Beleidigungen und Beschimpfungen: Wie Russen ihre Zaren verfluchten

Kira Lisitskaja (Foto: Corbis/Getty Images; Jean-Marc Nattier; Peter Pavlov/MAMM/MDF/russiainphoto.ru)
Die Russen standen nicht immer hinter ihren Zaren und Kaisern. In den Archiven der Geheimpolizei sind über die Jahrhunderte viele Fälle von Beleidigungen und Beschimpfungen des russischen Volkes gegen seine Herrscher erhalten geblieben.

1737 stellte sich Iwan Pawlow, ein Beamter der russischen Armee, der russischen Staatssicherheit und nannte Peter I. einen "Gotteslästerer" und "Gottverächter". Im Verhör erklärte Pawlow, dass er an seinem Standpunkt festhalte und bereit sei, die Todesstrafe anzutreten. Die Entscheidung des Ministerkabinetts entsprach seinem Antrag.

Kopf ab im Namen des Zaren

„Stepan Rasin“ von Sergej Kirillow.

Im Jahr 1737 war Peter der Große zwar bereits tot, aber ihn zu beschimpfen, bedeutete eine Missachtung der Zaren im Allgemeinen, und so wurde Pawlow dem Gesetz entsprechend hingerichtet. Die öffentliche Beschimpfung oder Verunglimpfung der russischen Fürsten wurde mindestens seit dem 13. und 14. Jahrhundert, also noch vor der Entstehung des russischen Staates, offiziell mit dem Tod durch Enthauptung bestraft.

Im Jahr 1649, unter Alexei Michailowitsch (1629-1676), führte das Gesetzbuch Sobornoje Uloschenije weitere Fälle auf, in denen von einer Verunglimpfung des Zaren auszugehen war. Nicht nur Beschimpfungen standen unter Strafe, sondern auch, Gerüchte über den Zaren zu verbreiten. Während der Regierungszeit von Alexei Michailowitsch wurde der Geheime Prikas, die erste Geheimpolizei, eingeführt.

Der Geheime Prikas untersuchte unter anderem Fälle, in denen das Leben des Zaren bedroht war oder der Name des Zaren beschmutzt wurde. Hier sind einige Beispiele. „Der Zar ist jung und töricht und befolgt nur die Ratschläge seiner Bojaren", sagte ein Muschik  (Mann) namens Sawwa Korelin. Er wurde prompt ins Gefängnis geworfen. Ein anderer Mann namens Dmitri Schmarajew bedankte sich bei seinem Freund, der ihm Hafer geliehen hatte, mit den Worten: „Du bist besser als der Zar!“ - Sein Freund zeigte ihn an, und Dmitri musste aus seiner Heimatstadt fliehen.

Selbst der Vergleich mit dem Zaren konnte zu einer Gefängnisstrafe führen, während eine direkte Beschimpfung mit dem Abschneiden der Zunge und der Verbannung der gesamten Familie nach Sibirien enden konnte, wie es bei einem Bauern namens Ilja Porschnew aus der Region Nischni Nowgorod der Fall war.

Der antichristliche Zar und seine Bäuerin

Eine Karikatur der Altgläubigen, die Zar Peter als Antichrist darstellt.

Peter der Große, der Sohn von Alexei Michailowitsch, wurde vom russischen Volk für die neue Ordnung, die er in Russland einführte, gescholten - viele waren abergläubisch und überzeugt, dass nach dem „Teufelsjahr“ von 1666 (Peter wurde 1672 geboren) der Antichrist kommen würde. Und Peter, der der erste Zar war, der keinen Bart trug, sich europäisch kleidete und Laster wie Rauchen und Trinken pflegte, wurde von vielen als Antichrist betrachtet. Einige Altgläubige zogen es sogar vor, sich lebendig zu verbrennen, als unter der Herrschaft des Antichristen zu leben. Aber es wurden auch Strafen für geringere Vergehen verhängt als die direkte Beschimpfung des Zaren. Im Jahr 1720 erhielt Andrej Saweljew, ein Chormitglied, 50 Peitschenhiebe, weil er aus Wut mit seinem Stock auf das Porträt Peters gezeigt hatte.

Auch Peters Frau, Katharina I., die erste Kaiserin auf dem russischen Thron, wurde verunglimpft. Die patriarchalischen Russen des frühen 18.  Jahrhunderts empfanden es als Schmach, von einer Frau regiert zu werden. Aus den Dokumenten der Geheimen Kanzlei (einer Institution, die den Geheimen Prikas ersetzte) geht hervor, dass Strafen gegen Personen verhängt wurden, die es wagten, die volkstümliche Herkunft Katharinas I. zu erwähnen (sie stammte tatsächlich von Bauern ab). Einem Mann namens Kalina Rybkin wurde zur Strafe die Zunge herausgeschnitten und er wurde nach Sibirien verbannt, weil er in einem Scherz Katharina mit vier Buchstaben bezeichnet hatte.

Rachsüchtige Kaiserinnen

„Wie Mäuse die Katze begruben“, ein Volkscomic aus dem 18. Jahrhundert, der den Trauerzug von Peter dem Großen parodiert.

Selbst Mitleid mit der Kaiserin konnte schlimme Folgen haben: 1739 wurde Awdotia L'wowa aus Schlisselburg in Russland angezeigt, weil sie ein Lied über die schwierige Jugend der regierenden Kaiserin Anna von Russland gesungen hatte. In dem Lied wurde beklagt, dass Anna auf Anweisung ihres Onkels Peter dem Großen einen ausländischen Prinzen heiraten musste. Für den Gesang des Liedes wurde Awdotia L‘wowa auf der Folterbank gequält.

Unter Elisabeth von Russland wurden Dutzende von Menschen zu Zwangsarbeit verurteilt, weil sie über das Privatleben der Zarin und ihrer Günstlinge sprachen. Im Jahr 1742 sagte ein Hauptmann des Preobraschenski-Regiments, Grigori Timirijasew, in einem privaten Gespräch mit einem seiner Untergebenen, dass Elisabeth fünf Liebhaber hatte, dass er einige ihrer Kinder kannte und dass viele Beförderungen am Hof nur durch „die Liebe“ erfolgt seien. Der untergebene Soldat meldete Grigori bei der Geheimpolizei, woraufhin der Hauptmann aus dem Dienst entlassen und in ein Gefängnis in Sibirien gesteckt wurde.

Die Erwähnung des Privatlebens oder gar des Geschlechts der Herrscherin war unter Katharina II. tödlich - es konnte eine harte Strafe folgen, wenn man auch nur erwähnte, dass die Kaiserin eine „baba“ (russischer Volksmund für „eine Frau“) war, oder dass „es ein Befehl des Teufels ist, sich vor einer Frau zu verneigen“, und so weiter.

Zurück gespuckt

Nikolaus I., 1843.

Nicht alle russischen Herrscher waren jedoch so rachsüchtig und empfindlich, was ihren Namen betraf. Im Jahr 1845 wurde in Russland das erste Strafgesetzbuch eingeführt. Darin wurde festgelegt, dass jedes beleidigende Verhalten gegenüber dem Kaiser, den Mitgliedern der kaiserlichen Familie oder sogar gegenüber ihren Porträts eine Straftat darstellte. Die Strafe konnte umgewandelt werden, wenn die Straftat im betrunkenen Zustand begangen wurde - denn natürlich wurden die meisten Flüche gegen den Kaiser in Lokalen und Kneipen  von stark alkoholisierten Gästen ausgesprochen.

Kaiser Nikolaus I. behandelte solche Fälle sogar mit Humor. Einmal war ein Soldat namens Agafon Suleikin in einer Taverne sturzbetrunken und spuckte sogar das an der Wand hängende Porträt des Kaisers an. Der Fall wurde gemeldet und wurde so auch Nikolaus I.  bekannt.

Alexander III.

Anstatt den armen Soldaten nach Sibirien zu schicken, befahl Nikolaus I: „Sag Agafon Suleikin vor seinem ganzen Regiment, dass ich ihn auch angespuckt habe. Und da dieser unglückliche Betrunkene nicht wusste, was er tat, erkläre ich den Fall für abgeschlossen. Außerdem ist es von nun an verboten, königliche Porträts in Tavernen aufzuhängen.“

Einige Mitglieder der königlichen Familie nutzten ihre eigene „Immunität“ jedoch, um ihre  Untertanen zu verhöhnen. Fürst Pjotr Kropotkin erinnerte sich in seinen Memoiren daran, wie der junge Alexander III., damals Großfürst unter der Herrschaft seines Vaters Alexander II, einen jungen Offizier, der in der kaiserlichen Armee für die Versorgung mit Waffen zuständig war, beschimpfte und verfluchte. Der Offizier, ein gebürtiger Schwede in russischen Diensten, war zutiefst beleidigt. Er wusste, dass er den Großherzog Alexander nicht ebenfalls beschimpfen konnte, da dies eine Straftat war. „Er reiste sofort ab und schickte einen Brief an den Großherzog, in dem er forderte, dass Alexander sich entschuldigte. Der Offizier fügte hinzu, dass er sich erschießen würde, wenn er sich nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden entschuldigen würde."

Leider entschuldigte sich Alexander nicht, und der Offizier beging tatsächlich Selbstmord. Als Alexander II., der Zar, davon erfuhr, war er wütend, schrieb Kropotkin. „Alexander II. befahl seinem Sohn, dem Sarg des Offiziers bis zum Grab zu folgen; aber selbst diese schreckliche Lektion hat den jungen Mann nicht von der üblichen Arroganz und dem hitzigen Temperament der Romanows geheilt."

 

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