Wie die Bolschewiken einen groß angelegten Boykott nach der Revolution beendeten

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Unmittelbar nach der Oktoberrevolution 1917 waren viele staatliche Einrichtungen in Russland durch Streik lahmgelegt, aber nur für sehr kurze Zeit - die Bolschewiki gingen gnadenlos vor.

Zehn Tage nach der Revolution in Petrograd (Sankt Petersburg) versammelten sich Beamte und Angestellte des Finanzministeriums des Russischen Reiches zu einer Sitzung, um gegen die Machtergreifung der Bolschewiki zu protestieren. 

Als Wjatscheslaw Menschinskij, ein bolschewistischer Führer, der von Lenin mit der Kontrolle der Staatsbank beauftragt worden war, im Finanzministerium erschien, weigerte sich der Direktor des Kreditbüros und der Münzanstalt, Conrad Sahmen, Menschinskij die Hand zu geben. Im Gegenzug sagte Menschinskij: „Ich betrachte Sie nicht mehr als Direktor des Kreditbüros.“ Der Krieg war eröffnet.

„Schützt den Nationalschatz vor Plünderung!“

Dieser Protest wurde vom Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution inspiriert, einer konterrevolutionären Organisation, die von Mitgliedern der Petrograder Stadtduma in der Nacht zum 26. Oktober gegründet wurde, als die Bolschewiki das Winterpalais einnahmen. Das Komitee erklärte die Bolschewiki für illegal und verbreitete Flugblätter, in denen die Bürger aufgefordert wurden, die neue Regierung nicht anzuerkennen.

Das Komitee unterstützte den Streik der Staatsbediensteten. Mehr als 40.000 Angestellte und Beamte beteiligten sich an einem Streik, der im Oktober 1917 begann, darunter 10.000 Bankangestellte, 6.000 Postangestellte, 4.700 Telegrafenarbeiter und 3.000 Angestellte von Handelsunternehmen. Druckereibeschäftigte drohten damit, den Druck bolschewistischer Dokumente einzustellen, und Arbeiter der Moskauer Lebensmittelindustrie beschlossen, keine Lebensmittel mehr nach Petrograd zu liefern.

Ohne Zugriff auf das Schatzamt und die Staatsbank waren die Bolschewiki schlichtweg pleite. Die Staatsbank veröffentlichte ein Kommuniqué an die Bürger: „Liebe Bürger! Die Staatsbank ist geschlossen. Und warum? Weil die Gewalt, die die Bolschewiki der Staatsbank angetan haben, keine Möglichkeit bot, weiterzuarbeiten. Die ersten Schritte der Volkskommissare drückten sich in der Forderung nach zehn Millionen Rubel aus, und am 28. Oktober verlangten sie 25 Millionen, ohne zu sagen, wofür dieses Geld verwendet werden sollte... Wir, die Beamten der Staatsbank, können uns nicht an der Plünderung des nationalen Erbes beteiligen. Bürger, schützt den nationalen Schatz vor Plünderung und uns vor Gewalt, und wir werden uns sofort an die Arbeit machen. Angestellte der Staatsbank“.

„Beamte müssen Wohnungen innerhalb von drei Tagen verlassen!“

Beamte des Außenministeriums sabotierten Leo Trotzki, den damals wohl zweitmächtigsten Bolschewiken nach Wladimir Lenin. Trotzki, der der erste Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten in der neuen Regierung war, erinnert sich an seinen ersten Tag im Ministerium.

„Man sagte mir, es sei niemand da. Ein gewisser Fürst Tatischtschew sagte, es gäbe keine Mitarbeiter, sie seien nicht zur Arbeit erschienen. Ich verlangte, die Erschienenen zu versammeln, und es stellte sich heraus, dass tatsächlich eine kolossale Zahl erschienen war... Ich erklärte, dass die Angelegenheit [der neuen Macht] unwiderruflich sei, und dass jeder, der in gutem Glauben dienen wolle, im Dienst bleiben werde. Aber es war alles umsonst.“ Etwa 600 Beamte traten sofort zurück, viele gingen nach Hause, aber einige von ihnen schlossen sich in ihren Büros ein, und der stellvertretende Außenminister Anatoliy Neratow versuchte, mit den Originalen der Geheimverträge der kaiserlichen Regierung zu fliehen. 

Im Arbeitsministerium konnte der neue Volkskommissar Alexander Schljapnikow die Angestellten nicht einmal dazu überreden, die Öfen anzuheizen. Im Finanzministerium wurden derweil internationale Finanzdokumente verbrannt - das machte die Feststellung der finanziellen Beziehungen Russlands zu anderen Staaten unmöglich.

Die Bolschewiki griffen zu Sofortmaßnahmen gegen den Streik. Am 1. November 1917 stellten sie die Bezahlung der zaristischen Beamten ein, die sich dem Streik anschlossen, und am 26. November erklärten sie die Konterrevolutionäre und Saboteure zu Staatsfeinden.

Wjatscheslaw Menschinskij erließ einen Befehl, den er den Beamten des Finanzministeriums persönlich erklärte: „Alle Angestellten, die die Autoritäten des Sowjets der Volkskommissare nicht anerkennen, gelten als aus dem Dienst entlassen, ohne dass sie das Recht auf eine Rente behalten. Entlassene Beamte, die staatliche Wohnungen nutzen, müssen diese innerhalb von drei Tagen räumen.“

Im Kampf gegen Antisemitismus 

Am 17. November drang Menschinskij gewaltsam in die Büros der Staatsbank ein, Tresore und Büros wurden aufgebrochen und das Geld beschlagnahmt. Das war der Beginn des Roten Terrors - am 7. Dezember wurde die Allrussische Außerordentliche Kommission (Tscheka) unter Felix Dserschinski zur Bekämpfung der Sabotage organisiert, und Lenin erteilte ihr „Notstandsbefugnisse“, praktisch das Recht, Menschen hinzurichten.

Fast sofort entdeckte die Tscheka, dass die „Union der Angestellten der staatlichen Institutionen“, eine Organisation ehemaliger zaristischer Beamter, Geld sammelte, um streikende Angestellte finanziell zu unterstützen. Von diesem Geld wurde den streikenden Beamten ein Gehalt für ein bis zwei Monate im Voraus gezahlt. Am 18. Dezember wurde ein Telegramm von ehemaligen Ministern der Provisorischen Regierung abgefangen, in dem alle Beamten zu Sabotageakten in ganz Russland aufgerufen wurden.

Im Jahr 1918 trat der Rote Terror in vollem Umfang in Kraft. Diejenigen Beamten, die sich weigerten, eine schriftliche Verpflichtung zur Nichtzusammenarbeit mit konterrevolutionären Organen zu unterzeichnen, mussten mit Repressalien rechnen. Am 3. September 1918 wurden 512 ehemalige Beamte, Minister, Professoren usw. durch ein Exekutionskommando erschossen. Zu diesem Zeitpunkt war der Streik der Beamten schon längst beendet.

Vakante Stellen im Staatsapparat wurden zu einem erheblichen Teil mit jüdischen Beamten besetzt, die zuvor keine Möglichkeit gehabt hatten, in staatlichen Institutionen zu arbeiten, weil die zaristischen Gesetze ihre Rechte einschränkten. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung war zu dieser Zeit deshalb weitgehend antizaristisch eingestellt. Die Bolschewiki hingegen unterstützten die russischen Juden - am 25. Juli 1918 wurde ein Dekret „Über den Kampf gegen Antisemitismus und Judenpogrome“ erlassen, und Juden wurden eingeladen, dem neuen Staat und in der Roten Armee zu dienen.