlich Studenten in städtischen Wäldern trainiert haben. Tatsächlich unterrichtete er Kung Fu, nicht Karate, aber die Strafverfolgungsbehörden sahen keinen großen Unterschied zwischen den beiden Kampfsportarten. Später, in einem Interview mit der Tageszeitung Moskowski Komsomolez, sagte Gusew: „Es war wirklich ein Schauprozess - sie hatten speziell nach einer bekannten Person gesucht <...>. Oder es lag daran, dass ich kurz vor meiner Verhaftung ein (wenn auch inoffizielles) Angebot, als Trainer für den KGB zu arbeiten, rundweg abgelehnt habe.“

Mit dem Aufkommen der Perestroika im Jahr 1989 wurde der Artikel abgeschafft.

Homosexuelle Beziehungen

1922 entkriminalisierte der Sowjetstaat homosexuelle Beziehungen. Das Gesetz verhängte Strafen nur für Vergewaltigung, Verführung von Minderjährigen, Ausübung und Inanspruchnahme von Prostitution, unabhängig vom Geschlecht. Aber 1933 verband der Volkskommissar für innere Angelegenheiten der UdSSR, Genrich Jagoda, in einem Bericht an Stalin homosexuelle Neigungen mit Konterrevolution - Schwule hatten ihre Clubs angeblich zu Zentren für die „Korruption junger Menschen“ gemacht und führten sie auch im politischen Sinne in die Irre, so Jagodas Einschätzung.  

Ein Jahr später wurde dem Strafgesetzbuch ein neuer Artikel hinzugefügt, der eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren für homosexuelle Beziehungen vorschrieb. Darüber hinaus wurden nur Männer im Rahmen der Bestimmung strafrechtlich verfolgt, die für Frauen nicht galt. Soweit aus den Archivrecherchen von Professor Wladimir Wolodin bekannt ist, wurden ab den 1960er Jahren in der UdSSR jedes Jahr etwa 1.000 Männer nach dieser Bestimmung verurteilt. Die Verurteilungen erreichten 1985 ihren Höhepunkt (es gibt keine offiziellen Statistiken dazu, Anm. „Russia Beyond“).

Kündigung der Arbeit, Verspätungen und Fehlbeleiben

Auf dem Höhepunkt des dritten Fünfjahresplans im Jahr 1940 musste das Volumen der Industrieproduktion stark gesteigert werden, und der in Europa begonnene Krieg machte eine Optimierung der militärischen Versorgung erforderlich. Um die Produktion anzukurbeln, haben die Behörden die Sieben-Tage-Woche eingeführt und es den Arbeitnehmern verboten, die Räumlichkeiten ohne Erlaubnis eines Managers zu verlassen, nicht zur Arbeit zu erscheinen oder zu spät zu kommen.


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Wer seine Arbeit ohne Erlaubnis dazu kündigte, konnte eine Freiheitsstrafe von zwei bis vier Monaten bekommen. Wer zwanzig Minuten zu spät erschien oder zu spät aus der Mittagspause zurückkehrte oder gar nicht zur Arbeit erschien, den erwarteten am Arbeitsplatz Disziplinarmaßnahmen und im Wiederholungsfalle eine Freiheitsstrafe. In weniger als drei Monaten nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften wurden landesweit fast eine Million Menschen deshalb verurteilt.

Kein Arbeitsplatz oder kein fester Wohnsitz

Die sowjetische Propaganda beschrieb das Leben in der UdSSR als einen Zustand sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit - folglich war die Existenz von Bettlern, Obdachlosen oder Arbeitslosen mit dieser Propaganda völlig unvereinbar. Solche Leute gab es natürlich, aber sie wurden einfach von den Straßen entfernt. 1951 wurde ein Dekret „Über Maßnahmen zur Bekämpfung unsozialer und parasitärer Elemente" erlassen, wonach Obdachlose für fünf Jahre in ferne Teile der UdSSR umgesiedelt wurden. Das bedeutete in jeder Hinsicht Verbannung.

Zehn Jahre später wurde „sozialer Parasitismus“ strafrechtlich noch härter verfolgt. Es waren nicht nur die Obdachlosen, die Opfer dieser Kampagne wurden, sondern auch jeder ohne offizielles Einkommen. Wer kein Dach über dem Kopf hatte oder keine Anstellung, konnte jederzeit im Gefängnis landen, und zwar für bis zu zwei Jahre. Dieses Damoklesschwert schwebte fortlaufend über privaten Taxifahrern, Bauarbeitern, Musikern usw. Der bekannte Dichter Joseph Brodsky wurde wegen „Sozialparasitismus“ angeklagt. Wiktor Zoi, ein in den 1980er Jahren populärer Sänger, arbeitete als Kesselwärter, nur um einen „offiziellen Job“ deklarieren zu können.

Schwarzmarkthandel

Der Erwerb und Weiterverkauf ausländischer Waren war ebenfalls verboten, obwohl es in den 1980er Jahren ein florierendes Geschäft war. Wenn die Sowjetbürger etwas aus dem Ausland erhalten wollten - etwas „Schickes“, wie man sagte - gab es immer nur zwei Möglichkeiten: ins Ausland zu reisen (etwas, was nur wenigen Menschen gestattet war) oder es von einem Schwarzhändler zu kaufen.

Schwarzhändler waren vor allem abenteuerlustige junge Menschen und auch diejenigen, die durch ihre Arbeit regelmäßig mit Ausländern in Kontakt kamen: Touristenführer, Übersetzer, Taxifahrer, Prostituierte. Sie konnten als Lohn von den Ausländern ein paar Packungen Marlboro oder ein paar echte Levis-Jeans verlangen und verkauften diese mit großem Gewinn an ihre Landsleute. Solche Geschäfte wurden immer sehr geheim abgewickelt, doch manchmal wurden die Schwarzhändler erwischt. Ihnen drohten bis zu sieben Jahren Haft. Die Strafen für diese Art von Aktivitäten wurden 1991 abgeschafft.

Devisenhandel

Sowjetbürger wurden 1927 von Fremdwährungen „abgeschnitten“, als die Bolschewiki den privaten Devisenmarkt verboten und ein staatliches Devisenmonopol schufen (die Gründe hierfür können Sie hier nachlesen). Zehn Jahre später, unter Stalin, wurde der private Verkauf von Währungen zu einer potenziell tödlichen Aktivität. Währungstransaktionen galten nun als Verbrechen gegen den Staat. 1961 wurde Artikel 88 eingeführt, der Strafen von drei Jahren Haft bis zur Todesstrafe (durch Erschießen) vorsah, wenn das Ausmaß der Straftat besonders groß war.

Das stalinistische Verbot und die Todesstrafe wegen illegalen Besitzes von Hartwährung blieben bis 1994 in Kraft.

Schwarzbrennerei

Viele Haushalte in der Sowjetunion wussten, wie man zu Hause Alkohol herstellt, selbst in kleinen Wohnungen in städtischen Hochhäusern und nicht nur auf dem Land. Die von den Behörden regelmäßig durchgeführten Anti-Alkohol-Kampagnen machten das Leben als Schwarzbrenner gefährlich. Im Jahr 1958 wurden beispielsweise 52.143 Menschen wegen Herstellung oder Verkauf von Schwarzgebranntem verurteilt. Es gab Haftstrafen von sechs bis sieben Jahren für jeden, der damit Geld verdiente, und ein bis zwei Jahre für die Herstellung für den Eigengebrauch. Verfügte jemand über Gerätschaften zum Schnapsbrennen, drohten ihm sechs Monate Strafarbeit oder eine hohe Geldstrafe.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war das Selbstbrennen keine Straftat mehr. Seit 2002 ist es nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit.


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