Wenn Sie jemals die Innenräume alter russischer Häuser und Wohnungen gesehen haben, werden Sie die seltsame Platzierung von Spiegeln bemerkt haben. Sie wurden ungewöhnlich hoch und zudem schräg aufgehängt. Auf einen modernen Menschen wirkt das buchstäblich schräg. Was steckte also dahinter?
Ein Esszimmer, 1910er Jahre.
MAMM/MDFGorkis Kindheit Museumshaus, die Küche.
A.Gorjatschew/SputnikNoch vor etwa einem Jahrhundert waren Spiegel ein kostbarer Besitz, den sich nur die Reichen leisten konnten. Im vorrevolutionären Russland waren massiv gerahmte Spiegel vor allem in Familiensitzen und den Domizilen der Wohlhabenden zu sehen. Es gab Standspiegel, die in Schminktischen installierten Spiegel und Wandspiegel, wie wir sie heute kennen.
Spiegelrahmen, Anfang des 20. Jahrhunderts. Regionalmuseum Kemerowo.
Dmitry Korobeinikow/SputnikKulaken (ein Begriff, der gegen Ende des russischen Reiches verwendet wurde, um Bauern mit mehr als acht Morgen Land zu bezeichnen) kauften Spiegel auf Stadtmärkten, während sich die Armen nur winzige Spiegel leisten konnten. In jedem Fall wurden die kostbaren Objekte außerordentlich wertgeschätzt, oft mit handgearbeiteten Tüchern bedeckt und so platziert, dass sie niemand aus Versehen zerbrechen konnte. Aber wie konnte man so den Spiegel benutzen?
Eine Hausparty, 1961.
Wiktor Achlomow/MAMM/MDFEs gab einen russischen Aberglauben in Bezug auf Spiegel (der Kultur ist es nicht fremd, sie als Portale zur Geisterwelt zu betrachten.): Sich selbst nicht vollständig zu sehen, war ein großes Tabu, also entschied man sich, die Spiegel zu kippen. Und je höher ein Spiegel hing, desto weniger wahrscheinlich war es, dass er zu Bruch ging, denn das brachte bekanntlich Unglück.
In der russischen Izba, 1925.
Privatsammlung von S. BrasowskiIn der Sowjetzeit wurden die Spiegel dank der Entwicklung der Industrie erschwinglicher, aber viele Bürger der UdSSR befestigten ihre Spiegel weiterhin auf die alte Art und Weise, wie es schon ihre Großeltern taten. Heute kann man sich davon nur noch in Museen oder auf Fotos überzeugen aber auch in alten Holzhäusern abseits der großen Städte ist dieses Phänomen zu finden.
Tula Region, 1960. Ein Speisesaal im Jasnaja Poljana Museum von Leo Tolstoi.
Wladimir Sawostjanow/TASSEine Familie, 1910er Jahre.
Fotostudio Karl Bulla/St. Petersburger Zentrales Staatsarchiv für Film- und FotodokumenteAbgesehen von den schrägen Spiegeln hatte praktisch jedes Haus zudem ein geneigtes Gemälde oder ein gerahmtes Foto, das hoch unter der Decke hing. Der Grund dafür ist, dass dieser Winkel es erlaubte, das Werk besser zu studieren. Es gab weniger Streulicht und fast keinen Staub auf dem Gemälde. In der Tat, je höher die Decke, desto größer der Winkel des Gemäldes. Deshalb sieht man auch in vielen Museen geneigte Gemälde hängen.
Eine Wohnung, 1910er Jahre.
Alexander Grinberg/MAMM/MDF
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